"Tja, Ansage von ganz oben, da kann ich leider nichts machen. Wir müssen jetzt alle …" Ähnliche Sätze hat wohl schon jede*r im Berufsleben mal gehört. Durch Einsparmaßnahmen verdichtet sich die Arbeit, der Stress wächst, immer mehr Aufgaben werden auf immer weniger Schultern verteilt. Und es gibt Führungskräfte, die entsprechende Ansagen unreflektiert übernehmen, sich nicht vor ihr Team stellen und den Druck im Job ungefiltert nach unten leiten.

Der Weg des geringsten Widerstandes gehört zu den größten Problemen, die es in der Führungsstruktur eines Unternehmens so gibt. Denn wenn die Vorgesetzten ihr Team oder ihre Abteilung nicht mit Wertschätzung und Respekt leiten, werden sie selbst nicht respektiert. Und das hat weitreichende Folgen.

Die Guten gehen

"Wer Loyalität und Respekt haben will, der muss Loyalität und Respekt geben. Als Führungskraft ist man genauso für das Team da wie für das große Ganze", sagt auch Führungsexpertin und Coachin Anja Niekerken. "Das ist keine angenehme Position, denn oft stehen Ansprüche und Bedürfnisse beider Seiten nicht im Einklang." Sie miteinander in Einklang zu bringen, sei jedoch der eigentliche Job von Vorgesetzten: "Wer das nicht tut und einfach nur Befehlsweiterleiter ist, bekommt genau so eine Mannschaft: Befehlsempfänger, die nicht fürs Denken bezahlt werden."

Dieses Führungsverhalten kann laut Anja Niekerken auch konkrete personelle Konsequenzen haben: "Die wirklich guten, motivierten Mitarbeiter stellen entweder das Denken ein oder gehen. Die jährliche Gallup-Studie zeigt dies immer wieder sehr deutlich."

Wer also ein engagiertes, kreatives, produktives Team haben und behalten will, muss sich Respekt und Loyalität erarbeiten. Und das funktioniert logischerweise nicht durch nach oben buckeln und nach unten treten.

Darum geben Vorgesetzte Druck im Job weiter

Gründe für dieses Verhalten von Vorgesetzten gibt es viele – manche haben vielleicht einfach nur mal einen schlechten Tag. Passiert es jedoch regelmäßig, dass Druck im Job direkt weitergegeben wird, kann es laut Anja Niekerken auch an der Persönlichkeit liegen: "Verhalten wird in der Regel durch innere Überzeugungen und Prinzipien bestimmt. Führungskräfte, die sich als Opfer des Systems sehen oder kein Interesse an ihren Leuten haben, werden sich dem Druck nicht selbst stellen, sondern ihn immer an sich vorbei leiten." Und zwar nach unten. Dahin, wo sie – vermeintlich – am wenigsten Konsequenzen zu spüren bekommen.

Eine weitere Ursache dafür, dass Chef*innen den Druck im Job nach unten weitergeben, kann auch tief in der Unternehmenskultur verankert sein, sagt Diplom-Psychologin und Beraterin Madeleine Leitner: "Es gibt Kulturen, in denen Widerspruch überhaupt nicht denkbar ist, sondern wo einfach von oben nach unten runterdiktiert wird." Häufig sei das beispielsweise im öffentlichen Dienst der Fall. Diese Muster zu durchbrechen ist nahezu unmöglich. "Da ist Widerspruch sinnlos, beziehungsweise kostet wahrscheinlich den eigenen Job", sagt Madeleine Leitner.

In diesen Unternehmen würden üblicherweise nur Leute aufsteigen, die sich nach oben anpassen – und nicht diejenigen, die sich fürs Team einsetzen. "Das nennt man dann ‚Politik‘ oder ‚Selbstmarketing‘", sagt Madeleine Leitner. "Aber natürlich gibt es auch Feiglinge. Außerdem kann es Selbstschutz sein, wenn man bemerkt hat, dass Widerstand keinen Sinn ergibt."

Führung als Dienstleistung

Dabei ist es nicht so unendlich schwer, ein*e gute*r Vorgesetzte*r zu sein – vorausgesetzt, die Unternehmenskultur lässt es zu und der*diejenige legt eine entsprechende Einstellung an den Tag. "Meiner Ansicht nach ist es enorm wichtig, dass Führungskräfte nicht um der Führung willen führen, sondern Führung als Dienstleistung begreifen", sagt Anja Niekerken. Vorgesetzte haben nun mal per se eine vermittelnde Rolle, sie müssen den Druck im Job von beiden Seiten abfangen.

Konkret bedeutet das, dass sich die Angestellten immer auf ihre*n Chef*in verlassen können müssen und uneingeschränkt Rückendeckung bekommen – erst Recht dann, wenn der Druck im Job und die Anforderungen steigen. Niekerken: "Das Team muss das Gefühl haben, dass der Chef immer hinter ihnen steht, egal, was passiert, und immer ein offenes Ohr hat, wenn es Probleme gibt." Ist die angeordnete Mehrarbeit wirklich nötig und angemessen oder rockt das Team schon genug? Und wo liegt eigentlich das tatsächliche Problem?

Laut Madeleine Leitner erstreckt sich diese Anerkennung bis auf die persönliche Ebene: "Vor allem Wertschätzung ist wichtig und das Gefühl, dass man als Person gesehen wird – selbst, wenn nicht alles perfekt ist."

Was tun, wenn der*die Chef*in nach unten tritt?

Wie so oft hilft auch hier ein freundlich-klärendes Gespräch. Denn Vorgesetzte haben selbst Chef*innen und sind auch nur Menschen. Vielleicht merken sie gar nicht, dass sie den Druck im Job 1:1 weitergeben. Wenn jedoch die gesamte Unternehmenskultur auf Befehlsempfänger*innen zugeschnitten ist und Kritik nicht als Möglichkeit zur Weiterentwicklung, sondern als Majestätsbeleidigung begriffen wird, ist es schwierig bis unmöglich, daran etwas zu ändern.

So sieht es auch Anja Niekerken: "Ganz ehrlich? Ich würde gehen und mir bei meiner Suche nach einem neuen Job vor allem den Chef ganz genau anschauen. Das Problem ist oft, dass wir uns unsere Jobs nach Stellenbeschreibung, Gehalt, Firma und Ort aussuchen. Kündigen tun wir dann laut wissenschaftlicher Studien aber, weil der Chef ein Idiot ist."

Negativer Stress durch schlechte Vorgesetzte, die den Druck im Job weitergeben, wirkt sich nachweislich negativ auf das Unternehmensergebnis aus. Anders gesagt: Das Wohl der Mitarbeiter*innen ist entscheidend für den gesamten Erfolg. Das zu gewährleisten ist die wichtigste Aufgabe von Führungskräften.