Ich beobachte zur Zeit etwas bei mir, in meinem Freundeskreis, in meinem Umfeld, das mir zu denken gibt: eine starke Unzufriedenheit, ein Gefühl, nicht auszureichen, und eine Angst davor, falsche Entscheidungen getroffen zu haben, die man jetzt oder später vielleicht bereut. Woher kommt das?

Wir leben in einer leistungsorientierten Gesellschaft: Nach der Schule nichts wie ab an die Uni, erst mal den Bachelor und dann auch noch den Master machen. Die für den Berufseinstieg wichtigen Praktika müssen in den Semesterferien absolviert werden und natürlich trotzdem in der Regelstudienzeit bleiben, bloß keine Zeit verschwenden. Und dann stehst du da, twenty-something, mit einem oder mehreren Abschlüssen in der Tasche, einem beeindruckend vollen Lebenslauf und verlässt diese anstrengende, arbeitsintensive, aber gleichzeitig auch sichere Phase deines Lebens.

Soll das jetzt alles sein?

Und im neuen Lebensabschnitt warten schon die Fragen und die Zweifel: Ist der Weg, für den ich mich entschieden habe, der richtige? Passt dieser Job zu mir? Passe ich zu diesem Job? Ist mein*e Partner*in die Person, mit der ich noch lange Zeit zusammen sein will, kann, möchte? Was will, kann, möchte ich eigentlich überhaupt so im Leben? Und wie zahle ich diese seltsamen Steuern? Habe ich die richtigen Entscheidungen getroffen für die Stadt, in der ich lebe; für das Studium, durch das ich gepeitscht wurde; für die Menschen, mit denen ich mich umgebe? Und geht das jetzt immer so weiter  Nine-to-Five und dann ab nach Hause, essen, schlafen, aufstehen und wieder von vorne? Hatte ich mir das nicht alles viel schöner, spannender vorgestellt? Wollte ich nicht was in der Welt bewegen? Soll das jetzt alles sein?

Willkommen in der Quarter Life Crisis

Du erkennst dich in diesen Fragen und Ängsten wieder? Dann geht es dir wie vielen jungen Menschen. Diese Sinnkrise hat sogar einen Namen: In der Populärpsychologie spricht man von der Quarter Life Crisis, offensichtlich angelehnt an die Midlife Crisis, nur eben um das erste Viertel des Lebens herum. Der Begriff Quarter Life Crisis wird eher umgangssprachlich verwendet und steht diagnostisch oft für eine Form der Anpassungsstörung. Die Psychologische Psychotherapeutin Natalie Molski sagt gegenüber ze.tt: "Eine Anpassungsstörung bedeutet, dass Menschen Schwierigkeiten haben mit neuen Situationen umzugehen, sich in ihnen zurecht zu finden, sich ihnen anzupassen."

Oft markiert das Ende des Studiums und der Einstieg in das Berufsleben eine neue Situation, in der du dich neu orientieren musst: neue Menschen, die nicht wie etwa an der Uni ungefähr in deinem Alter sind, ein neuer Tagesablauf, neue Hierarchien. An all das musst du dich erst mal gewöhnen.

In dieser neuen Lebensphase gehe es darum, viele wichtige Entscheidungen zu treffen. Und mit diesen Entscheidungen mache man sich immer auch angreifbar, so Molski: "Eine Entscheidung kann richtig oder falsch sein, aber wenn ich gar keine Entscheidung treffe, bin ich ja auf der richtigen Seite, dann habe ich noch alle Möglichkeiten. Ich stelle mir das vor wie ein Raum mit 1.000 Türen und man will eigentlich alle öffnen und macht es nicht. Dadurch entsteht ein Leidensdruck."

Ich stelle mir das vor wie ein Raum mit 1.000 Türen und man will eigentlich alle öffnen und macht es nicht.
Natalie Molski, Psychotherapeutin

Dieser Leidensdruck kann sich ganz unterschiedlich bemerkbar machen: Du fühlst dich interesselos, deprimiert, weinst mehr als üblich, leidest unter Schlafproblemen, verspürst Veränderungen in deinem Appetit, fühlst dich müde und energielos, dein Selbstwertgefühl verändert sich.

"Da kommen ganz tolle junge Menschen mit extrem beeindruckenden Lebensläufen zu mir, die sehr unsicher sind und gar nicht das Anerkannte würdigen, keine Wertschätzung für den eigenen Erfolg haben", beschreibt Natalie Molski. Der Fokus ihrer Patient*innen liege oft schon auf dem nächsten Schritt: Welche Sprache kann ich noch lernen? Welches Praktikum kann ich noch machen? Wo kann ich Auslandserfahrungen sammeln? "Eine Achtsamkeit und Wertschätzung fehlt", stellt sie fest.

Noch ein Praktikum, noch ein Projekt.
Philipp Ikrath, Jugendforscher

Viele junge Menschen verlieren das Gefühl für das, was sie bisher schon alles in ihrem Leben erreicht haben. Dadurch entsteht schnell das Gefühl, nicht gut genug zu sein: Es geht immer höher, schneller, weiter, besser. Vor allem der ständige Vergleich mit anderen, seien es Kommiliton*innen, Kolleg*innen oder Freund*innen, kann schnell zu einem Gefühl von Unzulänglichkeit führen. Du gibst dir oft selbst das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Der Jugendforscher Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung bestätigt diesen Eindruck: "Noch ein Praktikum, noch ein Projekt. Man weiß nie: Wann ist es zu Ende? Wann ist es genug? Muss ich nicht noch irgendwas tun? Dieser Imperativ des ständigen Wachsens, des Sich-verändern-Müssens kennt keine Pausen."

Ikrath gibt jedoch auch zu bedenken, dass es sich dabei um ein Phänomen der akademischen Mittelschicht handle, welches man aus seiner Sicht zeitlich nicht nur auf die Mitte 20-Jährigen eingrenzen könne. Einen Grund für diese Dauerkrise sieht er in einer Veränderung der Übergangsphasen: "Statusübergänge sind bröselig geworden, immer ist alles unsicher." Wenn jemand heute das Studium beendet hat, könne man sich einfach nicht mehr sicher sein, ob man im Anschluss auch einen Job in dem Bereich findet.

Da schwingt oft eine große Unsicherheit mit, eine Zukunftsangst.

Wie wollen wir arbeiten?
Johanna, 24

Auch Johanna verspürt manchmal derartige Ängste. Im Gespräch erzählt Johanna, 24, die nach ihrem Bachelor vor zweieinhalb Jahren direkt in das Berufsleben einstieg: "Ich habe ab und zu so eine Art Zusammenbruch. Da wird mir diese unfassbare Überforderung und dieser wahnsinnige Druck erst so richtig bewusst." Sie hat einen Job gefunden, der ihr Spaß macht und trotzdem merkt sie, wie hart der Arbeitsalltag ist: "Im Job wird man dann plötzlich von der Verantwortung überrollt. Die hatte man so im Studium natürlich nicht. Da bleibt dann gar keine Zeit, zu reflektieren." Am meisten frustriert sie, keine Zeit für Freund*innen und Eltern zu haben.

Doch ihrer Meinung nach mache es wenig Sinn zu kapitulieren, sich der Angst zu beugen: "Es liegt schließlich an uns. Wir sind die einzigen, die das gestalten können. Ich frage mich: Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir leben?"

Positive Veränderung

Und genau das können Sinnkrisen nämlich auch mit sich bringen: Veränderung. Wenn wir uns hinterfragen, wenn wir innehalten und reflektieren, hat das durchaus etwas Positives.

Dennoch ist das, was wir als Quarter Life Crisis bezeichnen, nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Auch wenn eine Sinnkrise zum Nachdenken anregt und zu Veränderung führen kann, kann sie auch in ernstzunehmende psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Angststörungen, Essstörungen oder Depression ausufern. Molski rät, sich zunächst einmal mit den eigenen Ressourcen auseinanderzusetzen und sich zu fragen: Was kann ich gut? Was macht mir Freude? Was habe ich bisher gut gemacht? Also: Erst mal schauen, wie man sich unter Einbezug des Umfelds selbst helfen kann.

Im nächsten Schritt sei es jedoch empfehlenswert, ein Beratungsgespräch bei einem*r Psychotherapeut*in auszumachen. Molski bemerkt sogar eine positive Entwicklung: "Ich habe den Eindruck, dass besonders viele junge Menschen sich für den Schritt zur Psychotherapie entscheiden und das ist, wie ich finde, eine positive Entwicklung."

Nicht nur nach Ursachen fragen

Auch ich kann dem selbst nur beipflichten: Wir müssen psychische Erkrankungen enttabuisieren. Denn auch die Quarter Life Crisis, die viele junge Menschen erleben, beschreibt nur ein eigentlich ernstes Thema: eine Orientierungslosigkeit, eine Sinnfrage junger Erwachsener, die versuchen, ihren Weg zu finden und zu bestreiten.

Es bringt nichts, immer nur nach den Ursachen zu suchen. Wir müssen auch aktiv daran arbeiten, ihnen entgegen zu wirken. Und wahrscheinlich ist ein Innehalten, ein Überdenken dabei hilfreich, neue Wege zu finden und Entscheidungen zu treffen. Dennoch dürfen wir nicht unterschätzen, welche ernsten Folgen eine zunächst vielleicht als harmlos erachtete Phase der Krise mit sich bringen kann. Wenn du dich verloren fühlst, wenn du dir hilflos vorkommst, ist es absolut legitim, sich Hilfe zu suchen, sich helfen zu lassen – auch für eine Generation, der es beigebracht wurde, mit beiden Ellenbogen durch den beruflichen Alltag zu gehen.