Ein Essen unter Frauen, alle zwischen Ende 20 und 40, alle emanzipiert, würden sie wohl sagen. Eine ist vor einigen Monaten Mutter geworden. Im Gespräch geht es um den beruflichen Wiedereinstieg. "Meinem Mann macht seine Arbeit viel mehr Spaß als mir und er verdient mehr, eigentlich will ich gar nicht wieder zurück", sagt sie. Die anderen Köpfe nicken verständnisvoll. Ich möchte nicht die Spielverderberin sein, bestelle einen Wein und atme durch.

Gender Pay Gap, Mother Gap, Altersarmut,Mother Wage Penalty – das Gespräch an diesem Tisch klammert all die strukturellen Nachteile unserer Gesellschaft für Frauen aus. Es bildet ab, was ich auch an vielen anderen Orten erlebe. Mütter, die ihre Kinder zu Hause betreuen, die mehrere Jahre aus ihrem Beruf aussteigen und vom Gehalt ihres Mannes leben. Frauen, die für weniger Geld arbeiten als ihre männlichen Kollegen. Frauen, die berufliche und private Entscheidungen treffen, als würde es Altersarmut nicht geben. Frauen, die sich selbst als emanzipiert beschreiben und dennoch reaktionäre Entscheidungen treffen.

Wünsche und Potenziale von Frauen versus Lebenswirklichkeit

Neue Zahlen bestätigen meine Vermutung. Gerade erschien das Ergebnis einer sozialwissenschaftlichen Repräsentativbefragung zu Einkommensgerechtigkeit im Lebensverlauf. Die Ergebnisse der aktuellen Befragung Mitten im Leben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zeichnen ein ungerechtes Bild: Ein eigenes Nettoeinkommen über 2.000 Euro haben nur zehn Prozent der Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren, aber 42 Prozent der Männer im gleichen Alter.

Eine Partnerschaft, in der Frau und Mann sich gleichberechtigt die Aufgaben für Haushalt und Kinder teilen und auch das Einkommen erwirtschaften, wollen 47 Prozent der Frauen zwischen 30 und 50 Jahren – doch nur bei 24 Prozent ist das der Fall. In der Studie heißt es: "Die praktische Lebenswirklichkeit der Frauen bleibt weit hinter ihren Potenzialen und Wünschen zurück." Woran liegt das?

An den politischen Rahmenbedingungen, aber nicht nur. In den Tagen nach der Veröffentlichung gab es viele Reaktionen auf diese Zahlen, die meisten Menschen reagierten geschockt. Ich nicht. Die Zahlen sind das, was ich erlebe: Menschen, die von Gleichberechtigung sprechen, sie aber selbst nicht leben. Dabei ist jede private Entscheidung ein politisches Zeichen. Jede vermeintlich private Entscheidung hat eine politische Relevanz. Das Private ist politisch, das Leitmotiv der Frauenbewegung gilt weiterhin.

Entscheidungen treffen wir nicht einfach so

Ob wir wählen gehen oder nicht. Ob wir unser Kind in einer Kita betreuen lassen oder nicht. Welche Schule unser Kind besucht. Ob wir mit dem Fahrrad, dem Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren. Ob und in welchem Umfang wir erwerbstätig sind. Ob und in welchem Umfang wir Sorgearbeit leisten. Und eben auch, wie lange Elternzeit wir nehmen und wie wir Erwerbs- und Sorgearbeit in unserer Partnerschaft aufteilen. Auch, ob wir uns trennen. Unsere privaten Entscheidungen treffen wir nicht einfach so.

Unsere Entscheidungen treffen wir vor dem Hintergrund politischer Rahmenbedingungen. Diese begünstigen unsere Entscheidungen – oder erschweren sie. "Aktuell begünstigen sie vor allem ein traditionelles Familien- und Geschlechterrollenbild", sagt Carsten Wippermann, Autor der BMFSFJ-Befragung. Die politischen Rahmenbedingungen stünden damit im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung, die eine eigenständige ökonomische Existenz- und Alterssicherung für alle Geschlechter betone. In der Studie heißt es: "Im Vergleich zu früheren Dekaden sind für Frauen dieser Generation zudem die Ressourcen und Potenziale größer und vielfältiger. Gleichzeitig sind trotz Modernität im Selbstbewusstsein, Anspruch und Lebensstil gesellschaftliche Geschlechterrollenbilder, tradierte Verhaltensmuster und Fehlanreize wirksam, welche die bestehende Entgeltungleichheit befördern."

Mit unseren Entscheidungen werden wir auch zum Vorbild für andere. Junge Mütter, die auf Instagram ihren Alltag zeigen, der neben der Kinderbetreuung vor allem darin besteht, hübsche Werbegeschenke hübsch auszupacken, sind Rolemodels für ihre Follower*innen. Ehefrauen von Fußballspielern, die sich als "Frau von XY" vorstellen und in einem Podcast darüber sprechen, dass es sie ekelt, wenn ihre Oberschenkel sich berühren, sind Vorbilder für ihre Zuhörer*innen. Frauen, die nach der Elternzeit lieber doch nicht zurück in ihren Job wollen, weil der Freund eh lieber und besser bezahlt arbeitet, sind Rolemodels für andere Frauen, die mit ihnen am Tisch sitzen. Unsere privaten Entscheidungen haben Signalwirkung. Und jetzt?

Wenn wir Gleichberechtigung wollen, müssen wir uns dafür entscheiden, politisch und privat.

Eigentlich ist es einfach. Was weg muss: Ehegattensplitting und Entgeltungleichheit. Was reformiert werden muss: Lohnsteuersystem und Minijobs. Bis dahin (und das dauert hoffentlich nicht mehr lange), geht es aber auch um unsere Entscheidungen, um unsere Haltung. Entscheidungen treffen zu können, ist ein Privileg. Wir sollten sie bedacht treffen und dabei die gesellschaftliche Relevanz nicht aus den Augen verlieren. In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wir haben bei dieser Frage ein Mitspracherecht, das wir nicht nur bei Wahlen mit einem Kreuz nutzen sollten, sondern bei all unseren Entscheidungen.

Wir können nicht darauf warten, dass Politik sich endlich modernisiert. Die Menschen, die das Privileg haben, Entscheidungen treffen zu können, müssen es bewusst nutzen. Wenn wir Gleichberechtigung wollen, müssen wir uns dafür entscheiden, politisch und privat.

Alle Texte der Kolumne Klein und groß.

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