Was, wenn er nicht kommt? Sein Schlitten könnte im Stau stehen, vielleicht verliert er auf dem Weg die Geschenke, oder er hat mich einfach vergessen. Jedes Jahr drücken sich Kinder die Nase an den Fensterscheiben platt, um zu sehen, ob er es dieses Jahr schafft, der Weihnachtsmann. Andere warten auf das Christkind oder den heiligen Nikolaus, egal, denn im Dezember riecht die Luft nach der Magie des Weihnachtsfests – ein Duft, den nur die Kinder noch richtig wahrnehmen.

Für uns Erwachsene ist der Zauber der Weihnacht längst dem Stress gewichen, der sich einstellt, wenn man eingesehen hat, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gibt, dass man selbst die Geschenke besorgen muss. Und überhaupt, was soll das eigentlich mit dieser Lüge vom Weihnachtsmann? Ist es nicht besser, den Kindern von Anfang an die Wahrheit zu erzählen? Die Geschenke kommen nicht per Rentier, sondern mit Papas Auto oder einfach per Lieferdienst.

Fantasie hilft gegen Angst

"Geschichten wie die vom Weihnachtsmann sind wichtig, um die Fantasie von Kindern anzuregen", sagt Angelika Bartram. Die Autorin ist so etwas wie Deutschlands führende Fantasieexpertin. Sie hat Hörspiele und Theaterstücke für Kinder geschrieben und als Texterin für die Sesamstraße gearbeitet. In ihrem Buch Lasst die Kinder träumen tritt sie dafür ein, Kinder in ihrer eigenen kreativen Energie zu stärken, statt sie mit Wissen über die Realität zu überhäufen.

"Kinder nutzen Fantasie, um sich die Welt herum zu erklären", sagt Bartram. "Das kann dabei helfen, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln und besser mit Angst umzugehen." Weihnachtsmann und Christkind können dabei wie magische Hilfswesen sein, um die herum Kinder ihre eigene Interpretation der Welt bauen.

Diese Hilfswesen sind keine neue Erfindung, und den Weihnachtsmann gibt es nicht erst seit Coca Cola. Seine Gestalt wurde vom heiligen Nikolaus abgeleitet, zu dessen Ehren bereits im Mittelalter Kinder am 6. Dezember beschenkt wurden. Die Idee des Christkinds stammt aus dem 16. Jahrhundert von Martin Luther, der sich damit gegen die Heiligenverehrung wandte. Seit Jahrhunderten gibt es also schon Geschichten von weihnachtlichen Fabelfiguren, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Ein Gefühl von Magie – auch für Erwachsene

Dass sich die Geschichten dadurch verändert haben, ist so natürlich wie die Fantasie selbst. In jedem Land und jeder Familie werden sie anders erzählt, um sich dann in den Köpfen der Kinder weiterzuentwickeln. Das regt nicht nur die Fantasie an, sondern schafft auch ein Gefühl von Tradition und Geborgenheit, das bis in das Erwachsenenalter anhalten kann. "Wenn wir die Geschichten an unsere Kinder weitergeben, kann das auch bei uns ein Gefühl von Magie auslösen", sagt Angelika Bartram. "Das ist sehr tröstlich, wenn man sonst den ganzen Tag lang mit Realität zugeschüttet wird."

Irgendwann gewinnt die Realität dann doch die Oberhand. Das sollte sie auch, denn das Zweifeln und Erforschen ist bei Kindern ein ganz natürlicher Vorgang. Es kann ein Erfolgserlebnis sein, wenn sie selbst herausfinden, dass es doch die Eltern sind, die die Geschenke bringen. Für die Erwachsenen ist es in solchen Momenten wichtig, richtig zu reagieren. Sie sollten den Investigativerfolg ihrer Kinder gleichzeitig anerkennen und weiterhin genug Raum für Fantasie lassen. Angelika Bartram sagt: "Man kann zum Beispiel mit einer Frage reagieren, wie ‚Ob das wirklich so ist?‘"

Ob das wirklich so ist, fragten sich die Kinder auch schon 1897. Damals schrieb die achtjährige Virginia einen Leserbrief an die New York Sun, um zu fragen, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt. Die Antwort der Zeitung wurde legendär und zeigt, dass es gar nicht so wichtig ist, ob der Mann mit dem weißen Bart tatsächlich auf Rentieren durch die Nacht reitet und Geschenke verteilt. Worum es eigentlich geht, ist der Zauber von Weihnachten, der weder für Kinder noch für Erwachsene jemals verlorengehen sollte.

Ein Auszug aus der New York Sun vom 21. September 1897:

"Virginia, Deine kleinen Freunde haben nicht recht. Sie sind angekränkelt vom Skeptizismus eines skeptischen Zeitalters. Sie glauben nur, was sie sehen: Sie glauben, dass es nicht geben kann, was sie mit ihrem kleinen Geist nicht erfassen können. […]

Es gibt ihn so gewiss wie die Liebe und die Großherzigkeit und die Treue. Und Du weißt ja, dass es all das gibt, und deshalb kann unser Leben schön und heiter sein. […]

Gewiss, Du könntest Deinen Papa bitten, er solle an Heiligabend Leute ausschicken, den Weihnachtsmann zu fangen. Und keiner von ihnen würde den Weihnachtsmann zu Gesicht bekommen. Aber was würde das schon beweisen? […]

Virginia, nichts auf der ganzen Welt ist wahrer und nichts beständiger. Der Weihnachtsmann lebt, und er wird ewig leben. Sogar in zehnmal zehntausend Jahren wird er da sein, um Kinder wie Dich und jedes offene Herz mit Freude zu erfüllen."