Eigentlich ist es ziemlich paradox: Ausgerechnet in einer Zeit, in der für unsere Generation so gut wie nichts mehr sicher ist – von der Rente bis zum Job, dem befristeten WG-Zimmer, dem zweiten Tinder-Date – kommen Unternehmen auf die bahnbrechende Idee, einen weiteren Faktor zur persönlichen Destabilisierung als etwas Gutes zu verkaufen: flexible Arbeitsplätze.

Seit ich in Berlin wohne, hatte ich keinen fixen Arbeitsplatz mehr. Und das nicht erst, seit ich frei arbeite und meine Montagvormittage in Cafés mit überteuerten Schokobrownies verbringe. Auch in Festanstellungen setzen viele Betriebe auf größtmögliche Flexibilität. Wer übers Wochenende gekündigt wird, muss nicht einmal mehr zurückkommen und seinen Schreibtisch von so lästigen Dingen wie Familienfotos befreien. Zumindest fühlt es sich für mich so an, wenn ich morgens mal wieder nicht weiß, wo ich heute meinen kreativen Gehirnschmalz zum Besten geben darf.

Der tägliche Kampf um den besten Platz

Komme ich ins Büro und sehe schon im Eingangsbereich jemand anderen auf "meinem" Platz sitzen? Also auf dem Platz, der eigentlich gar nicht meiner ist, mir aber in puncto Lage und Rückendeckung am meisten zusagt? Werde ich erst mit Claudia darüber diskutieren müssen, ob ich mich jetzt neben, vor oder hinter sie setzen darf? Warum ist der Sesseltanz überhaupt ein Thema? Eine psychische Zwickmühle. Als ob die eigene Ersetzbarkeit nicht ohnehin schon wie ein Damoklesschwert über der Karriere hängen würde, wird sie dank des flexiblen Arbeitsplatzes gleich mit in die brüchigen Mauern des Selbstvertrauens einzementiert.

Genau diese Unsicherheit ist ein weiterer Stressfaktor, der nicht nötig wäre. Wenn ich mir meinen Platz jeden Morgen erst eine halbe Stunde erkämpfen und gemütlich machen muss, geht nicht nur wahnsinnig viel Zeit drauf. Es verhindert auch, dass ich über das nachdenke, was eigentlich ansteht.

Irgendwo ein Foto aufstellen zu dürfen, kann auch Wertschätzung bedeuten

Die Vorteile des flexiblen Arbeitsplatzes klingen auf den ersten Blick natürlich verlockend: Das Unternehmen kann Sitzplätze einsparen, da meist ohnehin nicht alle Mitarbeiter*innen gleichzeitig anwesend sind. Abwechslung macht Spaß, und außerdem lässt so niemand seine ekligen, halb angeknabberten Wurstsemmeln und leeren Pfandflaschen liegen. Von der Zettelwirtschaft mal ganz abgesehen. Wer möchte, kann sogar einen Tag im Sitzsack arbeiten und dabei sein Risiko für einen Bandscheibenvorfall erhöhen. Wunderbar! Jeden Tag kann sich der*die moderne Mitarbeiter*in so einrichten, wie es ihm*ihr passt und dabei zwischen den verschiedenen Rollen genauso wie zwischen den Anforderungen und Sitzpolstern wechseln.

Das Ding ist: Was einmal gut gemeint war, führt dann zum gegenteiligen Effekt, wenn die freie Wahl zum Zwang wird. Wenn Stress aufkommt, weil ich mich jeden Tag nicht nur auf neue Aufgaben, sondern auchauf neue Kulissen konzentrieren muss. Wenn ich bei der Tür sitze, obwohl mich der Durchzug stört, oder mit einer Glasscheibe im Rücken, an der ständig Passant*innen vorbeigehen. Ich möchte nicht um den besten Sitzplatz konkurrieren müssen, indem ich früher komme als alle anderen. Ich möchte auch mal Post-its und Bücher liegen lassen können, ohne dass sie am nächsten Tag verschwunden sind. Auch das kann Wertschätzung ausmachen: die Möglichkeit zu bekommen, sich nicht nur künstlerisch, sondern auch physisch auszubreiten.

Auch das kann Wertschätzung ausmachen: die Möglichkeit zu bekommen, sich nicht nur künstlerisch, sondern auch physisch auszubreiten."

Dass Arbeitsplätze jeden Abend aufs Neue verschwinden, mag vielleicht eine passende Begleiterscheinung zu der grassierenden Unsicherheit sein. Es ist aber gewiss keine Lösung. Den Arbeitsplatz zu behalten, auch wenn der Tag zu Ende geht und ihn so zu gestalten, dass man sich als Individuum, und nicht nur als Humankapital wohlfühlt, gehört meines Erachtens zu einem guten Betriebsklima, in dem ohne Angst agiert und geschaffen werden kann, dazu.