119 Schuss, 140 Sekunden Dauerfeuer. Für 99 Euro und 95 Cent wartet es das ganz große Silvesterglück. In Berlin-Moabit gibt es vor dem Supermarkt einen eigenen Stand für Feuerwerkskörper. Davor? Ganz schön wenig los. Nur ein paar Neugierige, die alle nur das Eine wollen: starren. Mein Freund und ich machten unsere Witzchen, klemmten uns jeder noch ein Fladenbrot unter den Arm und gingen raus.

Draußen: Kriegszustand. Ich lebe in Berlin, im vergangenen Silvester war es Hannover, im Jahr davor Hamburg. Ich bezeichne mich also als kampferprobt. Nur wirklich mitgemacht habe ich noch nie. Als ich klein war, waren Raketen für uns unbezahlbar und ich stand mit traurigen Augen davor. Ich wusste es nicht besser.

Heute sind sie mir ein bisschen unheimlich und irgendwie noch immer viel zu teuer. Böller? Seh ich überhaupt nicht ein. Laute Geräusche und Gestank kann man auch anders machen.

"Ist überhaupt einer pro-Böllern?" Das fragte mich Kollege Mark, als ich ein Streitgespräch vorschlug. Und Manuel sagte: "Ich war gestern in einem Hinterhof am Kottbusser Tor in einer Bar – so stell ich mir Kabul oder Homs vor."

Ja. Gutes Argument. In den Hangars des Tempelhofer Felds sind Flüchtlinge untergebracht, sie kommen aus dem Krieg in Syrien, Explosionen und Tod waren ihr Alltag. Diesen Zettel hat die AFP-Journalistin Deborah Cole vor ein paar Tagen hier entdeckt. Er warnt Flüchtlinge vor der Silvesternacht und will beruhigen: Hier wird gefeiert, nicht geschossen.

Darf das ein Argument sein? Müssen sich die Flüchtlinge nicht unseren Bräuchen anpassen? Das kann von mir aus jeder sehen wir er will, aber nehmt euch einen kleinen Augenblick Zeit, für dieses Gedanken-Experiment: Ihr habt Monate im Krieg verbracht. Explosionen, dumpfe Knallgeräusche bedeuteten Tod, Zerstörung. Das Gehirn speichert Sinneseindrücke und es verknüpft sie mit Emotionen.

Emotionen sind ein guter Punkt. Was kickt uns eigentlich an Böllern und Raketen? Ich ging natürlich erstmal davon aus, dass ich den Effekt  einfach nicht beurteilen kann. Also habe ich die Frage bei Twitter gestellt,

Okay. Der Kick, das Risiko. Das ist zwar ein Kick, der uns ganz schnell ein paar Fingerchen kosten kann, aber bitte.

Seit Tagen geht das schon so, auch das ist ein Problem.

Es nervt, es nimmt der Silvesternacht den Zauber, es erschreckt Tiere. Bekannte von mir haben ihrer Hündin jetzt eine Böller-CD gekauft. Damit sich das arme Tier langsam daran gewöhnen kann.

Mehr als 120 Millionen Euro sollen wir in den vergangenen Jahren für Feuerwerkskörper ausgegeben haben. Böller sind dabei billig zu haben, wer sich die 140-Schuss-Batterie nicht leisten kann, der greift eben zum China-Böller.

Meine Mutter bekam den Schreck ihres Lebens, als ich im Alter von sieben Jahren mal einen auf der Straße aufhob. Ohja, die Dinger sind gefährlich. Nur für Idioten? Meine Lieben, wir sind alle Idioten. Im Sommer, als die Amerikaner ihren Unabhängigkeitstag feierten, verloren zwei NFL-Spieler insgesamt drei Finger, in Deutschland gab es im vergangenen Jahr diverse Feuer und Verletzte, Häuser waren einsturzgefährdet, ein neunjähriges Kind bekam einen Böller ab.

Wir hatten ein hartes Jahr, kommentiert die Welt. Wir sollten es krachen lassen. Kein Widerspruch an dieser Stelle. Gefühlt wird alles immer schlimmer. Lasst uns bitte feiern.

Feuerwerke sind zauberhaft schön, ja. Böller aber nicht. Und all diese Dinge sind nur etwas für ausgebildete Pyrotechniker. Ich rühre keine Feuerwerkskörper an, weil es mir nichts gibt, eine Lunte anzuzünden und dann einem Lichtstrahl hinterher zuschauen. Man stelle sich vor, was Vereine von Pyrotechnikern mit den 120 Millionen Euro anstellen könnten.