"Wir werden alle pränatalen Tests machen, die es nur gibt, auf jeden Fall auch diesen Bluttest da …", erzählt mir ein Freund kurz nach der Verkündung der ersehnten zweiten Linie auf dem Schwangerschaftstests. Er ist 40, seine Freundin ist 38. "Findest du das übertrieben?", fragt er.

Übertrieben? Ich zögere. "Nein, übertrieben nicht", sage ich. "Aber wisst ihr denn auch, wozu ihr es wissen wollt?" Er ist Katholik, gläubiger, sie warten seit anderthalb Jahren auf diese zweite Linie.

"Naja, wenn was ist …", er zögert auch. "Trisomie 21, zum Beispiel?", frage ich.

"Was soll das sein?", fragt er. "Naja", sage ich, "Downsyndrom".

"Ach, hör doch auf mit so gruseligen Sachen", sagt er. "Das will ich jetzt gar nicht hören."

Gruselige Sachen? Downsyndrom? Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Mein dreijähriger Sohn hat eine seltene genetische Erkrankung, die pränatal nicht diagnostiziert wurde und die die meisten, die sie googlen, wahrscheinlich mindestens ebenso "gruselig" finden wie das Downsyndrom. Der Freund weiß das. Er kennt meinen Sohn, er kennt unser Leben. Er weiß, dass unser Leben nicht gruselig ist, dass unser Sohn nicht gruselig ist. Genauso wenig wie das Leben anderer Menschen und Familien mit Downsyndrom oder anderweitigen Behinderungen. Ich weiß nicht, warum er das sagt.

Ein Unglück – oder ein Wunder?

Eine Freundin hatte eine frühe Fehlgeburt. Ich versuche, sie zu trösten, ich weiß, wie sie sich fühlen muss – ich hatte zwischen der Geburt meines ersten und meines zweiten Kindes drei Fehlgeburten. "Naja", seufzt sie. "Wenn das Kind abgegangen ist, heißt das ja, dass mit ihm was nicht stimmt. Besser so, als wenn ich ein behindertes Baby bekommen hätte. Glück im Unglück."

Mein Sohn wäre auch eine Fehlgeburt gewesen, wenn er es nicht nach der Befruchtung geschafft hätte, eine nicht lebensfähige Chromosomenstörung in eine lebensfähige zu verwandeln. Dass es ihn gibt, ist kein Unglück, sondern ein Wunder.

Ich habe ein schlechtes Gewissen, aufzuschreiben, was meine Freundinnen und Freunde gesagt haben, als Beispiele für Dinge, die man vielleicht lieber nicht sagen sollte. Oft genug habe ich vor der Geburt meiner Kinder nicht gewusst, wie ich reagieren soll, war sprachlos oder fand nur die falschen Worte, wenn ich Menschen mit Behinderungen begegnet bin, wenn ich versucht habe, eine Freundin zu trösten, die ein Kind verloren hat. Oft genug geht es mir immer noch so.

Ihn nicht zu bekommen, wäre eine schrecklich falsche Entscheidung gewesen

Mein Freund und ich haben uns nicht bewusst dafür entschieden, unseren Sohn mit allen medizinischen Komplikationen zu bekommen, sondern, weil wir es nicht wussten. Wir haben auch Tests gemacht, während der Schwangerschaft mit beiden Kindern. Um vorbereitet zu sein, haben wir gesagt. Und ich glaube weiter daran, dass es richtig sein kann, vorbereitet zu sein, so gut es eben geht. Weil das medizinische Komplikationen ersparen kann, weil es vielleicht einen zermürbenden Diagnosenmarathon ersparen kann, weil es helfen kann, Akzeptanz zu finden und Begebenheiten entsprechend anzupassen. Doch wer weiß, wie wir uns entschieden hätten, wenn wir es gewusst hätten und nur Google als Blick in die Zukunft gehabt hätten.

In den Jahren seit der Geburt meines Sohnes habe ich mir oft gewünscht, er wäre so gesund, wie alle Eltern sich das für ihre Kinder wünschen.

Aber gerade deshalb: Ihn nicht zu bekommen, wäre eine schrecklich falsche Entscheidung gewesen. In den Jahren seit der Geburt meines Sohnes habe ich mir oft gewünscht, er wäre so gesund, wie alle Eltern sich das für ihre Kinder wünschen. Aber manchmal sehe ich auch die positiven Seiten und sehe, was wir alles nicht erlebt und erfahren hätten, wenn er ganz normal, ganz gesund zur Welt gekommen wäre.

Was wir alles verpasst hätten

Die Menschen, die wir nicht kennengelernt hätten: die Therapeutin, die eine enge Freundin, mehr noch, ein Familienmitglied für uns alle geworden ist. Die Familien, die mit derselben seltenen Erkrankung leben und international eine enge Gemeinschaft bilden, in der man auf jede Frage sofort eine hilfreiche Antwort bekommt. Die Eltern, mit denen wir niemals Berührungspunkte gehabt hätten – und deren persönliche Geschichten mich oft so berühren.

Die Dinge, die wir selbst gelernt haben: unser Wissen über medizinische und genetische Zusammenhänge, das mit der Geburt unseres Sohnes rapide angestiegen ist. Theoretische Erkenntnisse, praktische Fähigkeiten wie: Spritzen zu setzen, Sauerstoffflaschen zu befüllen, mit Krankenkassen und Ärzten zu kämpfen, mit Milchpumpe, Monitor und siebzehn verschiedenen Medikamenten im Gepäck zu reisen. Nicht alles zu glauben, was einem erzählt wird. Daran zu glauben, dass es immer irgendwie weitergeht. Vielleicht auch ein wenig mehr an Empathie, an Rücksichtnahme und Verständnis anderen Menschen und ihren Geschichten gegenüber.

Und dann denke ich und hoffe ich, dass zu diesen positiven Seiten vielleicht gehört, dass nicht nur wir erleben und erfahren: Das, wovor man als werdende Eltern so große Angst hat, das alles ist gar nicht so gruselig, wie man vorher vielleicht denken könnte. So groß ist die Angst, dass man mit Tests die Sicherheit erfahren möchte, ob diese Angst unbegründet ist. So groß ist die Angst, dass 90 Prozent sich für eine Abtreibung entscheiden, wenn die Angst wahr werden könnte. Aber vielleicht ist es eher eine Angst vor einem Gespenst als vor einem echten, wahren Menschen.

Die Behinderung ist für viele sichtbarer als der Mensch

Das zu erkennen, zu erleben, zu erfahren, ist die schlechten Zeiten in gewisser Weise wert. Und ich hatte gehofft, dass auch meine Freund*innen, meine Familie, mein Umfeld das erkennen können, dadurch, dass sie meinen Sohn kennen, dass sie unser Leben kennen. Dass wir – wie viele andere Familien – dazu beitragen können, dass Menschen mit Behinderungen irgendwann einfach zur Normalität einer Gesellschaft gehören. Solche Dialoge, die ich häufiger erlebe, als ich aufschreiben könnte, zeigen mir, dass wir immer noch weit davon entfernt sind. Dass die Erkrankung oder Behinderung für viele immer noch stärker sichtbar ist als der Mensch.

Ich könnte jetzt erzählen, dass mein Sohn lange schwarze Wimpern hat, blonde Haare und dunkelbraune Augen, ein entzückendes Grübchenlachen.

Ich könnte jetzt erzählen, dass mein Sohn lange schwarze Wimpern hat, blonde Haare und dunkelbraune Augen, ein entzückendes Grübchenlachen. Einen wirklich ziemlich witzigen Humor, Fantasie, eine beneidenswerte Unerschrockenheit, eine bewundernswerte Entschlossenheit und knallhartes Durchhaltevermögen. Aber darum geht es ja gar nicht. Jedes Kind ist einzigartig und besonders – das ist schließlich nichts Außergewöhnliches.

Frei von der Gesellschaft ist niemand

Drei Wochen nach meiner letzten Fehlgeburt hat eine gute Freundin ein Kind bekommen. Ich habe ihr nichts von der Fehlgeburt erzählt. Nicht, weil ich sie im Wochenbett nicht damit belasten wollte, sondern wegen eines Satzes, der ein halbes Jahr zuvor gefallen war. Sie hatte mit mir darüber gesprochen, dass sie ebenfalls pränatale Test machen lassen wollten, und dass sie und ihr Mann sich entschieden hätten, abzutreiben, wenn das Kind eine Behinderung oder Erkrankung haben sollte. "Denn ich habe ja bei euch gesehen, wie schlimm sowas ist."

Unser Leben schlimm? Schlimm, unseren Sohn bekommen zu haben? Das ist das Gegenteil davon, was ich erreichen wollte, wenn ich andere an unserem Leben teilhaben lasse.

Es ist schwierig: Ich bin für das Recht auf Abtreibung, egal ob aufgrund von Behinderung oder aus anderen Gründen. Und ich wundere mich, dass die Menschen, die zu Recht dafür eintreten, dass Ärzt*innen über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen, oft dieselben sind, die es verwerflich finden, wenn werdende Eltern sich entscheiden, sich mithilfe von Bluttests über mögliche Behinderungen ihres Kindes zu informieren. In beiden Fällen muss es das Recht auf Information geben – und aus der Information folgend das Recht auf Selbstbestimmung. Und wenn Frauen frei über ihren Körper und das Leben, das entstehen kann oder eben nicht, entscheiden sollen dürfen, muss das auch für den Fall gelten, dass dieses Leben eine Behinderung beinhaltet.

Aber: Die wenigsten Menschen sind eben wirklich frei. Frei von gesellschaftlichen Normen, frei von Ängsten, was passiert, wenn sich ihr Leben außerhalb dieser gesellschaftlichen Norm bewegt. Die wenigsten Eltern sind wirklich selbstbestimmt, wenn nach einem Bluttest mit dem gefürchteten Ergebnis die Berichte, die Ärzt*innen oder Google ausspucken, ein abschreckendes Bild liefern.

Manchmal schön, manchmal traurig, meistens normal

Die wenigsten Menschen haben eben wirklich Kontakt zu Kindern oder Erwachsenen mit Behinderungen. Und darum auch wenig Ahnung davon, wie das Leben für solche Familien tatsächlich aussieht. Nicht immer rundum glücklich, nein, natürlich nicht. Natürlich jammern mein Freund und ich auch mal über unser Leben, über alles, was anstrengend ist mit unserem Sohn, anstrengend teilweise auch, weil er eben nicht ganz gesund ist. Aber trotzdem ist unser Leben normal: normal für uns, normal für unseren Sohn, ganz normal, nämlich manchmal anstrengend und manchmal wunderschön, manchmal gibt es traurige Momente, manchmal glückliche, und dazwischen ist einfach sehr viel sehr normaler Alltag.

Die wenigsten Menschen haben eben wirklich Kontakt zu Kindern oder Erwachsenen mit Behinderungen.

Die meisten Menschen wissen das nicht. Aber die Menschen, die Kontakt mit uns und unserem Sohn haben, könnten es wissen, sollten es wissen. Und ich wüsste gerne, was wir tun können, damit zumindest diese Menschen keine Angst mehr haben. Damit sie sich frei und selbstbestimmt entscheiden – frei von der Angst vor einem gruseligen Leben.