Ich fühle mich matt und schläfrig. Nicht nur morgens, sondern schon die ganze Woche. Vor wenigen Tagen wurde die Zeit umgestellt, wieder eine Stunde zurück. Es ist jetzt offiziell Winter und ich bin verwirrt. Seit 1980 gilt die Sommerzeit dauerhaft. Wir sollen mit der vorgerückten Stunde im Sommer das Tageslicht besser nutzen. Ich frage mich, wie mir das gelingen soll, wenn mein Körper nicht mal aus dem Bett kommt.

Mein Schlaf ist mir heilig und essenziell. Ruhe ich mich nicht genug aus, bin ich schlapp und nicht so leistungsfähig, wie ich es gerne wäre. Dabei geht es beim Schlafen nicht darum, beim Erwachen noch produktiver zu sein. Warum das so ist, erklärt die Soziologin und Zeitforscherin Elke Großer im Interview.
ze.tt: Frau Großer, wir leben in lärmenden Großstädten und nehmen den Stress unseres Lebens mit ins Bett. Wie bedroht ist unser Schlaf?

Der Schlaf gerät offenbar mehr und mehr unter Druck, weil er, wie die Zeit selbst, wie ein knappes Gut behandelt wird. Das hat Folgen. Alltägliche Aktivitäten dehnen sich immer weiter in die Nacht aus. Immer mehr Menschen arbeiten in Schichtarbeit. Und man denke auch an die Vergnügungswirtschaft in modernen Großstädten. Berlin inszeniert sich beispielsweise als eine Stadt, die niemals schläft. Das Stichwort, das hierfür bekannt sein dürfte, ist die 24/7-Gesellschaft, die sich auch im Schlafzimmer selbst widerspiegelt.

Noch im Bett verfolgen wir unsere Instagram- und Twitter-Accounts. Die Zunahme künstlicher Beleuchtung und ihre Veränderung durch die neuen Techniken, vor allem das Licht mit hohen Blauanteilen, wie beispielsweise von Tablets oder Smartphones, beeinflussen den Schlaf. Und immer mehr Menschen leiden unter Schlafproblemen.

Wir sind ständig bemüht, mehr aus unserer Zeit herauszuholen. Der Schlaf ist aber eine völlig unproduktive Zeit, warum gilt auch hier das Effizienzdenken?

Mit der Industrialisierung entwickelten sich Vorstellungen zu mehr Produktivität und Effizienz. Schlaf wurde zum nutzlosen Störfaktor, der keinen Mehrwert erwirtschaftet. Schlaf in der Nacht und auch das Nickerchen tagsüber gelten als Produktionshemmnis und werden mit Ineffektivität, Müßigang und Faulheit in Verbindung gebracht. Wenig schlafen ist in unserer Kultur hip und wird als Beweis für Leistungsfähigkeit angesehen.
Seit wann versuchen wir, den Schlaf effizienter zu machen?

Schon seit dem 19. Jahrhundert gibt es Bestrebungen, den Schlaf effizienter zu gestalten oder zu verkürzen. Der Schlafforscher Jim Horne zum Beispiel wollte in den 1980er Jahren herausfinden, welche Schlafphasen zum sogenannten Luxusschlaf gehörten, indem er seine Studenten wochenlang immer kürzer schliefen ließ.

Und wenn wir abends an den Schlaf denken, dann sehen wir meist schon den morgigen Tag und, dass wir wieder leistungsfähig sein müssen, was uns meist schlechter schlafen lässt. Für viele ist Schlaf keine Zeit zum Genießen, sondern er soll vor allem eins – effizient sein.

Der Großteil der Menschen lebt nicht im Einklang mit dem eigenen biologischen Rhythmus.
Schlafen wir heute weniger als die Menschen früher?

Mit Beginn der Industrialisierung, Elektrifizierung und der Zeiteintaktung des Schlafes in den industriellen Alltag hat unsere Schlafmenge abgenommen. Vor allem Menschen, die von ihrem Chronotyp eine Eule sind – und das ist der Großteil der Menschen in unserer Gesellschaft – leben jenseits ihres biologischen Rhythmus und häufen unter der Woche ein Schlafdefizit an, weil zu frühe Arbeitszeiten oder der Schulbeginn ihrem inneren Rhythmus widersprechen.
Wie viel Schlaf ist genug?

Zur optimalen Schlafdauer lassen sich nur schwer generelle Aussagen machen. Viele Faktoren wie das Alter, das Geschlecht oder die genetische Bedingtheit beeinflussen die individuelle Schlafdauer. Wenn wir uns ausgeschlafen, leistungsfähig und emotional ausgeglichen fühlen, dann haben wir ausreichend und gut geschlafen. Das kann nach weniger aber auch mehr als sieben bis acht Stunden Schlaf sein. Es gibt auch berühmte ausgeprägte Kurz- beziehungsweise Langschläfer. Edison, der Erfinder der Glühbirne beispielsweise, hielt den Schlaf für eine schlechte Gewohnheit und schlief selbst meist nur zwei oder drei Stunden. Nobelpreisträger Albert Einstein wiederum benötigte mehr als zehn Stunden Schlaf. Und von Goethe sagt man, dass er ein wahrer Schlafkünstler war, für ihn war Schlaf einer der "höchsten Genüsse".
Schlafen wir besser oder schlechter als früher? Schließlich haben wir doch Apps mit Einschlaf-Meditation, spezielle Kissen und Wecker mit Wake-up-Light.

Wir scheinen eher schlechter zu schlafen. Wie der letzte DAK-Report 2017 zeigt, litten 80 Prozent der Erwerbstätigen unter Schlafproblemen und jede*r zehnte Arbeitnehmer*in sogar unter schweren Schlafproblemen. Seit 2010 ist der Anteil der von Ein- und Durchschlaf-Problemen-Geplagten um 66 Prozent angestiegen und schwere Schlafstörungen nahmen um 60 Prozent zu. Folgen sind Tagesmüdigkeit und Erschöpfung.
Welche Gründe führen zu diesen Schlafproblemen?

Insbesondere Schicht- und Nachtarbeit, wechselnde Arbeitszeiten, Wochenend- und Feiertagsarbeit begünstigen Schlafprobleme. Auch Arbeitsbedingungen wie Termin- und Leistungsdruck, Arbeit an der Grenze der Leistungsfähigkeit, zu wenige Pausen, Überstunden, ständige Erreichbarkeit oder Beschäftigungsunsicherheit erhöhen das Risiko für Schlafstörungen. Auch schlafen wir schlechter, weil viele Menschen noch vor dem Schlafengehen fernsehen, den Laptop oder das Smartphone nutzen und sich auch oft noch nach Feierarbeit um berufliche Belange kümmern.
Meditieren und die teuren Kissen helfen uns also auch nicht mehr?

Schlaffördernde Bedingungen, wie Entspannungstechniken oder Einschlafmeditationen vor dem Einschlafen werden nur selten angewendet. Die Schlafmedizin hat sich als eigenständiges Wissenschaftsfeld fest etabliert. Und die Schlafindustrie boomt, mit teuren Matratzen, Kopfkissen, speziellen Weckern oder Apps. Diese sollen uns einen perfekten Schlaf ermöglichen und ein sanftes Wachwerden. Die Angst vor Schlafstörungen führt fast dazu, dass wir uns mit dem Schlaf zwanghaft beschäftigen. Dabei sagen Daten aus Schlaf-Apps oder Fitnessbändern noch lange nichts über unsere Schlafqualität aus.
Sie haben Schichtdienste und die Beschäftigung mit beruflichen Dingen auch nach Feierabend angesprochen. Inwiefern sind diese atypischen Arbeitszeiten ein Risikofaktor für unsere Gesundheit? Die Forschungen der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger zur inneren Uhr legen eine Gefährdung  ja nahe.

Mehr Arbeitnehmer*innen arbeiten heute im Schichtdienst, am Wochenende oder sind nachts im Dienst. Wer nicht ausgeschlafen ist, ist müder, unkonzentrierter und macht mehr Fehler. Und diese ständigen Wechselschichten gegen die innere Uhr erhöhen das Risiko für weitere Erkrankungen, wie psychosomatische Beschwerden, psychische Störungen und körperliche Erkrankungen, wie Magen-Darm-Erkrankungen, Bluthochdruck, die Entstehung von Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebserkrankungen.

Auch gibt es eine höhere Scheidungsrate bei Schichtarbeiter*innen. Deshalb kann man nur begrüßen, dass der diesjährige Medizin-Nobelpreis für die Erforschung zur inneren Uhr vergeben wurde, denn nach der eigenen inneren Uhr leben, ist ein gesundes Leben. Hoffen wir nur, dass diese Forschungserkenntnisse auch gesellschaftlich Gehör finden und umgesetzt werden.
Jetzt zum Beginn der Winterzeit: Was macht die Umstellung mit den Menschen?

Am letzten Sonntag im Oktober wird mit dem Zurückstellen einer Stunde die Winterzeit eingeläutet. Und wir gewinnen eine Stunde zurück, die uns im Frühjahr genommen wurde. Eingeführt wurde diese kollektive Zeitumstellung eigentlich mal, um Energie zu sparen. Für diesen Energiespareffekt gibt es keine Beweise, eher zeigt sich aus Studien, dass diese sogar mit einem erhöhten Energieverbrauch verbunden ist.

Mit der äußeren Uhrumstellung, entweder im Frühjahr eine Stunde vor oder im Herbst eine Stunde zurück, kommt unsere innere Uhr nur verzögert mit."

Als Vorteil wird weiterhin gesehen, dass wir in den Sommermonaten länger schöne Abende genießen können. Aber was macht das nun mit dem Menschen: Mit der äußeren Uhrumstellung, entweder im Frühjahr eine Stunde vor oder im Herbst eine Stunde zurück, kommt unsere innere Uhr nur verzögert mit. Es kommt zur Desynchronisation der äußeren Uhrzeit und der inneren chronobiologischen Zeit.
Was meinen Sie damit genau?

Es kann mehrere Tage oder auch Wochen dauern, bis beide, innere und äußere Uhr, wieder im gleichen Takt schwingen. Wie Ergebnisse von Umfragen großer Krankenkassen zeigen, kommt es für viele Menschen zu zahlreichen gesundheitlichen Beschwerden, wie Schlaf- und Konzentrationsschwierigkeiten, depressiven Verstimmungen, Verdauungsbeschwerden oder allgemeinem Unwohlsein.

Die Zeitumstellung jetzt im Herbst wird von uns etwas besser weggesteckt als die im Frühjahr, hier sind die Beschwerden stärker ausgeprägt. Circa zehn Prozent müssen einen Arzt aufsuchen und auch das Herzinfarktrisiko ist deutlich erhöht. Auch ist die Unfallgefahr im Straßenverkehr nach der Zeitumstellung erhöht.
Sollte die Sommerzeit abgeschafft werden?

Schaut man sich die geschilderten gesundheitlichen Probleme an, die sich für viele Menschen nach der Zeitumstellung ergeben, kann man nur sagen, dass die Zeitumstellung abgeschafft werden muss. Die Frage, die dann allerdings bleibt, auf welche Zeit sollte man sich einigen, auf die Sommer- oder Winterzeit? Auch wenn wir die langen Sommerabende sehr schätzen, wäre es aus chronomedizinischer Sicht ratsamer, generell auf die Winterzeit umzustellen, da besonders das Tageslicht am Morgen wichtig ist, damit wir hell und wach sind, da das natürliche Tageslicht der entscheidende Taktgeber für unsere innere Uhr ist.
Sie sind Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik und fordern eine neue Schlaf-Wach-Kultur. Was bedeutet das?

Unser Schlaf ist hoch zeitpolitisch. Wirtschaftlich mag es zwar hoch attraktiv sein, rund um die Uhr beschäftig zu sein, aber Studien zeigen, dass die Nebenkosten einer schlaflosen Gesellschaft sehr hoch sind. Hier ist unbedingt ein ökonomisches und gesellschaftliches Umdenken notwendig. Ein Beispiel zu einem Modellprojekt, dass das Leben nach dem eigenen Chronotypus im Sinne eines guten Schlafes fördern möchte, ist die Chroncity Bad Kissingen.

Spezifische solcher Fragen wären: Wo ist Nachtarbeit notwendig und wo nicht, die Frage um die Sommerzeit, die nicht mehr zeitgerecht ist, beginnt die Schule insbesondere für Jugendlich zu früh oder inwieweit man auch das Nickerchen in der Mittagszeit in unserer Gesellschaft hoffähig machen könnte.
Was bedeutet Schlaf also für uns?

Der Schlaf ist etwas sehr Intimes, etwas Privates in unserem Leben. In dieser Zeit schirmen wir uns von unseren Anforderungen und Aufgaben des Alltags ab. Kehren sozusagen in uns selbst ein. Wir sind allein in dieser Zeit des Träumens, des Auslebens von Trieben, Fantasien oder Emotionen. Die Rückzugszeit Schlaf gehört zu den letzten Idyllen unserer Zeit, einer Zeit der Freiheit jenseits wirtschaftlich produktiver Zeiten.