Die neue US-amerikanische Botschaft in Jerusalem wurde am Montag mit einem Festakt eröffnet. Hochrangige Gäste, wie Ivanka Trump und ihr Ehemann, schüttelten Hände, lachten in die Kameras und hielten Reden. Der israelische Präsident Benjamin Netanjahu nannte das Ereignis einen großen "Tag für den Frieden".

73 Kilometer von Jerusalem entfernt erschossen israelische Soldat*innen etwa zur selben Zeit mindestens 58 überwiegend junge Palästinenser*innen an der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen, Bethlehem und Ramallah. Der jüngste von ihnen war erst 14 Jahre alt.

Palästinenser*innen hatten in den letzten Wochen einen "Marsch der Rückkehr" organisiert, dessen Proteste bis zum 15. Mai andauern sollten. Laut der Süddeutschen Zeitung hätten Hamas-unabhängige Personen diesen Marsch organisiert, seine ursprüngliche Intention seien friedliche Proteste gewesen. Die Hamas, die von vielen westlichen Staaten als terroristisch eingestuft wird und im Gazastreifen regiert, hätte den Marsch gekapert. Sie hätte dazu aufgerufen, zu versuchen, den israelischen Grenzzaun zu durchbrechen.

Schon Tage vor der Eröffnungsfeier der US-Botschaft, an deren Tag Israel außerdem sein 70-jähriges Bestehen feierte, wurden von der israelischen Armee Zettel über den palästinensischen Gebieten abgeworfen. Sie wiesen darauf hin, sich während der Feierlichkeiten nicht dem Grenzzaun zu nähern und, dass bei Verstößen scharf geschossen werden würde.

Warum ist Jerusalem eine so emotional umkämpfte Stadt?

Die Eskalation lässt sich nicht erklären, ohne (stark verkürzt) auf die Geschichte Jerusalems einzugehen. Die Stadt beherbergt wichtige Stätten der christlichen, jüdischen und muslimischen Religion – und sowohl Palästinenser*innen als auch Israeli beanspruchen Jerusalem oder zumindest Teile davon als ihre Hauptstadt. 

Das Gebiet, auf dem sich heute der Staat Israel, sowie die von Palästinenser*innen bewohnten Teile, befinden, war vor 1947 unter britischem Mandat. 1947 sollten die Vereinten Nationen (UN) einen Teilungsplan des Gebiets erarbeiten: Es sollten sowohl ein palästinensischer, als auch ein jüdischer Staat Israel entstehen – Jerusalem sollte unter internationale Verwaltung gestellt werden. Damit sollte sichergestellt werden, dass Gläubige aller drei Weltreligionen Zugang zu ihren heiligen Stätten haben. Dieser ursprüngliche Teilungsplan wurde so nie verwirklicht. Die jüdische Bevölkerung akzeptierte zwar den Teilungsplan, die palästinensische Bevölkerung, sowie benachbarte arabische Staaten, lehnten ihn jedoch ab – und erklärten Israel am Tag seiner Gründung, dem 14. Mai, den Krieg.

Was folgte, ging unter dem Begriff al-Nakba, die Katastrophe, in die palästinensische Geschichte ein. Die arabische Seite verlor den Krieg. In dessen Zuge wurden etwa 700.000 Palästinenser*innen dazu gezwungen, ihre Häuser und Wohnungen zu verlassen und zu fliehen. Viele von ihnen konnten nie zurückkehren und wohnen heute im Gazastreifen, den sie nicht ohne Erlaubnis von Israel und der Hamas verlassen dürfen. Palästinenser*innen erinnern sich bis heute, den 15. Mai 2018, an diese Vertreibung.

Jerusalem wurde im Zuge des Krieges geteilt: Die Westhälfte gehörte zu Israel, die Osthälfte zu Jordanien – dieser Status blieb so bis zum Sechstagekrieg, 1967, in dem Israel die Osthälfte eroberte und besetzte. Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit, 1950, rief Israel Jerusalem zu seiner Hauptstadt aus – die internationale Gemeinschaft erkannte diesen Status jedoch aufgrund des ursprünglichen UN-Teilungsplans nie offiziell an. Für sie gilt Ostjerusalem bis heute als besetzt, während Israel ganz Jerusalem als seine Hauptstadt ansieht. Bis heute sind deshalb alle Botschaften in Tel Aviv – außer der US-amerikanischen.

Ist die USA schuld an den Ausschreitungen?

Sowohl für die arabische Bevölkerung, als auch für Israel, ist Jerusalem also von großer Bedeutung. Der Status Jerusalems war bei allen Verhandlungen zur Lösung des Nahostkonflikts von zentraler Bedeutung. Seit über einem halben Jahrhundert halten verschiedene internationale Akteure an einer Zweistaatenlösung nach dem UN-Teilungsplan von 1947 fest. Und in dieses sensible Konstrukt platzte der US-Präsident Donald Trump mit seiner Entscheidung hinein, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-amerikanische Botschaft dorthin zu verlegen.

Die USA haben weder die israelischen Soldat*innen dazu angewiesen, auf die weitgehend unbewaffneten Jugendlichen zu schießen, noch die Palästinenser*innen dazu, den Grenzzaun niederzureißen. Der Vorwurf, den sich die USA allerdings anhören müssen, lautet, Öl in das palästinensische Feuer der Hoffnungslosigkeit gegossen zu haben – denn es wirkt, als hätte die Westmacht den Glauben an einen unabhängigen palästinensischen Staat aufgegeben.

Der neue US-Sicherheitsberater John Bolton hatte in einem Radiointerview mit der rechtsextremen Plattform Breitbart gesagt: "Es ist empirische Realität, dass die Zweistaatenlösung tot ist."

Gibt es Alternativen zur Zweistaatenlösung?

Und er ist nicht der Einzige. Laut einer Studie unterstützen erstmals weniger als 50 Prozent der jüdischen Israeli und der Palästinenser*innen im Gazastreifen und der Westbank die Zweistaatenregelung. Verschiedene Fakten tragen dazu bei, dass eine Zweistaatenlösung zunehmend in utopische Gefilde abrutscht. Inzwischen leben beispielsweise 400.000 bis 600.000 jüdische Siedler*innen auf palästinensischem Gebiet. Die israelische Regierung fördert diesen überwiegend als völkerrechtswidrig eingestuften Siedlungsbau. Und die palästinensische Seite? Die kämpft nicht vereint, sondern ist gespalten zwischen der Hamas, die im Gazastreifen regiert, und der Fatah, die die Westbank beherrscht.

Aber was sind die Alternativen? Da gibt es zum einen die Forderung nach einer Einstaatenregelung. Ein Staat mit gleichen Rechten für alle dortigen Bürger*innen. Was dabei oft vergessen wird: Israel sieht sich selbst nicht nur als demokratischen, sondern auch als jüdischen Staat. Israel soll ein Zufluchtsort und Heimat für alle Juden und Jüdinnen weltweit sein, die jahrhundertelang Verfolgung und Gewalt ausgesetzt waren. Bei der Einstaatenlösung muss Israel eines seiner beiden Fundamente aufgeben: Entweder errichtet es ein Regime, in dem die palästinensische Bevölkerung nicht gleichberechtigt ist, oder es wird aufgrund der demographischen Entwicklung über kurz oder lang kein jüdischer Staat mehr sein. Aus diesem Grund ist die Realisierung der Einstaatenlösung noch unwahrscheinlicher, als die der Zweistaatenlösung.

Häufiger wird auch eine Dreistaatenlösung diskutiert – die auch Bolton präferiert. Demnach würde der Gazastreifen in die Kontrolle Ägyptens und die Westbank in die Kontrolle Jordaniens übergehen. Zweifelhaft ist, dass dies sowohl Ägypten als auch Jordanien wollen würden – von der palästinensischen Bevölkerung abgesehen.

Gibt es also eine Alternative zur Zweistaatenlösung, dann ist es keine, die realistisch wäre. Donald Trump hatte angekündigt, einen "Deal des Jahrhunderts" zwischen Israelis und Palästinenser*innen abzuschließen. Wie er das nun noch machen will, ist fraglich.