"Und es hat einfach so durch dein Becken gepasst?", ruft mir die neue Kollegin über den Gang des Großraumbüros zu. Ja, das hat es, Sohn Nummer eins. Genauso wie der zweite, der noch in meinem Bauch strampelte. "Eeecht?", kreischt es von gegenüber. Die Kollegin, Ende zwanzig, sieht mich fassungslos an. Ich kann mir bereits vorstellen, welche Fragen sich in ihrem Kopf gerade wirr aneinanderreihen.

Normalerweise höre ich sie erst, sobald das zweite Glas Wein die Zunge löst. Sie kommen nicht nur von der Kollegin Ende zwanzig. Freundinnen flüstern sie ins Telefon, zufällige Bekanntschaften auf Partys im Freundeskreis stellen sie leise, sobald klar wird, dass ich zwei kleine Kinder habe. Kein Wunder: Wen soll man schon fragen, wenn kaum eine Akademikerfrau unter 30 Kinder bekommt?

Trotzdem staune ich immer wieder. So sind sich zum Beispiel alle diese Frauen einig, dass die verurteilte Gießener Frauenärztin Kristina Hänel recht hat, wenn sie auf ihrer Webseite über Schwangerschaftsabbruch aufklärt. Dass es ein Recht jeder Frau sein muss, Information über alles, was mit Schwangerschaft oder eben Schwangerschaftsabbruch zu tun hat, zu bekommen. Was allerdings das Kinderkriegen selbst angeht und den Anfang davon, die Geburt, halten sich ein paar schräge Annahmen ziemlich hartnäckig. Diese fünf Klischees diskutiere ich am Ende jedes Partygesprächs zum Thema Kinderkriegen und Geburt:

1. "Voll peinlich, oder?!"

Alle natürlichen Geburten haben eines gemeinsam: Die Frau muss irgendwann zumindest untenrum nackt sein und ein Kind aus sich herauspressen. Klingt nicht schön. Ist es auch nicht. Es tut weh, es zehrt an allen Kräften, du denkst, du kannst nicht mehr. Was meine Gesprächspartnerinnen aber viel mehr interessiert: "Was, wenn ich aus Versehen noch was anderes herauspresse? Voll peinlich!" Passiert! Und trotzdem ist die Sorge, dass da aus Versehen was rauskommt, etwa so relevant wie die Überlegung, ob meine Mascara wasserfest ist, wenn mein Schiff gerade auf offenem Meer untergeht.

Wer es trotzdem peinlich findet, dem hilft vielleicht eine Geschichte meiner Münchner Hebamme. Sie sagt von sich selbst, sie habe schon alles erlebt: Fruchtwasser aus einer geplatzten Fruchtblase im Gesicht, Exkremente auf ihren bloßen Händen. "Das macht mir nichts aus", sagt sie, "das ist mein Job." Nur eine Frau habe sie bisher an ihre Grenzen gebracht: Als diese mit starken Wehen eingeliefert wurde, schickte sie die betreuende Hebamme aus dem Zimmer. "Erst kurz bevor das Kind kam, rief sie ruppig von nebenan: ‚Ziehen Sie sich die Handschuhe an!‘", erzählt sie mir. Nicht Fruchtwasser, nicht Kot auf der Haut würden sie beschämen. "Sondern dieses Gefühl, jemandem helfen zu wollen, der lieber leidet, als meine Hilfe anzunehmen."

2. "Ich würde das ja niemals durchhalten"

Hypno-Birthing, geburtsvorbereitende Akupunktur oder Schmerzmittel: Es gibt heutzutage zum Glück viele Helferlein, die werdenden Müttern die Geburt erleichtern. Und keine Frau muss sich rechtfertigen, eines oder alle von ihnen in Anspruch zu nehmen. Manchen reicht aber auch die fest gedrückte Hand ihres*r Partner*in.

Die US-amerikanische Geburtsfotografin Steph Jones begleitet Frauen regelmäßig durch die Tortur und auch die Freude, einem neuen Menschen das Leben zu schenken. "Ich glaube von ganzem Herzen, dass Frauen nicht wissen, wie stark sie sind, bis sie ein Kind zur Welt bringen", kommentiert sie eines ihrer Fotos.

3. "Ich wollte auch jung Mutter werden, aber …"

Der absolute Klassiker unter den Aussagen junger Akademiker-Frauen. Verständlich, dass Mutterschaft Angst macht. Sie bedeutet mehr Verantwortung und weniger individuelle Freiheit. Gleichzeitig sollen Frauen die Familiengründung auch noch im Vorbeigehen wuppen: Kinder haben, einen tollen Job, eine Beziehung, coole Freund*innen. Bis das alles organisiert ist, geht es ratz, fatz auf die 30 zu.

Ist ja noch jung? Bei gesunden Paaren unter 30 liegt die monatliche Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft bei unter 30 Prozent, sagt der ärztliche Direktor der Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Fertilitätsstörungen an der Uniklinik Heidelberg Prof. Dr. Thomas Strowitzki. Trotzdem begegneten mir vor allem mit Mitte, Ende zwanzig die meisten Frauen mit Verwunderung: "Du hast schon Kinder?" Mittlerweile, mit 30, folgt darauf der Klassikersatz verschiedener Erklärungen, die wie Entschuldigungen klingen: die Gehaltsstufe, die Vertragsverlängerung, die Selbstverwirklichung, der Umzug, die Rucksacktour. Ich weiß dann nie, wem diese Entschuldigung eigentlich gelten soll – und hoffe, nicht ihnen selbst.

4. "Was hat die Geburt mit deinem Körper gemacht?"

"Too posh to push", zu fein, um zu pressen, sagt man in den USA über Frauen, die ihr Kind ohne medizinischen Anlass verfrüht per Kaiserschnitt holen lassen. Manche tun das, um Schmerzen zu umgehen. Viele Frauen, die wegen ihres Körpers in der Öffentlichkeit stehen, lassen sich das Baby aber auch schon mal eher aus dem Bauch holen, damit er nicht so übermäßig wächst - und später schneller flach ist. Denn gerade in den letzten Wochen der Schwangerschaft nimmt der Bauchumfang noch einmal deutlich zu.

Natürlich hängt es auch vom Ess- und Bewegungsverhalten einer Frau ab, wie viel sie in der Schwangerschaft zunimmt. Trotzdem lagern manche Schwangeren literweise Wasser ein, andere sehen bis zur Geburt von hinten gertenschlank aus. Diäten sind aber während der Schwangerschaft tabu. Höchste Zeit, dass der #afterbabybody nicht mehr als Statussymbol angesehen wird. Der größte Erfolg ist doch schon geschafft: Du hast ein Kind geboren. Und darauf kann jede stolz sein, die noch so sehr mit ihrem Körper hadert.

5. "Alles muss perfekt sein"

Es gibt schnelle und schwierige Geburten, keine ist ein Spaziergang. Trotzdem können sich die allermeisten Frauen nach der Geburt auf eine gemeinsame Erfahrung einigen: die Überwältigung, einem Menschen aus eigener Kraft das Leben geschenkt zu haben. Und trotzdem muss auch dieses Gefühl mittlerweile bis ins letzte Detail geplant und dokumentiert sein.

"Schwangerschaft und Geburt werden von Frauen immer mehr wie Projekte behandelt", sagt Paula-Irene Villa, Professorin der Soziologie und Gender Studies an der LMU München und Mitherausgeberin des Sammelbandes Soziologie der Geburt. Mit den vielen positiven Freiheiten, die Frauen heute zum Beispiel bei der Wahl des Zeitpunkts einer Schwangerschaft und der Art der Geburt hätten, steige auch der Druck: Habe ich die perfekte Klinik gewählt? Das richtige Elternzeitmodell? Die beste Kinderwagen-Marke?

So wollen werdende Eltern möglichst alle Unwägbarkeiten des Kinderkriegens schon vorher ausschließen. Die Wahrheit ist aber: Die Schwangerschaft lässt nur erahnen, dass da bald noch jemand sein wird. Unvorhersehbar bleibt das Leben mit einem Kind für immer – auch wenn das auf der Party unter Endzwanziger*innen niemand hören mag.