Wenn man sein Privatleben in aller Öffentlichkeit ausbreitet, bekommt man nicht nur Post von Irren. Ab und an schreiben einem auch Menschen, die einen Rat brauchen. So weit nichts Besonderes. Letztens aber musste ich lange nachdenken, nachdem ich fertig gelesen hatte. Denn das hier war nicht in drei Zeilen abzuhandeln. Es war ein Mann, nennen wir ihn Martin, der mir Folgendes schrieb: "Meine Frage an dich ist, wann und auf welche Weise ich am besten einer (Sex-)Partnerin eröffnen kann, dass ich recht devot bin, lieber lecke als geblasen zu werden, auf Body Worship stehe (auf Knien den Körper der Partnerin weitestmöglich mit langsamen, sanften Küssen bedecken) und schließlich noch ein großer Fußfreund bin, das heißt, es liebe, Frauenfüße zu liebkosen. Ich habe noch kaum Erfahrungen mit Frauen, da ich mir mit diesen Neigungen völlig unnötigerweise lange selbst im Weg stand."

Mein erster Gedanke dazu war: Hä? Welche Frau sollte schon was dagegen haben, verwöhnt zu werden? Finden wir es nicht alle lächerlich realitätsfremd, wenn Frauen in Mainstream-Pornos stundenlang Schwänze in den Hals gerammt bekommen und dabei vor lauter Glück die Augen verdrehen? Warum sollte also eine gegenteilige Neigung die Anbahnung verhindern? Das einzige Problem, das auftauchen könnte, solange ein devoter Typ auf eine nicht hundert Prozent dominante Frau trifft, fand ich, war die Sache mit der Einseitigkeit. Schließlich will man vielleicht nicht jeden Tag geworshipt werden, sondern es auch mal quick and dirty auf der Waschmaschine. Das allerdings sind Probleme, die in jeder sexuellen Beziehung auftauchen können: Er*sie will dies, sie*er will das. Kennen so gut wie alle von uns: Zumindest hin und wieder hat man unterschiedliche Bedürfnisse und muss dann eben Kompromisse eingehen. Warum also verbaut sich dieser Mann, wie er selbst sagt "völlig unnötigerweise", seine Sexualität?

Dominanter Typ, devote Frau – so läuft das

Seit dem Hype um Fifty Shades of Grey sind BDSM-Spielchen raus aus der Perversen-Nische. Das merkte selbst die Sextoy-Branche, deren Absatz an Peitschen, Fesseln und dergleichen nach oben schoss. Das Erfolgsgeheimnis des Romans waren aber kaum die dort geschilderten Spielchen an sich. Sondern die Tatsache, dass es ein Mann war, der das alles mit einer Frau anstellte. Andersherum hätte das nie, wirklich niemals funktioniert. Denn ein Typ, der sich von einer Frau verhauen lässt, ist in der Wahrnehmung der breiten Masse ungefähr so begehrenswert wie der Lappen, mit dem das Klo ausgewischt wird: gar nicht. Ein reicher Sack hingegen, der es einer mittellosen Studentin, teilweise gegen deren Willen, so richtig hart besorgt – solch ein Sujet zieht.

Auf den ersten Blick scheint die Unumkehrbarkeit der Story auch mit den sexuellen Vorlieben der jeweiligen Geschlechter zusammenzuhängen. Eine Umfrage des Datingportals Secret aus dem Jahr 2015 ergab: Von den befragten Frauen sahen sich 75 Prozent eher als devot. Als ihnen die Frage gestellt wurde, ob sie auch mal dominant sein wollten, antworteten nur noch 38 Prozent mit Ja. Bei Männern sind es 73 Prozent, die gern die Führung übernehmen, aber nur 29 Prozent, die sie auch mal abgeben würden. Frauen sind damit der Arsch auf dem Männer-Eimer (oder umgekehrt): Die einen sind eher dominant, die anderen eher devot – passt. Nur, wie kommt's?

Hallo, Patriarchat

Wir sind die aufgeklärteste, die gleichberechtigste Frauengeneration, die es je auf diesem Planeten gab. Die wenigsten von uns wollen Männer, denen es peinlich ist, dass sie weniger verdienen als wir. Oder welche, die sich nicht um unsere gemeinsamen Kinder kümmern. Wir wollen nicht das schöne Geschlecht sein. Und trotzdem werden wir lieber gefesselt statt es selbst zu tun, lassen wir uns lieber den Hintern versohlen, statt handgreiflich zu werden oder genießen Vergewaltigungsfantasien – ohne natürlich wirklich vergewaltigt werden zu wollen. Ist es Zufall, dass gerade die Gruppe Menschen Unterworfen-Sein genießt, die de facto über viele Tausende von Jahren unterworfen war und zum Teil immer noch ist? Ist es Zufall, dass diejenigen, die immer schon am Machthebel saßen, sich in ihrer Mehrheit nur dort sehen können? Ich glaube nicht. Das Rollenbild vom starken Mann und von der schwachen Frau ist immer noch präsent – und in unserer Sexualität wird das besonders spürbar.

Ein Spiel, das nicht in unsere Rollenbilder passt

Wird dieses Bild umgekehrt, oder finden wir uns selbst mit nicht-konformen sexuellen Wünschen konfrontiert, kann das schrecklich irritieren. Oder beschämen. Das Klischee von der Domina und ihrem Versklavten ist uns allen zwar geläufig, aber nicht wertfrei. Denn von einem Mann wird gemeinhin anderes erwartet. Und das empfindet nicht nur Martin so: Das Netz ist voll von Forumseinträgen, in denen sich Männer darüber austauschen, wie schwer es ist, eigene submissive Neigungen zu akzeptieren und damit nach außen zu gehen. Viele leben das dann lieber außerhalb ihrer Partnerschaft aus, und zwar heimlich mit Prostituierten.

Will man dieses Spiel in seine Beziehung integrieren, kann man es natürlich auf einem dieser Datingportale für Menschen mit bestimmten Vorlieben versuchen – aber auch hier steht die Chance, eine dominante Frau zu finden, auch nur eins zu vier. Und vielen Männern geht es vielleicht auch gar nicht darum, Eigentum einer Hardcore-Domina genannt zu werden, der sie den Dreck von den Absätzen lecken können. Sondern sich ab und zu mal fallen und führen zu lassen, oder vielleicht die Erfahrung zu machen, wehrlos zu sein. Ein Spiel zu spielen, das einfach nicht in unser Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit passt. Eines, nach dem die Sehnsucht manche von uns sich vielleicht nicht einmal selbst so richtig eingestehen wollen.

Die Sache mit der Macht

Auch wenn ich überzeugt davon bin, dass unsere Vorstellungen von erfüllter Sexualität Teil unserer Sozialisation sind und wir dazu neigen, uns zugeschriebene Rollen anzunehmen, bin ich keineswegs dafür, dass jetzt jede Frau die Gerte schwingt und jeder Typ ihr die Füße küsst. Nein, natürlich soll jede*r seinen Neigungen entsprechend glücklich werden. Dennoch ist es klug, diese Neigungen zu hinterfragen und zu überprüfen, ob es nicht noch etwas anderes gibt, das wir wollen könnten. Unsere einstudierten Rollen zu verlassen und sich auf gegenläufige Spiele einzulassen, kann nicht nur unseren sexuellen, sondern auch unseren geistigen Horizont enorm erweitern.

Darum, lieber Martin, trau dich, mit deinen Dates über deine submissive Ader zu sprechen. Oder zeig ihnen einfach gleich im Bett, was du magst. Vielleicht steht nicht jede Frau darauf, stundenlang geküsst zu werden – die Gefahr gibt es immer. Aber möglicherweise bringst du die ein oder andere überhaupt erst auf den Geschmack und mein feministisches Herz zum Frohlocken. Denn die Sache mit der Macht, die lernen wir Frauen gerade noch.