Adam und Hannah haben Sex. Hannah liegt unten, Adam oben. Dann zieht er auf einmal raus und fragt Hannah: "Wo soll ich kommen?" "Es sieht so aus, als würdest du gerne auf meinen Brüsten kommen, also denke ich, dass du das machen solltest, denn ich möchte, dass du kommst. Und es sieht so aus, als würdest du das gleich machen."

Umständliche Reaktion, aber so macht es Adam dann. "Das war super. Ich bin fast gekommen", kommentiert Hannah und Adam fragt, ob sie ein Softgetränk haben möchte.

Der Orgasm Gap

Hannah möchte keins. Stattdessen zeugt ihr Gesichtsausdruck von dem, was mittlerweile unter der Bezeichnung Orgasm Gap läuft: der Tatsache, dass Frauen bei heterosexuellem Sex deutlich weniger kommen als Männer.

Allerdings, und das macht diese Szene auch so aufschlussreich, geht es nicht nur darum, dass Hannah nicht kommt. Sondern darum, dass es ihr auch nicht so wichtig zu sein scheint. Denn der Sex endet schlicht mit einem quasi anerkennenden "Ich wäre fast gekommen" und der beruhigenden Gewissheit auf den Brüsten: Für ihn muss es irgendwie gut gewesen sein. Diese achselzuckende Einstellung dem eigenen Orgasmus gegenüber teilt die Figur der Hannah mit vielen Frauen.

Was die Szene aus Girls mit anschaulicher Unterhaltsamkeit vorführt, lässt sich auch mit etwas weniger unterhaltsamer Abstraktheit, dafür umso aufschlussreicher in Zahlen ausdrücken: Im Rahmen einer Studie des Population Research Institute in Finnland wurden mehr als 6.000 Frauen nach ihren sexuellen Erlebnissen befragt. Fast alle Frauen gaben dabei an, dass es ziemlich wichtig sei, dass der Partner zum Orgasmus komme. Die Hälfte der Frauen sagte sogar, es sei sehr wichtig. Die Zahl derjenigen, die den Höhepunkt des Partners so gewichten, ist dabei deutlich höher als die der Frauen, die ihren eigenen Orgasmus als wichtig bewerten. Nicht viel anders fällt eine andere Studie aus, in der die Frauen ihren eigenen Orgasmus als einen Bonus zum Partner-Orgasmus bezeichneten.

Orgasmus als Bonus?

Wer nun angesichts solcher Umfragen immer noch darauf verweist, dass der sexuelle Höhepunkt von Frauen im postkoitalen Kuscheln liegt, der mag sich abwechselnd auf Schulter und Schenkel klopfen. Ein gewisses Publikum mag er damit ansprechen. Allerdings dürften sich darunter nur wenige aufhalten, die sich schon einmal mit weiblicher Sexualität beschäftigt haben.

Denn die Forschung weist auch darauf hin, dass Orgasmen für Frauen sehr wohl ein belangvoller Bestandteil von sexueller Zufriedenheit sei. Frauen haben genauso viel Freude am Kommen wie Männer. Das haben etliche Studien schon gezeigt, in denen Frauen ihre Orgasmen beschrieben haben. Und geht es nach Umfragen zu sexuellem Erleben, ist auch für Frauen der Orgasmus kein optionaler Epilog.

In den Umfragen gaben nur 38 Prozent der Frauen an, der Sex wäre gut gewesen, wenn sie keinen Orgasmus hatten. Wenn sie aber gekommen sind, gibt es nur ganz wenige Frauen, die den Sex nicht auch insgesamt genossen haben. Sex ohne Orgasmus ist zwar nicht notwendigerweise schlechter Sex. Aber Sex, bei dem regelmäßig eine*r von beiden den Kürzeren zieht, ist es dann doch.

Und nun der Punkt, der ursprünglich einmal überrascht hat, es aber heute zum Glück immer weniger tut: Das betrifft Männer genauso. Auch Männer geben in Umfragen an, sich selber nicht gut zu fühlen, wenn die Partnerin nicht gekommen ist. Der Punkt, der dann eben doch immer noch überrascht: Viele Frauen finden es vorgeblich selber nicht so wichtig. Warum ist das so?

Was wichtig ist

Hier die These: Weil wir die männliche Lust eben immer noch als zentraler erfahren. Sie ist augenscheinlich kompakter, so herrlich undiffus. Sie hat einen Anfang und ein Ende. Und ihr Resultat lässt sich in der Tat sehen, ein Beweis für die naturhafte Vollständigkeit ihres Ablaufs. Überhaupt scheint hier die Natur sehr genau zu wissen, was sie will. Das männliche Kommen wird so qua Vorabverfügung zur Top-Priorität.

Das Beispiel Sexualkunde stützt diese These: Als Frau hat man schon in der Schule über männliche Sexualität eine ganze Menge davon erfahren, was sich so im Reich der feuchten Träume abspielt: Reiz, Spannung, Entladung. Eine Dramaturgie, die anspricht. Weibliche Sexualität schien dagegen eher aus Dingen zu bestehen, die man verhindern muss: wie man nicht schwanger wird oder wie schmerzhaft die vermeintliche Entjungferung sein kann. Weibliche Sexualität wird nur sichtbar, wo sie wehtut. Jede eventuelle Lust bleibt in den subkutanen Niederungen verborgen und damit unerwähnt: Dass es das Jungfernhäutchen nicht gibt und wie groß hingegen die Klitoris ist, war nicht Teil des Curriculums.

Und so haben wir – und das nicht nur in der Schule – erfahren, dass die weibliche Rolle beim Sex eher passiv ist. Der weibliche Körper latent unerforscht, mysteriös und im Zweifel dann auch einfach zu kompliziert, als dass sich der Aufwand lohnen würde, das weibliche Areal nach dem großen O abzusuchen. Wer so beigebracht bekommt, dass der eigene Körper eine Art Bühne für die Lust des anderen ist, der glaubt das nicht nur irgendwann. Der handelt auch entsprechend. Wie Hannah. "Wo soll ich kommen?", fragt Adam. Wo du möchtest, sagt sie, und hat vermutlich wirklich keine Idee, wo es ihr am liebsten wäre. Hauptsache, er kommt.

Gleichberechtigung und Orgasmus

Dabei sollten Frauen wirklich anfangen, ihren Orgasmus wichtig zu finden. So richtig wichtig. Denn Frauen, die in Umfragen angeben, ihren eigenen Orgasmus wichtig zu finden, die kommen nicht nur einfacher, sondern auch öfter. Und sind im Umkehrschluss zufriedener mit ihrem Sexleben.

Und das ist nicht nur besser für den Sex, es ist auch nicht unerheblich Teil von Gleichberechtigung. Wer sich tagsüber für gleiche Bezahlung für gleiche Leistung und mehr Frauen in der Politik einsetzt, der sollte nachts nicht vergessen, dass Ungleichheit auch bei Fragen wie "Bist Du gekommen?" weitergeht. Es kann dabei nicht darum gehen, männliche Lust herabzusetzen. Gleichberechtigung muss nicht immer dem Bild der Waage folgen. Gerade beim Sex bietet sich an, alle Beteiligten auf die Höhe zu bringen.

Und hier etwas zu ändern, macht sogar Spaß.