Mit nichts anderem werden Smalltalks so häufig begonnen wie mit der Frage, wer wie sein Geld verdient. Identifikation erfolgt über den Beruf und hinter der Beurteilung anderer Personen steckt die Annahme, man könne von der Jobwahl auf bestimmte Charaktereigenschaften schließen.

Einige Berufe schneiden vor dem kritischen Auge der Gesellschaft besser ab als andere. Das zeigen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Forsa, in denen 2.003 Testpersonen ab 14 Jahren gefragt wurden, welche Berufe sie am meisten schätzen (PDF). An der Spitze halten sich seit Jahren hartnäckig Feuerwehrleute, Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen und Polizist*innen.

In diesen drei Berufen geht es um andere Werte als nur Einkommen, Bildungsstand oder Machtposition. Wie hoch angesehen ein Beruf ist, hängt offenbar damit zusammen, welchen Nutzen er für die Gesellschaft hat, wieviel Selbstaufopferung, Mut und Verantwortungsbewusstsein zu seiner Umsetzung nötig sind. Das zeigt sich besonders gut am Beispiel der Krankenpflegerin, die weder besonders gut verdient, noch einen akademischen Bildungsgrad vorweisen muss, noch viele Angestellte unter sich hat. Aber sie hilft Menschen – und das selbstlos.

Demnach überrascht es nicht, dass Mitarbeiter*innen von Telefon-, Werbe- und Versicherungsagenturen gesellschaftlich das geringste Ansehen genießen. Sogar Dachdecker*innen, Müllleute und Soldat*innen stehen über Unternehmer*innen, Steuerberater*innen und Manager*innen. Den größten Imageschaden innerhalb der letzten Jahre mussten die Bankangestellten erleiden. Konnten sie sich noch vor zwei Jahrzehnten eines hochgeschätzten Beamtenjobs rühmen, gelten sie heute eher als Verbrecher, im besten Fall als Langweiler. Die Dating-Plattform Tinder kam zu ähnlichen Ergebnissen, als sie die Anzahl von Rechtsswipes angesichts verschiedener Berufe ermittelte. Die Physiotherapeutin und Krankenschwester, der Feuerwehrmann und Arzt werden nicht nur gesellschaftlich wertgeschätzt, sondern auch als besonders sexy und attraktiv empfunden.

Das sagt die Philosophie

Selbstloses Schaffen im Dienste der Gesellschaft – entspricht das auch den Vorstellungen der Philosophie? Aristoteles propagiertes eine andere Haltung zur Arbeit. In der "Nikomachischen Ethik" lobt er ein Leben der Kontemplation, der reinen, untätigen Betrachtung, als die höchste Lebensform. Jede Art von Tätigkeit, die auf einen direkten Zweck wie etwa den Gelderwerb gerichtet sei, hält er für unwürdig. Je weltabgewandter der eigene Beruf, je mehr man ihn um seiner selbst willen lieben könne, desto besser. Deshalb ist für Aristoteles ein der Philosophie und Theorie gewidmetes Leben die höchste und unabhängigste Form des Glücks. Erst an zweiter Stelle steht für ihn das politische Leben, in dem wir unsere Vernunft in Gesellschaft und im Dialog mit anderen üben und somit unsere ethischen Tugenden verwirklichen.

Zweckunabhängigkeit und Weltabgewandtheit scheinen jedoch heute keine Bewunderung mehr hervorzurufen. Wer auf einer Party auf die Frage nach dem eigenen Beruf "Philosophin" antwortet, erntet mitleidige Blicke. Auch Politiker*innen werden selten mit dem Lob ausgezeichnet, mit dem sie die antike Philosophie bedachte. Unser Kriterium der Beurteilung scheint nicht mehr zu sein, wie sehr man eine Tätigkeit um ihrer selbst willen und ohne irgendeine Absicht lieben kann. Sondern vielmehr, wie groß ihr Dienst an der Gesellschaft ist.

Die Philosophin Hannah Arendt leitete im 20. Jahrhundert eine entsprechende Wende im philosophischen Denken ein. Wir sind politische Wesen, die erst in Beziehung zu anderen ihr Glück erwirken, schreibt sie in ihrem Werk "Vita activa oder vom tätigen Leben". Das tätige Leben sei nämlich von Aristoteles zu Unrecht in den Bereich der notwendigen, alltäglichen Übel hinabgestoßen worden. In Wahrheit sei das Handeln ("vita activa") mindestens genauso wertvoll wie das Betrachten ("vita contemplativa"). Zwar meint Arendt in erster Linie politisches Handeln, trotzdem entspricht ihr Fokus auf das gemeinschaftliche Leben eher den heutigen Idealen sogenannter Fürsorge-Berufe. Gesellschaftlicher Konsens und philosophisches Vorstellungen liegen hier nah beieinander.

Worauf warten wir noch?

Dass die Bevölkerung bestimmte Berufe mit Anerkennung versieht, heißt noch lange nicht, dass diese insgesamt häufiger vertreten sind. Seit Jahren führt die Betriebswirtschaftslehre die Liste der beliebtesten Studienfächer an, bei Frauen wie bei Männern. Und das, obwohl damit einhergehende Berufe wie Manager*in, Unternehmensberater*in und Bankangestellte*r von der Bevölkerung und der Philosophie nicht besonders geschätzt werden. Ihnen fehlen sowohl die aristotelische Unabhängigkeit von Zwecken als auch die arendtsche Erfüllung ethischer Pflichten. Wer gerade auf der Suche nach einem Studienfach oder einem gesellschaftlich anerkannten Beruf ist, der sollte sich die Lehren der Philosophie zu Herzen nehmen.