"Prost, ihr Säcke!", ruft die Band den Besucher*innen der Stockbauer Hüttn zu. Matthias und seine Freund*innen heben ihre Bierkrüge in die Luft. "Prost, du Sack!", antworten sie einstimmig. Die vollen Krüge klirren, als sie miteinander anstoßen. Schon von klein auf besucht Matthias die sogenannte Dult. Mit der Passauer Maidult wird traditionell der Volksfestreigen in der Region eingeläutet. Zehn Tage lang können die Besucher*innen in Bierzelten feiern und sich in Fahrgeschäften vergnügen.Matthias ist Passauer durch und durch. Er ist in der niederbayerischen 50.000-Einwohner*innen-Stadt aufgewachsen, war – abgesehen von einem dreiwöchigen Besuch bei seinem Onkel in Wien – noch nie länger von der Stadt getrennt. 

Bei einer örtlichen Bank hat er die Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht. Da das Sitzen im Büro und das Finanzwesen aber nichts für ihn waren, hat er nun eine Lehre zum Elektriker in einer nahe gelegenen Ortschaft begonnen. 

Zwietracht und Vorurteile

Weder am Tisch auf der Dult noch in seinem privaten Umfeld umgibt sich der 21-Jährige mit Nicht-Passauer*innen, oder wie er sie nennt: Zuagroasten. Matthias ist kein Einzelfall. Schon seit Jahren ist das Verhältnis zwischen den für das Studium nach Passau gezogenen Studierenden und den einheimischen Passauer*innen, im Sprech der Studierenden: Locals, angespannt. Dabei sind ein Viertel aller Passauer*innen Studierende. So würden wegen der hochnäsig und partywütigen Studierenden die Clubs auch unter der Woche öffnen und die Getränkepreise in die Höhe getrieben werden. Dass sie dann auch gerne mal betrunken durch die Stadt zögen, sei sehr zum Leidwesen der Locals, die am nächsten Tag in der Früh auf der Arbeit zu erscheinen haben. Gleichzeitig würden Matthias zufolge viele Studierende mit dem Vorurteil nach Niederbayern ziehen, "dass hier sowieso nur lauter Bauern wohnen und wir wie die Hinterwäldler leben."

Manche wären der Ansicht, dass sich nach der Flutkatastrophe im Jahr 2013 der Umgang miteinander gebessert hätte, so Matthias. Damals hätten enorm viele Studierenden bei der Bewältigung des Hochwassers mitgeholfen und alle hätten an einem Strang gezogen. "Nur sind die Studierenden von damals größtenteils nicht mehr die Studierenden von heute", sagt Matthias

Matthias kramt aus seiner Hosentasche ein kleines Fläschchen mit Schnupftabak, krümelt sich das weiße Pulver auf seinen Handrücken und schnupft ihn kräftig ein. Neben ihm tanzen seine Freund*innen ausgelassen auf den klebrigen Bierbänken.

Auf der anderen Seite des Festgeländes befindet sich die Dreiländerhalle mit dem größten Bierzelt der Maidult, dem Dultstadl. Dort gesellt sich Studentin Julia gerade zu ihren Freund*innen an denTisch. Sie ist später dran als die anderen und kommt direkt von ihrem Aushilfsjob in einem kleinen Accessoiresgeschäft. Ihre Freund*innen sind bereits kräftig am Feiern. Julia bestellt sich beim vorbeilaufenden Kellner ihre erste Maß Bier. Es ist das erste Mal, dass sie die Dult und überhaupt ein bayerisches Volksfest besucht. Sie wirkt anfangs zurückhaltend und ein wenig verunsichert. Auf den umstehenden Bänken wird getanzt, die Maßkrüge werden im Takt geschwungen und Schlagerlieder lauthals mitgegrölt. Julia prostet ihren Tischgenoss*innen zu und beginnt, im Takt der Musik nach links und rechts zu schunkeln.

Für ihr Studium zog die 20-Jährige im vergangenen Herbst aus ihrem kleinen Heimatort im Taunus nach Passau. Neben ihr sind mehr als 12.000 weitere Studierende an der Universität Passau eingeschrieben. Viele von ihnen sind fürs Studium in die niederbayerische Stadt gezogen, einige stammen aus Passau. Gemeinsam machen die Studierenden etwa ein Viertel der Einwohner*innenzahl Passaus aus. 

Julia lebt gerne in Passau und fühlt sich wohl in der Stadt. "Passau hat alles, was man als Student*in zum Leben braucht: Schwimmbad, genügend Bars und Clubs."

Man hat halt einfach keinen Kontakt mit denen.

Julia wohnt mit zwei weiteren Student*innen in einer WG im Herzen der Passauer Altstadt zusammen. Dass Julia ausschließlich Freundschaften mit Student*innen pflegt, liege ihrer Meinung nach daran, dass sie keine Berührungspunkte mit den Locals habe. "Man hat halt einfach keinen Kontakt mit denen", sagt sie.

Matthias Freundeskreis ist ähnlich homogen. Er ist mit keinem*r nach Passau zugezogenen Studierenden befreundet. Viel mehr pflegt er Kontakt zu den Locals. "Meine Fixpunkte sind meine Arbeit, Zuhause und der Treff." Mit dem Treff meint er einen Jugendtreff der katholischen Kirche. Dort verabrede er sich lieber als in der Stadt mit seinen Freund*innen, schließlich sei der Treff eine preisgünstige Alternative zum Weggehen. Zuagroaste seien keine im Treff.

Unterschiedlicher Umgang mit der Tracht

Auf der diesjährigen Maidult kostet eine Maß Bier 9,30 Euro. Wie viel Geld Matthias gegen Bier an diesem Abend eintauscht, wird er später nicht mehr wissen. Als ihm Bier auf seine Lederhose tropft, kümmert ihn das wenig. Biergwand nennt er seine Tracht, schließlich sei es normal, dass beim Trinken schon mal das ein oder andere Malheur passiert.

Früher trug Matthias keine Tracht zur Dult. "Mittlerweile trägt das ja aber wirklich jeder", sagt er. "Wenn ich auf die Dult gehe, brauche ich nicht wirklich eine Tracht, um mich zugehörig zu fühlen." Dass der Großteil der Dult-Besucher*innen mit Dirndl oder Lederhose das Passauer Volksfest besucht, bringt für Matthias auch eine bittere Erkenntnis mit sich: "Die Tracht wird teilweise vergewaltigt mit irgendwelchen Chucks."

Das ist für einen Niederbayern schon sehr hart.

Von den Leuten aus seinem Bekanntenkreisen wüsste jeder, wie man eine Tracht zu tragen hat. Auf der Dult aber sehe er, wie vor allem Zuagroaste die Traditionsbekleidung der Bayer*innen falsch tragen. "Das ist für einen Niederbayern schon sehr hart", sagt Matthias.

Auch Julia kombiniert zu ihrem Dirndl graue Slipper anstelle von traditionellen Trachtenschuhen. Sie trägt zum ersten Mal ein Dirndl. "Als ich es das erste Mal anprobiert habe, dachte ich mir: 'Whoa, ganz schön eng. Soll das so sein?' Man bekommt keine Luft mehr. Aber man gewöhnt sich dran", sagt Julia. Unwohl habe sie sich nicht mit dem Dirndl gefühlt.

Julia feiert vergnügt durch die Nacht, bis der Dultstadl um Mitternacht seine Pforten schließt. Auch Matthias hat Spaß auf der Dult. Nachdem sie stundenlang gefeiert haben, wankt jede*r der beiden für sich nach Hause. Und so bleibt auch die Maidult als feierliche Möglichkeit, dass sich Studierende und Locals kennenlernen, am Ende des Abends doch nur ungenutzt.