Langsam kann ich es nicht mehr sehen, wenn meine Gesprächspartner*innen die Augen verdrehen, sobald ich von meiner aktuellen Wohnsituation erzähle. Nein, ich lebe weder an der nächsten Straßenecke, noch fallen die Fenster bei Wind aus dem Rahmen. Ich lebe mit meinem Freund zusammen und einem Mitbewohner. Sehnt ihr euch nicht nach Zweisamkeit?, bekomme ich oft zu hören. Hast du nicht genug vom WG-Leben?, fragen meine Freund*innen. Doch was in meinem Umfeld für allerlei Irritationen sorgt, ist für mich im Moment die beste Art zu wohnen.

Wie eine große Familie, irgendwie

Für meinen Freund und mich ist es die erste gemeinsame Wohnung. Er war das WG-Leben gewohnt, ich hingegen hatte mich ziemlich gut in meiner Single-Bude eingerichtet. Uns als Paar war es bei der Entscheidung zum gemeinsamen Wohnen wichtig, nicht gleich ganz klassisch zu zweit zusammenzuziehen. Mal etwas anderes zu probieren, reizte uns. Aber klar, auch die monatliche Miete, die sich nun auf drei anstatt zwei Personen verteilt, war ein Pluspunkt.

Jetzt leben wir mit unserem Mitbewohner Christian auf 120 Quadratmetern. Zwei der drei WG-Zimmer haben mein Freund und ich in Beschlag genommen. Sie dienen uns als Wohn- und Schlafraum. Mit Christian teilen wir uns die große Wohnküche und beide Bäder. Das klingt doch ganz gemütlich, oder?

Mit wem zusammenziehen?

Natürlich hätten wir nicht jede*n x-Beliebige*n als Mitbewohner*in für unser Zusammenwohn-Experiment gewählt. Hier spielte uns die alte WG meines Freundes in die Karten. Christian war dort alteingesessenes Mitglied und hatte sich als unkompliziert und kompromissbereit erwiesen. Die Art von Mitbewohner, die jede*r gerne hat: ordentlich, trotzdem macht Chaos ihm nichts aus, ziemlich viel unterwegs und immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Lange suchen mussten wir somit nicht.

Als ich meinem Freundeskreis von meinen ungewöhnlichen Umzugsplänen erzählte, erntete ich trotzdem erstmal Skepsis. Wollt ihr als Paar nicht eure Ruhe haben?, fragten sie. Was heißt eigentlich, als Paar seine Ruhe haben? Zusammen vor dem Fernseher zu chillen? Das geht wunderbar zu dritt. Es ist sogar um einiges bereichernder, wenn man nicht immer mit dem gleichen Gegenüber über die neuesten Game of Thrones-Entwicklungen diskutiert, sondern andere Sichtweisen zu hören bekommt.

Ja, wir können nicht so einfach spontan Sex auf dem Küchentisch haben. Hätten wir aber auch ohne Mitbewohner*in nicht so prall gefunden."

Ja, wir können nicht so einfach spontan Sex auf dem Küchentisch haben. Hätten wir aber auch ohne Mitbewohner*in nicht so prall gefunden. Wollen wir wirklich alleine sein, machen wir die Tür zu, ganz einfach. Und wenn mich doch mal der fixe Gedanke packt, nackt durch die Wohnung rennen zu müssen, warte ich eben, bis Christian nicht da ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hoch, denn er ist ständig in der Weltgeschichte unterwegs. Jede*r von uns hat also den Freiraum, den er braucht.

Immer noch WG-Leben?

Eigentlich sollte man doch ab einem gewissen Alter froh sein, eben nicht mehr in einer WG leben zu müssen. Habt ihr dann auch einen gemeinsamen Putzplan?, ist noch so ein Kommentar, den ich von besorgten Bekannten bekomme. Natürlich hatte auch ich zu Beginn die Sorge, dass gerade der Hausputz eine Herausforderung werden könnte. Wer räumt den Geschirrspüler aus? Wer bringt den Müll runter? In den WGs, in denen ich vorher lebte, wurden diese Dinge schnell zum Problem.

In unserer Konstellation ist das zum Glück anders: als hätten sich die Spielregeln einer normalen Paarwohnung auf uns drei übertragen. Auch dort hat man selten einen ausgearbeiteten Putzplan. Ist der Mülleimer voll, wird der Beutel runtergebracht, sind Flecken auf dem Tisch, wischt man sie weg. Auch unser Mitbewohner Christian setzt das so um, dass gar kein Raum für Streitigkeiten entsteht. Vorgeschriebene Aufgaben zu vorgeschriebener Zeit? Gibt es bei uns nicht. Funktioniert ja auch so.

Eben nicht nur zu zweit

Natürlich hat das Zusammenleben auch Seiten, an die ich mich erst gewöhnen musste. In meiner eigenen Wohnung habe ich mir nämlich einige Angewohnheiten zugelegt, die jetzt nicht mehr so gut passen. Jeden Tag pünktlich das Essen zubereiten oder den Sonntag als Putztag nutzen, Routine schlich sich mit der Zeit ein und bestimmte meinen Tagesablauf.

Heute kann es passieren, dass die Küche schon von unserem Mitbewohner in Beschlag genommen wurde. Dafür kann ich den Luxus genießen, einfach mitzuessen, anstatt selbst kochen zu müssen. Putztag fällt ebenfalls gelegentlich aus, da so ein lauter Staubsauger nach einer durchwachten Partynacht nicht gerade zur guten WG-Stimmung beiträgt. Aber was soll’s: eine Ausrede mehr, um einfach im Bett zu bleiben.

Mehr Abwechslung zu dritt

Apropos Party: Ein großer Vorteil unserer Konstellation sind die sich ständig verändernden Gegebenheiten. Mal ist unbekannter Besuch da, mal steigt eine WG-Feier, die ich nicht selbst organisieren muss. Christian bringt viele neue Impulse in unser Zusammenleben, besonders, wenn er wieder eine kreative Unternehmungsidee hat. Durch ihn habe ich schon die entlegensten Ecken der Stadt kennengelernt. Er ist in einem ganz anderen Umfeld verwurzelt. Wissen wir nicht, wie wir unseren Samstagabend verbringen können, hat Christian mit Sicherheit einen heißen Tipp abseits unserer Filterblase. Unser Zusammenleben ist durch so viel Abwechslung geprägt, dass ein Alltag erst gar nicht aufkommen kann. Mehr WG als Pärchenwohnung eben.

Wir fühlen uns alle drei als Gemeinschaft. Jede Meinung zählt und niemand bestimmt. Wir nehmen Rücksicht aufeinander. Christian sagt, für ihn sei es egal, ob er nun mit einem Pärchen oder zwei anderen Mitbewohner*innen zusammenleben würde, meint er. Hauptsache, man komme miteinander aus.

Eine tolle Art zusammenzuleben, wenn man sich darauf einlässt

Natürlich lässt sich so ein Wohnmodell nicht in jeder Beziehung und mit jedem*r Mitbewohner*in umsetzen. Wer keine Kompromisse eingehen kann und Rücksicht als Fremdwort betrachtet, wird in dieser Konstellation nicht glücklich werden. Über den eigenen Schatten springen, auch mal Angewohnheiten anderer aushalten, das sind Grundvoraussetzungen. Kommt dazu noch genug Platz, der bei Bedarf Abstand zulässt, ist die Chance groß, dass dieses Wohnkonzept allen Parteien gerecht wird.

Für mich ist unsere Wohnsituation eine Art zu leben, die nicht nur einen Alltagstrott verhindert, sondern auch Geld spart. Sie ist aber keine Lösung bis ans Lebensende. Spätestens, wenn es bei uns in die Familienplanung geht, möchte ich es niemandem zumuten, auch noch ein schreiendes Baby als Mitbewohner akzeptieren zu müssen. In meiner jetzigen Lebenssituation allerdings, ist die Pärchenwohnung+1 für mich genau das Richtige.