Seit Jahren steigt die Zahl der Studierenden. Doch nicht jede*r schafft das Studium. So wie Paul. Jetzt macht er eine Ausbildung im Handwerk und ist zufrieden.

Wer ein Abi hat, für den erscheint der Weg an die Hochschule logisch. Doch was, wenn ein Studium nicht passt? Wenn Selbstorganisation, Zeitmanagement überfordern oder das Thema einfach nicht richtig ist? Für immer mehr junge Menschen kommt an diesem Punkt der Wechsel zu einer Ausbildung infrage, wie Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen (pdf). Und auch das Handwerk wird dabei immer beliebter.

Mehr als 21.000 Auszubildende haben im aktuellen Lehrjahr eine Ausbildung begonnen, die zuletzt an einer Hochschule eingeschrieben waren oder es noch sind. Nicht mit eingerechnet sind jene, die sich gar nicht bei der Agentur als suchend gemeldet haben. Das Interesse der Studiumsabbrecher*innen an Handwerksberufen nimmt zu.

An der letzten Prüfung gescheitert

Einer von ihnen ist Paul, 26, aus Leipzig. 14 Semester hat er Brandschutzigenieurwesen studiert, dann scheiterte er an der letzten Klausur. "Die Prüfungen liefen schon immer nach dem Motto 'Vier gewinnt'. Hinten raus kamen dann die Hammerklausuren", erinnert er sich. Strömungsdynamik kegelte ihn schlussendlich aus der Uni.

Kurz dachte Paul darüber nach, das Ergebnis anzufechten oder das Studium zu wechseln. Dann aber setzte sich bei ihm die Erkenntnis durch: Ein Studium, das passt vielleicht gar nicht. "Ich bin jemand, der gerne viel aufschiebt", sagt der 26-Jährige ehrlich. Dazu kommt, dass er sich nicht gerne abnabele. Zwei Wochen Bulimie-Lernen war auch nicht seine Sache. Lange kam er damit durch, weshalb sich am Ende 14 Semester ansammelten.

Handwerkskammer und Uni helfen

Letztendlich brauchte Paul aber einen Plan B. Schnell kam er auf eine Ausbildung und fand nach gezielter Suche einen Platz als Elektroniker mit Fachrichtung Informations- und Telekommunikationstechnik. Während dieser Suche hat er sich Hilfe bei der Handwerkskammer und an der Uni Leipzig gesucht. Beide haben spezielle Programme für Studienabbrecher*innen. Dadurch soll der Kontakt zu Ausbildungsstätten hergestellt werden, die bevorzugt Ex-Studierende einstellen wollen.

So fand letztlich auch Paul zu seinem Ausbildungsplatz. "Ich hatte das Gefühl, dass beide Seiten interessiert sind", erinnert er sich an das Vorstellungsgespräch. Nach einem Probearbeiten unterschrieb er den Vertrag. Den ersten Monat der Ausbildung hat er hinter sich. Das frühe Aufstehen ist für die bekennende Nachteule kein Problem. Verschlafen hat er noch nie.

Aktuell absolviert der 26-Jährige seinen ersten Block an der Berufsschule. "Das passt", meint er und merkt an: "Es ist schon ein anderes Niveau als in der Uni". Deshalb konnte Paul auch das erste Schuljahr überspringen. Ein Vorteil der Ausbildungen: Zwar gibt es nur rund 320 anerkannte Ausbildungsberufe, allerdings sind die Stellen oft individuell auf die jeweiligen Firmen zugeschnitten und spezialisiert. Dazu sind viele individuelle Absprachen möglich, solange der Betrieb, die*der Auszubildende und die zuständige Kammer sich einig sind.

Berufe sind geschützte Begriffe

In Deutschland sind Handwerksberufe geschützte Begriffe. Anders als etwa in den USA, kann sich nicht jede*r Friseur*in nennen. Dazu braucht es eine von der Handwerkskammer bescheinigte Ausbildung. So gibt es für jeden Beruf auch eine zuständige Kammer. Die helfen gerne bei der Vermittlung von Ausbildungsstellen, denn zuletzt sind viele Plätze unbesetzt geblieben. Das gilt besonders für das Handwerk.

"Das Handwerk sucht dringend Nachwuchs. Aufgrund der demografischen Situation und der zunehmenden Ausrichtung auf Abitur und Studium haben viele Betriebe inzwischen Schwierigkeiten, offene Lehrstellen zu besetzen. Im vergangenen Jahr blieben 14.000 Lehrstellen unbesetzt", sagt Frank Zopp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks.

"Warum soll ein begonnener Mediziner nicht Hörgeräteakustiker, Orthopädiemechaniker oder Zahntechniker werden? Im Handwerk hat man Karrieremöglichkeiten. Die Handwerksbetriebe haben flache Hierarchien und überschaubare Betriebsstrukturen, in denen ein schneller Aufstieg möglich ist", sagt Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer in einem Interview. Zumal Handwerksmeister*innen einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge genauso viel verdienen, wie ein*e Fachhochschulabsolvent*in.

Geringes Gehalt in der Ausbildung

Wollseifer macht auf ein allgemeines Problem aufmerksam: "Bis vor einigen Jahren gingen 70 Prozent der Schulabgänger in eine berufspraktische Ausbildung im dualen System. 30 Prozent gingen zur Universität oder an Fachhochschulen und machten dort einen Studienabschluss. Heute streben über 50 Prozent an die Hochschulen und wir wissen, dass etwa ein Drittel davon den Studienabschluss niemals erreichen wird."

Im Handwerk seien die Aufgaben für Auszubildende wesentlich klarer, praktischer und kleinteiliger an der Uni. Das hilft bei der Orientierung und der Motivation, findet auch Paul. Mit seiner jetzigen Situation ist er zufrieden. Da er wieder bei seinen Eltern wohnen kann, reichen die 600 Euro an Ausbildungsgehalt pro Monat, um gut über die Runden zu kommen.

Im Nachhinein hätte er sich gewünscht, den umgekehrten Weg gegangen zu sein. Also erst Ausbildung und dann Studium. "Dann hätte ich vielleicht gewusst, was Arbeit bedeutet", sagt er heute.

"Aus meiner Situation würde ich eine Ausbildung empfehlen", sagt Paul, ohne daraus eine allgemeine Gültigkeit ableiten zu wollen. "Ich habe Freunde mit einem schlechten Abischnitt, die jetzt einen Doktorandenstelle haben. Was man im Studium erreicht, ist nicht vom Abischnitt abhängig". Eine andere Sache sei dagegen entscheidend: "Jeder muss für sich eine Eigenmotivation finden".