Wākea, der Himmelsvater, sah eines Tages nach unten und erblickte Papa, die Erdmutter. Die Liebe der beiden war so stark, dass sich die Erde aus dem Ozean erhob und dem Himmel entgegenstreckte. Berge und Vulkane entstanden – und die Inseln Hawaiis. So besagt es die Legende, die in der indigenen Bevölkerung Hawaiis seit Generationen weitergetragen wird. Die Mythen und spirituellen Erzählungen spielen eine wichtige Rolle im Leben der indigenen Hawaiianer*innen. Eine besondere Funktion kommt dabei dem Vulkan Mauna Kea zu.

Der höchste Berg Hawaiis, dessen Spitze über den Wolken liegt, gilt als heiliger Ort, an dem es möglich ist, mit den Toten in Kontakt zu treten. Außerdem sollen in dem Berg verschiedene Gottheiten leben. In der Vergangenheit war es darum nur den Ali'i, den Oberhäuptern der Gemeinden, erlaubt, den Gipfel des Mauna Kea zu besteigen.

Diese mythologische und spirituelle Bindung an den Mauna Kea treibt Hawaiianer*innen seit Jahren auf die Straße. Denn auf dem Gipfel des Berges soll ein Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 30 Metern entstehen. Die Bedingungen auf dem Mauna Kea sind laut Wissenschaftler*innen einmalig. Es gibt wenig Lichtquellen, das Wetter über den Wolken verändert sich kaum und die Luft ist sehr klar. Das TMT (Thirty Meter Telescope) würde es Astronom*innen ermöglichen, das Universum genauer zu erforschen. Es könnte, so die Forscher*innen, unter anderem den Blick auf Schwarze Löcher in fremden Galaxien ermöglichen und das Wissen über dunkle Materie revolutionieren. Mehrere internationale Universitäten sind am Bau des TMT beteiligt, darunter das California Institute of Technology und weitere Hochschulen aus Kanada, Indien und China.

Mauna Kea gehört zur Familie

Die Planung des TMTs begann 2009, fünf Jahre später wollten die Universitäten mit dem Bau beginnen. Doch die polynesischen Ureinwohner*innen Hawaiis protestierten und versuchten das TMT durch gerichtliche Prozesse zu verhindern. In einer aktuellen Petition rufen über 70.000 Menschen dazu auf, die Bebauung des Mauna Kea zu stoppen. Die Regierung Hawaiis setzt sich jedoch für die Entstehung des Teleskops ein. Sie erhofft sich, dass das TMT Hawaii eine Vorreiterposition in der astronomischen Forschung sichert, Jobs schafft und die Wirtschaft des Landes stärkt.

Da ihre Bemühungen, die Entstehung des TMTs zu verhindern, bisher erfolglos waren, protestieren mehrere Tausend Aktivist*innen seit vergangener Woche am Fuße des Mauna Kea und blockieren Zufahrtsstraßen zu der geplanten Baustelle. Gegenüber BBC erklärte ein Aktivist, der Vulkan sei wie ein Familienmitglied: "Wir lieben und beschützen sie (Mauna Kea, Anm. d. Red.), denn sie liebt und beschützt uns." Wissenschaft, die mit Gewalt und Zerstörung gegen die indigene Bevölkerung vorginge, sei unmoralisch und nicht tragbar. "Die Gemeinschaft, die von dem Teleskop profitiert, ist nicht die Gemeinschaft, die für seine Entstehung Opfer bringen muss", sagte eine weitere Aktivistin.

Bereits über 30 Verhaftungen

Bei der Blockade kam es bereits zu über 30 Verhaftungen. Laut Angaben des Hawaiianischen Politikers Dan Dennison wurden die Personen inzwischen wieder freigelassen. Gleichzeitig erließ Gouverneur David Ige ein Dekret, dass der Polizei besondere Handlungsfreiheit bei der Auflösung der Demonstrationen erteilte. Einheiten der Nationalen Garde und Polizeikräfte aus Honolulu wurden angefordert, um die Polizei vor Ort zu unterstützen.

Der Konflikt um Mauna Kea wird durch die Geschichte der Insel befeuert. Bei dem Vulkan handelt es sich um sogenanntes abgetretenes Land, das von den Einwohner*innen der Inseln nur unter bestimmten Bedingungen an die USA abgetreten wurde. Der Begriff stammt aus der Entstehungszeit der Republik Hawaii gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Mit der Auflösung der Monarchie ging das Land der Krone an die Bevölkerung über. Als Hawaii 1959 Teil der USA wurde, wollten die Einwohner*innen einen Teil ihres Landes schützen. Sie trafen mit den USA die Vereinbarung, dass das ehemalige Land der Krone nur unter bestimmten Umständen an die USA abgetreten wird. Das Gebiet muss öffentlich, zu Bildungszwecken und zur Verbesserung der Lebensbedingungen der indigenen Bevölkerung genutzt werden. Darum sehen manche in der Zukunft des Mauna Kea ein Symbol für den Umgang mit den Nachfahr*innen der Ureinwohner*innen und der Kultur Hawaiis – und kämpfen um Respekt und Anerkennung.

Digitaler Zuspruch

In den sozialen Medien sprechen viele Menschen den Demonstrierenden ihre Unterstützung zu. Unter den Hashtags #kūkiaʻimauna und #protectmaunakea zeigen sie ihre Solidarität oder posten Fotos, auf denen sie ihre Hände zu einem umgedrehten V zusammenlegen, das an einen Berg erinnert. Ob der Bau des TMT in den kommenden Tagen beginnen kann, ist bisher unklar.