Es begann mit einem Geschenk. So kam es, dass ich vor zwei Jahren plötzlich vor einem Kreuzfahrtschiff stand und meinen Augen nicht traute. Ich konnte mir nie vorstellen, wie groß so ein Kreuzfahrtschiff wirklich ist, bis es im Hafen in New York vor mir thronte: 250 Meter lang und 30 Meter breit, mit elf Passagierdecks für 2.500 Passagiere.

Das Schiff trug den Namen Aidadiva. Klingt nobel, im Hafen von New York wirkte der Dampfer weniger wie eine Diva, sondern wie jemand, der sich in viel zu enge Jeans zu quetschen versucht. Es war ein Ungetüm, das mit seinen charakteristischen Lackierungen für Mund, Augen und Lidstrich immer zu grinsen schien.

Die Aidadiva befährt im Jahr zwei verschiedene Routen. Unter anderem eine zehntägige Tour durch Neuengland und Kanada – zwischen New York City und Montréal. Auf dieser Route war ich mit an Bord.

Strikter Ablauf

Bevor ich meine ersten Schritte auf dem Schiff machen konnte, musste ich durch einen Security Check – ähnlich wie am Flughafen. Dort wurde das Gepäck gescannt, ein Foto von mir gemacht und auf eine Karte gedruckt, die ich immer dabei haben sollte. Und bevor ich in die fremde Kreuzfahrtwelt eintauchen konnte, musste ich wie alle anderen meine Hände desinfizieren. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sich eine Krankheit auf dem Schiff ausbreitete.

Auf dem Deck angekommen, noch mehr Sicherheitsvorkehrungen: Bevor das Schiff aus dem ersten Hafen laufen konnte, mussten alle lernen, was im Notfall zu tun ist. Auch davor konnte sich niemand drücken. Anwesenheit wurde kontrolliert. In Reih und Glied standen wir neben den Rettungsbooten, hörten dem Kapitän zu und zogen nach Befehl Schwimmweste an und wieder aus, begutachteten die Notausgänge – und blickten drein wie unmündige Schüler*innen am ersten Tag.

Während schrille Stimmen und noch schrillere Trillerpfeifenpfiffe übers Deck schossen, konnte ich nicht aufhören, an Titanic zu denken und fragte mich, ob es nicht lebensmüde ist, so viele Menschen gemeinsam auf ein Schiff zu sperren.

1990er-Jahre-Flair

Die Zimmer waren betont gemütlich in Gelb, Rot und Beige gehalten, mit pseudo-schickem Fake-Holz und gemustertem Sofa. Dieser Marine-1990er Jahre-Mix stach mir jedes Mal in die Netzhaut, wenn ich die Kabine betrat. Die Tür zum Bad erinnerte mich an die Zeit, als mein Vater seinen Traum der Wohnmobil-Romantik mit uns teilen wollte, es aber einfach zu eng war.

Und überall, ja wirklich überall, lag Teppichboden. Wattig und fast geräuschlos bewegte ich mich durch die endlosen Gänge und landete immer wieder im falschen Deck. Einziger Trost: Es ging nicht nur mir so. Immer wieder entdeckte ich verwirrte Schlappenträger*innen, die verzweifelt nach ihren Zimmern suchten. Und ich fragte mich, wie die Menschheit nur auf diesen Schiffen enden konnte – wie ich nur dort landen konnte. In den ersten Tagen machte sich Frust breit. Ich fühlte mich, als hätte ich meine Prinzipien verraten. Ich wollte aufbegehren – aber gegen was oder wen?

Bei Wer wird Millionär war's vorbei

Wohl um die anderen Menschen und die Einöde ertragen zu können, gab es Dauerbespaßung. Sie begann am Morgen mit dem Boardmagazin, das vor der Tür lag. Auf einer beidseitig bedruckten Seite langweilte man uns mit vermeintlich wichtigen Terminen, angeblich spannenden Events auf dem Schiff, dem Wetterbericht und – immerhin – die Aussicht, welchen Hafen wir als nächstes anlaufen würden.

Weiter im Programm ging's mit Tanzkursen, Cocktailworkshops oder Buchclubs. Als Highlight wurde jeden Abend eine Show vorgeführt, in der sicher sehr talentierte Akrobatiker*innen, Tänzer*innen und Musiker*innen ihr bestes taten, die Reisenden zu unterhalten.

Natürlich konnte ich mich nicht um diesen Programmpunkt winden – hatte ich doch diese Fahrt geschenkt bekommen. Als aber eines Abends Wer wird Millionär nachgespielt wurde, war für mich der Gipfel des Fremdschämens erreicht. Zuerst meldeten sich nur Männer, die sich super schlau fühlen und im Endeffekt jede Frage zu Sport, dafür keine einzige zu Politik oder Kultur wussten und darauf auch noch stolz waren. Als endlich eine Frau auf die Bühne gebeten wurde, flog sie nach der zweiten Frage raus.

Internet kostet extra – bitte?

Auf dem Schiff ist so gut wie alles möglich – bis auf Internet. Ich traute meinen Augen nicht, als ich die Dame an der Rezeption nach dem WLAN-Passwort fragte und sie mir einen Flyer mit Tarifen in die Hand drückte. Es ist sicher nicht leicht, Internet auf hoher See zu organisieren, aber etwas gratis WLAN ist bei dem halben Vermögen, das man für die Fahrt hinblättert, doch nicht zu viel verlangt. Die ersten Tage protestierte ich noch mit Digital Detox, bis ich meinen stillen Streik beendete und mir das Paket Social-Media-Flat kaufte.

Okay, das Essen war toll

Das einzige, was ich an der Kreuzfahrt mochte, war das Essen. In drei verschiedenen Büfett-Restaurants konnte man alles essen, was das Herz begehrt. Im Preis inbegriffen, versteht sich. Egal ob deutsche Kost (Weißwurst zum Frühstück) oder internationale Gerichte (sogar Känguru) – das Essen war herrlich, anders kann ich es nicht sagen.

Nicht alle Mitreisenden sahen es wie ich. Zwar drängten sie sich an die Büfetts, schaufelten sich die Teller voll und ließen dann doch vieles stehen. Da sie ja dafür bezahlt hatten, nahmen sich viele das Recht heraus, mit unzähligen Beschwerden über leere Büfetts, zu viele Menschen oder das falsche Bier zu nerven. Ich konnte nichts davon nachvollziehen. Und nein, das war nicht nur auf diesem Schiff so: In einer WDR-Doku über Kreuzfahrtschiffe zählte das Team ganze 245 Portionen, die nur bei einer Mahlzeit in einem Lokal weggeworfen wurden.

Rassismus an Board

Was mich aber noch mehr nervte, war der Umgang einiger Gäste mit dem Boardpersonal. Fast alle aus dem Service stammten von den Philippinen oder aus einem umliegenden Land. Meist arbeiteten sie einige Monate oder eine Saison auf dem Schiff und fuhren danach wieder nach Hause. Sie verdienten gutes Geld, die wenigsten beklagten sich. Wie arrogant und abschätzig manche Gäste mit ihnen sprachen, war für mich unerträglich. Ältere Frauen ranzten junge Kellner so dreist an, dass sich noch die Nebentische schämten.

Viele Gäste schienen nicht zu raffen, dass die Parallelwelt, in die sie auf dem Schiff abtauchen konnten, nur wegen der Crew möglich war. Dass das Leben über Deck so sauber, so schön und so unkompliziert war, verdankten sie den Menschen in den untersten Decks. Die dort in Stockbetten schliefen und keinen Ausblick von ihren Zimmern hatten.

Als ich die Kellner während eines Sturms fragte, ob sie manchmal auch seekrank würden, lachten sie nur. Das würde man schnell ablegen, erklärten sie mir, aber betrunken seien sie oft, auch wenn sie morgens um sechs Uhr wieder aufstehen müssten. Bei den teils anstrengenden Gästen, fand ich das mehr als nachvollziehbar.

Seetage, die krank machen

Ich wurde nach einiger Zeit seekrank. Irgendwie klar und doch zum Heulen. Zwei Tage kam das Schiff nicht zur Ruhe – und damit auch nicht mein Magen. Spätestens an diesem Punkt war es mit der betonten Gemütlichkeit vorbei: Während wir durch den Atlantik wippten, flogen Teller beim Abendessen durch die Luft oder die Duschen wackelte so sehr, dass man sich festhalten musste, um nicht im Shampooschaum auszurutschen. Während dieser Zeit saß ich meistens an Deck, in eine Decke gehüllt und versuchte trotz des Geschaukels zu lesen. Nahe an der Reling zu sitzen, beruhigte mich – so konnte ich zumindest jederzeit hinunter kotzen, dachte ich mir.

Selbst wenn wir endlich an Land anlegten, schwamm mein Kopf weiter. Ich fühlte es noch wackeln, obwohl sich längst nichts mehr bewegte. Das machte mich richtig wütend. Ich war wütend auf das Meer, das Schiff und auf mich – dass ich das vor der Reise nicht besser bedacht hatte. Und doch waren diese Momente, an denen ich endlich echten, teppichlosen Boden unter den Füßen hatte, die besten Stunden der Reise.

Welche Menschen machen diese Art von Reisen?

Jule Blogt versuchte in ihrem Artikel zu widerlegen, dass nur Rentner*innen auf einem Kreuzfahrtschiff übers Meer schippern. Bei meiner Fahrt erfüllte sich das Klischee jedoch sehr. Viele, mit denen wir am Tisch im Restaurant saßen, hatten bereits unzählige Kreuzfahrten in den letzten Jahrzehnten gemacht und erzählten mir mit strahlenden Augen von Eisbergen und Stürmen. Ich bekam bloß von der Vorstellung ein mulmiges Gefühl im Magen.

Immer wenn ich im Nachhinein davon berichte, ernte ich Unverständnis, aber mir war wirklich nicht klar, dass auf einem Kreuzfahrtschiff der Aida nur Deutsche sein würden. Ganz ernsthaft. Abgesehen von uns waren noch zwölf andere Nicht-Deutsche. Das wurde bei der Begrüßung explizit erwähnt. Nehmt mir das nicht übel, ich möchte genauso wenig zehn Tage mit 2.500 Österreicher*innen auf einem Schiff verbringen, aber ein internationaleres Publikum hätte die Stimmung sicher aufgelockert. Zumindest hätte man nicht jeden Scheiß am Nebentisch verstehen müssen. In mir löste dieser Überschuss an Deutschen Beklemmungen aus: Ich war im Ausland zwischen Deutschen gefangen.

Kreuzfahrten: Der am stärksten wachsende Tourismuszweig

Lange galten Kreuzfahrten als etwas, das sich nur die Oberschicht leisten konnte. Seit mehr als 20 Jahren wird die ursprünglich US-amerikanische Idee des Reisens auch in Europa immer populärer. Die Kreuzfahrtbranche erlebt einen regelrechten Boom: Seit 2004 hat sich die Zahl der Kreuzfahrer*innen aus Deutschland verdreifacht – 1,77 Millionen Passagiere waren es 2014. Darum ist es auch der am stärksten wachsende Tourismuszweig. Das Angebot reicht von klassischen Kreuzfahrten bis hin zu absurden Themenkreuzfahrten, wie Heavy Metal (Full Metal Cruise), Sex (Kreuzfahrt der Begierde), Volksmusik (Musikantenstadl-Kreuzfahrt) oder auch David Hasselhoff.

Dabei zählen Kreuzfahrten zu den umweltschädlichsten Formen des Reisen. Ein Passagierdampfer stößt nach Nabu-Angaben täglich rund 450 Kilogramm Rußpartikel, 5.250 Kilogramm Stickoxide und 7.500 Kilogramm Schwefeldioxide aus. Zwar versuchen mittlerweile einige Reedereien, umweltschonender zu bauen, doch das ist teilweise schwer umzusetzen: Auf der nächsten Generation von Aida-Schiffen ab 2019/2020 benötigen allein die Bunker des neuen grünen Flüssiggasantriebs 3.350 Kubikmeter mehr Platz. Das entspricht einem Verlust von circa 100 Kabinen im Crewbereich. Sauberere Luft kostet also viel Platz und noch mehr Geld. Es ist fraglich, wie schnell der Umstieg flächendeckend passieren wird. Immerhin: Auf der Ostsee fahren schon die ersten Elektrofähren.

Freiheit wichtiger als Luxus

Versteht mich nicht falsch, ich bin unglaublich dankbar für die Reise, die Orte, die ich sehen durfte und die Quality-Time mit meiner Familie. Aber es sprechen für mich einfach zu viele Aspekte gegen eine Kreuzfahrt: Abgesehen von dem Müll und den Abgasen, die sie produzieren, sind die Atmosphäre, gewisse Umgangsformen und das Problem, nie flüchten zu können, für mich unerträglich.

Solange ich jung bin, will ich keinen Fuß mehr auf ein Kreuzfahrtschiff setzen. Vielleicht sehe ich das im Alter eines Tages anders und liebäugle mit dem Spießertum. Bis dahin vereise ich lieber mit dem Rucksack, verzichte auf Luxus und habe dafür meine Freiheit, anstatt einer wackelnden Dusche.