Mohammed bin Salman, der häufig nur mit dem Kürzel MbS genannt wird, ist erst 32 Jahre alt. Vergangenes Jahr ernannte ihn sein Vater, König Salman, zum Kronprinzen. Prinz Mohammed hat eine Vision – eine Vision davon, wie Saudi-Arabien im Jahr 2030 aussieht. Überall im Land sind Plakate angebracht, die für diese Vision werben.

Bislang basiert der Wohlstand Saudi-Arabiens in erster Linie auf dem glücklichen Zufall, auf viel schwarzem Gold zu sitzen: Öl. Die Ressource, von der die ganze Welt abhängig ist – und die vor allem die westliche Welt nicht in dem Maße, in dem sie es benötigt, selbst abbauen kann. Aber jedem Kind wird heutzutage beigebracht: Die Ressource Öl ist endlich. Irgendwann ist alles abgeschöpft, was abzuschöpfen ist. Irgendwann wird auch die letzte Ölquelle ausgeblutet sein. Und was dann?

Prinz Mohammed will sein Land unabhängiger von dem Export von Öl machen. Das ist das Hauptziel, das er mit der Vision 2030 verfolgt. MbS will die Wirtschaft Saudi-Arabiens diversifizieren. Er will neue Unternehmen ins Land holen und aufbauen, Investitionen aus dem Ausland fördern und bislang staatliche Unternehmen privatisieren – sogar in der Ölindustrie. Saudi-Arabien soll ein Staat mit einer modernen Wirtschaft werden.

Wirtschaftsreformen

In diesem Zusammenhang setzte der Kronprinz jüngst einige gesellschaftliche Reformen um. Großes Aufsehen erregte beispielsweise sein Aktionismus in Sachen Korruption. Im Januar 2018 wurden 325 Saudis im Ritz Carlton Hotel in Riad festgehalten und ihre privaten Finanzen untersucht – die Betroffenen waren angesehene Mitglieder der saudischen Gesellschaft, Wirtschaftsmänner und sogar Mitglieder der Königsfamilie. Ihnen wurde Korruption vorgeworfen. Der Staat holte sich in Verhandlungen mit den Luxus-Inhaftierten laut eigenen Angaben 100 Milliarden Dollar zurück. Die meisten der Betroffenen sind inzwischen wieder frei.

Frauenrechte

Auch Frauen wurden einige neue Rechte eingeräumt. Viele der neuen Arbeitsplätze, die geschaffen werden, sollen mit Frauen besetzt werden. Der Anteil der arbeitenden Frauen soll von bisher 22 auf 30 Prozent steigen. Frauen dürfen sich seit Februar sogar für den Militärdienst bewerben. Außerdem sollen sie sich im Alltag freier bewegen dürfen: Ab Juni sollen Frauen den Führerschein erwerben dürfen.

Saudische Frauen können auf weitere Reformen hoffen. Bislang dürfen Frauen beispielsweise nicht ohne die Erlaubnis eines Mannes reisen. Im einem Interview mit The Atlantic äußerte sich der Kronprinz kritisch gegenüber dieser Regelung. Er erinnerte an die Zeiten vor 1979, dem Jahr, in dem eine konservative Rückbesinnung in dem Land stattfand: "In den 1960er-Jahren reisten Frauen nicht in Begleitung von Männern. Aber heute wird es so praktiziert und wir würden gerne in einer Art und Weise vorwärts gehen, die die Familie und Kultur nicht verletzen."

Existenzrecht Israels

In demselben Interview erkannte Prinz Mohammed als erstes saudisches Regierungsmitglied das Existenzrecht Israels an. Er sagte: "Ich glaube, dass alle Menschen das Recht haben als friedliche Nation zusammen zu leben. Ich glaube, dass Palästinenser und Israelis das Recht auf ihr eigenes Land haben." Notwendig sei ein Friedensabkommen, "um Stabilität für alle zu sichern und normale Beziehungen zu haben". Saudi-Arabien hat Israel bislang nicht als eigenen Staat anerkannt. Als Bedingung dafür beharrte Saudi-Arabien seit Jahren darauf, dass sich Israel aus den Gebieten zurückziehe, die es 1967 im Sechs-Tage-Krieg besetzt hatte.

All diese Reformen werden von den Ländern des globalen Nordens viel gelobt. Sie gelten als Zeichen für eine Liberalisierung des autoritär regierten Staates. Ist Saudi-Arabien also der Leuchtturm der Moderne im arabischen Raum? So leicht ist es keineswegs.

Der Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien

Die Bedeutung vieler Zugeständnisse und Reformen lässt sich erst dann verstehen, wenn man von dem Konflikt zwischen dem schiitisch geprägten Iran und dem sunnitisch geprägten Saudi-Arabien weiß. Beide Länder gelten als die großen Rivalen im Mittleren Osten, die Bezeichnung Erzfeinde würde das Verhältnis wohl recht treffend beschreiben. In einem Interview mit The Atlantic bezeichnete der saudische Kronprinz das iranische Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei als schlimmer als Hitler. Beide Ringen um die Vorherrschaft in der Region – doch während der Iran überwiegend auf Abgrenzung vom globalen Norden setzt, strebt Saudi-Arabien nach Kooperation mit den USA und deren Verbündeten, zu denen eben auch Israel gehört.

Barack Obama hatte sich in seiner letzten Amtszeit um eine Annäherung mit dem Iran bemüht, was von den Monarchen in Riad äußerst kritisch bewertet wurde. Das von Obama mitunterzeichnete Atomabkommen mit dem Iran bedeutet einen wirtschaftlichen Aufstieg des bislang weitgehend isolierten Landes. Saudi-Arabien fürchtete um seine Macht. Es möchte als der starke Bündnispartner der USA in der Region gelten. Seitdem Donald Trump Präsident der USA ist, haben sich die US-saudischen Beziehungen jedoch wieder verbessert – dass Trump das Atomabkommen als "schlechtesten Deal aller Zeiten" bezeichnet hat, dürfte dazu beigetragen haben. Es heißt, der saudische Konprinz Mohammed und der US-amerikanische Kronprinz und Ehemann der Präsidenten-Tochter Ivanka Trump, Jared Kushner, würden sich gut verstehen und ständen in Kontakt.

Der Jemenkrieg

Ihren Konflikt tragen Iran und Saudi-Arabien derzeit im Jemen aus. Dort herrscht seit 2015 Bürgerkrieg, in dem Huthi-Rebellen im Norden gegen die Regierung von Präsident Abd Rabbu Mansur Hadi und islamistische Milizen kämpfen. Die Huthi-Rebellen werden vom Iran unterstützt, die Regierung im Süden von Saudi-Arabien. Während der Iran überwiegend Waffen liefert, fliegt die saudische Luftwaffe selbst Angriffe gegen die Rebellen.

Der seit drei Jahren anhaltende Konflikt hat verheerende Folgen für die jemenitische Zivilbevölkerung. Die Krise in Zahlen: Das Land hat insgesamt circa 27 Millionen Einwohner*innen, 2,9 Millionen sind innerhalb des Jemens auf der Flucht und müssen in den verschiedenen Lagern des Landes versorgt werden, 17 Millionen Menschen haben keinen sicheren Zugang zu Nahrung, 10,3 Millionen Menschen sind akut von Hunger bedroht. 4.000 Zivilist*innen sollen durch die saudischen Luftangriffe getötet worden sein, 7.000 verletzt.

Darüber hinaus ist das Land seit Frühjahr 2017 mit dem Ausbruch der weltweit schlimmsten Cholera-Epidemie, die je dokumentiert wurde, konfrontiert. Ende November 2017 waren landesweit fast 900.000 Menschen an Cholera erkrankt. Wichtige Hilfsgelder, die ursprünglich für den Kampf gegen die Hungerkrise vorgesehen waren, müssen nun für die Eindämmung der Epidemie und die Behandlung der Kranken eingesetzt werden. Weder die Waffenlieferungen aus dem Iran noch die Luftangriffe der Saudis verbessern die Situation der Bevölkerung.

Menschrechte in Saudi-Arabien

Auch nicht zu vergessen ist folgender Fakt: Frauen dürfen zwar bald Auto fahren, einen Vorreiter in Sachen Menschenrechte kann man Saudi-Arabien jedoch nun wirklich nicht nennen. Der Journalist Jeffrey Goldberg, der das Interview mit Prinz Mohammed für The Atlantic führte, schreibt: "Zu Themen, die mit Menschenrechten, Offenheit und der Zweckmäßigkeit des Regierungsmodels der absoluten Monarchie zusammenhängen, war der Kronprinz vorsichtiger und defensiv".

Meinungsfreiheit ist beispielsweise nach wie vor inexistent in der Monarchie. Der Kronprinz hat systematisch kritische Gegner*innen eliminiert, darunter Journalist*innen, Menschenrechts- und Pro-Demokratie-Aktivist*innen. Auch die schiitische, muslimische Minderheit im Land wird aufgrund ihres Glaubens unterdrückt. Das Recht, ihre Religion auszuüben, ist stark beschränkt, ebenso wie der Zugang zum Arbeitsmarkt und einem gerechten Rechtssystem. Schiitische Aktivisten müssen mit drakonischen Haftstrafen, Folter und Todesstrafen rechnen.

Reformen im Namen von Wirtschaft und Macht

Was lässt sich also als Fazit sagen? Ja, einerseits arbeitet der junge Kronprinz daran, sein Land zu reformieren. Diese Reformen betreffen jedoch in erster Linie die Wirtschaft. Gesellschaftliche Reformen werden insofern verabschiedet, als dass sie dazu beitragen, die Vision 2030, also die Unabhängigkeit Saudi-Arabiens vom Öl, zu realisieren. So stellen Frauen beispielsweise eine bislang unterentwickelte Wirtschaftskraft dar – weshalb MbS die Rechte der Frauen stärken möchte, ein gesellschaftliches Umdenken voranbringen möchte, um diesen Wirtschaftsfaktor auszuschöpfen.

Außerdem, so vermuten Expert*innen, sollen die Reformen dazu beitragen, die Macht Saudi-Arabiens im arabischen Raum zu stärken. Die Golf-Monarchie möchte sich als der starke Partner der USA positionieren. Das Existenzrecht Israels anzuerkennen, wird von den Ländern des globalen Nordens gutgeheißen und verleiht Saudi-Arabien im Gegensatz zum Iran das Image eines zuverlässigen und aufgeschlossenen Partners.

Gerade die gesellschaftlichen Reformen sind also bedingt von dem Streben nach einer Wirtschaft, die unabhängig von Öl ist, und der Stärkung der eigenen Machtposition gegenüber dem Iran. Doch man sollte Saudi-Arabien nicht als das neue demokratische Leuchtfeuer hochpreisen: Saudi-Arabien ist nach wie vor eine Monarchie, die Scharia ist Gesetz, freie Meinungsäußerung ist nicht erlaubt, religiöse Minderheiten, Frauen und Queere werden gewaltsam unterdrückt.