Massenmord per Lkw in Nizza. Putsch in Istanbul. Axt-Attacke in Würzburg. München, Reutlingen, Ansbach. Die Eilmeldungen passen schon lange nicht mehr auf das Smartphone-Display, ständig steigen die Opferzahlen. Mein Kopf schafft es gerade noch irgendwie, die Fakten aufzunehmen. Aber mein Herz streikt.

Fassungslosigkeit macht sich breit. Ich will weinen. Für jeden Toten und jede*n Angehörige*n. Doch selbst, wenn ich für jedes Opfer der vergangenen Wochen nur eine Minute lang trauern würde, wäre ich tagelang beschäftigt – und selbst das wäre gefühlt viel zu wenig, um dem Leid gerecht zu werden.

Ich lebe in einer Stadt, in der die Welt ziemlich in Ordnung ist. Mein aufgeräumter Alltag schirmt mich ab. Den Wahnsinn betrachte ich aus der Ferne.

Außerhalb der Seifenblase

Handy-Videos von Augenzeugen zeigen mir die Ereignisse. Kommentator*innen analysieren das Geschehen. Ich führe bestürzte Gespräche mit Freund*innen und Kolleg*innen – und kehre dann doch zurück zu banalen Routinen. Minuten später kann ich wieder lachen.

Das erscheint kalt, herzlos und unmenschlich. Ist das Lachen eine Flucht? Ein erster Schritt in Richtung Politikverdrossenheit? In Richtung Weltverdrossenheit?

Nein, ist es nicht. Das meint zumindest Frank Schwab, der sich an der Universität Würzburg mit emotionalen Wirkungen von Nachrichten beschäftigt.

Der Medienpsychologe plädiert dafür, emotionale Distanz zu schaffen: "Nähmen wir alles mit voller Wucht und Emotion auf, würde uns das fertig machen. Man müsste quasi jeden Abend nach der Tagesschau depressiv werden und wäre maßlos überfordert."

Keine Auszeit von der Welt

Verantwortlich für diese Überforderung ist unter anderem das Internet. Von Polizistenmorden in Dallas und Bomben in Aleppo erfahren wir in Sekundenschnelle auch dann, wenn wir gerade auf einer abgelegenen Nordsee-Insel am Strand liegen. Über Online-Medien und soziale Netzwerke können wir das ganze Weltgeschehen live verfolgen.

Schwab zufolge hat sich unser "empathischer Kreis" in den letzten Jahrhunderten extrem ausgedehnt und wir sind deutlich einfühlsamer geworden. Aber das hat seine Grenzen. "In einer überschaubaren Gruppe von maximal etwa 150 Personen können wir uns korrekt verhalten, moralisch, ethisch und einfühlend. Bei größeren Gruppen klappt das nicht mehr so gut. Dafür ist unsere emotionale Basisausstattung von der Natur nicht angelegt", erklärt er.

Wir stumpfen also ab, um uns selbst vor dem psychischen Ruin zu schützen.

Außerdem sei mit Betroffenheit niemandem geholfen, argumentiert der Journalist Bernd Ulrich in der Zeit: "Wer dauernd die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, kann nicht denken. Wir müssen also raus aus diesem Modus des Passiven."

Abstumpfung: Segen und Fluch zugleich

Dennoch frage ich mich: Wenn sich alle auf dem heimischen Sofa hinter ihrer emotionalen Schutzmauer verkriechen, wer geht dann auf die Straße? Und wie bleiben wir einfühlsam und offen für die Welt, ohne uns selbst zu schaden?

Der verstorbene, französische Widerstandskämpfer Stéphane Hessel hielt Empörung sogar für essentiell, um zivilgesellschaftliches Engagement zu schaffen: "Ich wünsche jedem Einzelnen von Ihnen ein eigenes Empörungsmotiv. Denn das ist kostbar. Wenn etwas Sie empört, wie mich der Nazismus empörte, werden Sie militant, stark und engagiert", schrieb der ehemalige UN-Diplomat in seinem 2010 veröffentlichten Manifest "Empört euch!" (im französischen Original: "Indignez-vous!").

Ohne Empörung kein Widerstand, ohne Widerstand keine Entwicklung – so lautet seine These.

Finde dein Herzensthema

Abstumpfung oder Empörung? Was ist die Lösung? Die beiden gegensätzlichen Positionen haben eines gemeinsam: Wo Hessel vom individuellen "Empörungsmotiv" spricht, sagt der Psychologe Schwab: "Wir können uns nicht für alles engagieren. Deshalb sucht sich jeder die Nische, die am besten zu ihm passt – sei es Naturschutz oder Flüchtlingshilfe."

Anteil nehmen ist wichtig und richtig. Sich verantwortlich zu fühlen auch. Doch das ganze Leid der Welt ist zu viel für einen einzelnen Menschen. Deshalb müssen wir uns aber noch lange nicht herzlos fühlen. Im Gegenteil: Am Ende muss das Lachen wieder siegen – am Besten lange, herzlich und laut.