"Ich habe Jahre gebraucht, um es zu begreifen und endlich auszusteigen", sagt meine gute Freundin bei unserem Video-Call und ich nicke so heftig, dass mein Smartphone wackelt. Been there, done that. Und zwar auch viel zu lange. Wir reden darüber, wie es ist, von jemandem nicht loszukommen. Was das mit einem Herzen anrichtet. Und wo so ein selbstverletzendes Verhalten überhaupt herkommt.

Anlass für unser Gespräch ist die On-and-Off-Ehe meines Mitbewohners. Sein Noch-Mann hat sich schon vor einem guten halben Jahr getrennt. Aber er lässt nicht ganz los – nur, um dann doch wieder zu verschwinden.

Zuhören, trösten, warten

Ich beobachte das Hin und Her mit flauem Gefühl im Magen und weiß, dass ich da nicht viel machen kann. Nur da sein, zuhören, trösten. Denn ich habe diese Art des Dramas auch schon durch, das Sehnen und Warten und Hoffen.

Man hört, was alle anderen raten und wiederholen, ein bisschen davon kommt sogar an. Man spürt ja selbst, dass das nicht gut ist. Aber bis man das vollumfänglich auch mit der letzten Zelle begreift und Konsequenzen zieht, bis man sich selbst an die erste Stelle setzt und schützt, können Jahre vergehen. So war’s auch bei meiner Freundin. So war’s bei mir. So geht es meinem Mitbewohner – und vielen anderen: "In meine Praxis kommen oft Menschen, die sich aus Beziehungen nicht lösen können, obwohl sie ihnen nicht oder nicht mehr gut tun. Manchmal sogar schon lange nicht mehr", sagt Paartherapeutin Andrea Bräu.

Verlassensängste sind stärker als der Verstand

Woran liegt das, dass wir an einer Beziehung festhalten wollen, die nicht (mehr) funktioniert? Und mehr als das: Die einem permanent wehtut? Die nach und nach das Selbstvertrauen erodiert, bis nichts mehr davon übrig ist? Die dafür sorgt, dass das Herz sich irgendwann in einer Burg einmauert, Stacheldraht zieht und nur noch zitternd aus der Luke guckt?

Gründe dafür könnten in der Kindheit liegen. Unsere Eltern prägen die Art, wie wir lieben. Sie leben vor, was wir später als angemessen empfinden. Andrea Bräu: "Wir wiederholen in Beziehungen das, was wir gelernt haben, beziehungsweise wovon wir glauben, dass es so geht oder uns zusteht."

Und Eltern sorgen für ein sicheres oder eben unsicheres Grund-Bindungsgefühl. Genau das beeinflusst uns bis ins Erwachsenenalter massiv. Oder wie Expertin Bräu sagt: "Verlassensängste sind existenziell und dieser emotionale Umstand überlagert die rationale Sichtweise, dass die Beziehung nicht mehr funktioniert."

Bühne für das alte Drama

Wir leben unbewusst alte Muster weiter, weil sich das Falsche nun mal richtig anfühlt und weil ein versteckter Teil ganz hinten links im staubigen Winkel der Seele sich so sehr wünscht, dass es doch diesmal klappen möge mit dem Liebgehabtwerden.

Also suchen wir uns Partner*innen, die ähnlich funktionieren und agieren wie unsere Eltern, weil wir das Problem von damals lösen wollen. Wir bauen die Bühne für das alte Drama nach, suchen uns passende Darsteller*innen, arbeiten unermüdlich daran, dass das Stück diesmal anders ausgeht. Und hängen in einer Schleife fest. Andrea Bräu: "Wir wiederholen unsere Problemmuster so lange, bis wir es kapiert haben und den ganzen Spuk dort aufgelöst haben, wo er entstanden ist."

Der aktuelle Schmerz, verursacht durch Ablehnung und Zurückweisung, sitzt auf einem viel älteren, tieferen, stärkeren Mechanismus. Unter anderem deshalb ist es so schwer, "Hau ab!" zu sagen – und konsequent dabei zu bleiben.

Wie kommt man da raus?

Zunächst mal ist es eine prima Idee, sich mit klugen, freundlichen und nachsichtigen Menschen zu umgeben und wirklich zu versuchen, auf ihren Rat zu hören. Dabei kann ein Perspektivwechsel hilfreich sein: Was würde man dem*r guten Freund*in in der gleichen Situation empfehlen?

Außerdem kann man sich selbst etwas Gutes tun und damit ein Stück weit den Fokus von der Liebe auf andere Dinge lenken – Reisen, Yoga, Makramee, Gärtnerei, Trommeln. Alles, was gut tut!

Das hat jedoch Grenzen, wie Andrea Bräu erklärt: "Es geht in der Regel immer um fehlende Selbstannahme und Ablösung. Verhaltenstipps sind lediglich eine rationale Herangehensweise und daher oberflächlich. Kein traumatisierter Mensch kann sich rational kontrollieren." Beim Aussteigen aus alten Mustern kann dann zum Beispiel auch eine Gesprächstherapie nützlich sein.

Ein wichtiger Schlüssel heißt Selbstliebe: Sich selbst ein kleines Stückchen mehr lieb haben. Das überhöhte romantische Ideal der held*innenhaften Selbstaufgabe in Beziehungen ist toxischer Quatsch. In der Liebe ist es im Grunde wie im Flugzeug: Erst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, dann anderen helfen. Dann klappt's auch mit dem Hartbleiben.