Eigentlich war es schon immer so. Auf allen Weihnachtsfotos aus meiner Kindheit liege ich auf dem Sofa, mit roten Fieberwangen oder sehr, sehr blass. Rechts neben mir Maria und Josef an der Krippe, links neben mir der Kotzeimer.

Als Mensch mit Geburtstag kurz vor Weihnachten war es für mich spätestens am Abend des 24. Dezembers immer zu viel. Zu viel Aufregung, zu viel Essen, vielleicht sogar zu viele Geschenke. Ich war also krank, immer. Ab dem zweiten Weihnachtstag ging es dann wieder. Silvester war mir schon immer egal. Aber die Tage dazwischen, die waren gut. Sie bestanden aus Zeit, aus viel Zeit. Zeit zum Geschenke ausprobieren, Zeit zum Schlittenfahren und Zeit, die einfach da war, ohne besondere Aufgabe, ohne besonderen Sinn.

Später, mit Mitte 20, verbrachte ich die Nächte zwischen den Jahren in Bars und Clubs und die Tage mit mehreren Katern auf meinem Sofa. Ohne schlechtes Gewissen, weil ich Urlaub hatte und so lange schlafen konnte, wie ich wollte. Und ich wollte lange schlafen, sehr lange. Kurz vor Sonnenuntergang schaffte ich es nach draußen – wobei manchmal nicht klar war, ob die Sonne wirklich zwischendurch aufgegangen war – in ein Café mit einer Freundin. Mehr brauchte ich nicht, es war genau richtig so. Zeit, viel Zeit. Zeit zum Lesen, Zeit zum Musik hören. Zeit zum Ausgehen ohne Reue.

Heute, mit Mitte 30, bin ich wieder froh, wenn Geburtstag und Weihnachten überstanden sind. Ja, das ist alles sehr schön mit den Geschenken, erst für mich, dann für mein Kind. Als Engel beim Krippenspiel in der Kirche ist mein Kind wirklich herzallerliebst anzuschauen und ich ganz baff, dass es da eine Stunde lang mal gar nichts sagt und staunend der komplett auswendig gelernten Weihnachtsgeschichte lauscht. Anschließend die leuchtenden Augen vor dem Weihnachtsbaum mit den Geschenken und die vielen Geheimnisse rund um die weihnachtlichen Mythen – alles wirklich gut, doch. Aber meine liebste Zeit beginnt danach. Ich genieße: das Nichts. Und das Nichtstun.

Wie im Swinger-Club

Berlin ist leer und ich bin es auch. Und das ist gut so. Ich will nichts und die Tage wollen nichts von mir. Einfach so und ohne Grund oder Rechtfertigung faul sein. Oder doch mal ins leere Museum gehen, ein paar Seiten in einem Buch lesen, die eine

Podcast-Folge hören. Oder auch nicht. Es ist ein bisschen wie im Swinger-Club: alles kann, nichts muss. Ich bin niemandem eine Rechenschaft schuldig, nur mir selbst. Die Tage zwischen den Jahren sind an Unprätentiösität kaum zu überbieten. Sie stehen da im Kalender zwischen den großen Feiertagen des Jahres, dabei müsste man eigentlich sie selbst feiern. Aber sie wollen nichts, sie wollen nicht mal gefeiert werden.

Für die Entstehung der Redewendung zwischen den Jahren gibt es viele Erklärungen. Mir gefällt am besten eine ganz alte: Die Ägypter teilten ihr Jahr in zwölf Monate à 30 Tage ein. Am Ende blieben dann aber noch fünf (im Schaltjahr sechs) Tage übrig. Das waren die Tage zwischen den Jahren. Diese Tage waren also einfach übrig. Und damit sind sie genau das, was ich mir den Rest des Jahres oft wünsche. Zeit, die einfach übrig ist. Tage, an denen ich nicht weiß, welcher Wochentag ist, weil es schlicht egal ist.

Die Tage zwischen den Jahren stehen für Freiheit, für Entschleunigung, für einen Wechsel und einen Wandel – und damit für das Leben. Und ja, manchmal sogar für das Nachdenken über den Sinn. Aber bitte ganz in Ruhe. Mit viel Zeit.