Neben dem Elternhaus und dem Wohnumfeld ist die Schule die Institution, die Kinder und Jugendliche am intensivsten prägt. In der Schule wird der Bildungsauftrag erfüllt – wenn alles gut läuft. Aber an diesem Ort, an dem unterschiedliche Menschen miteinander lernen, geht es um mehr als nur die Erfüllung von Lehrplänen. Es geht um die Frage, wie wir miteinander lernen wollen – und auch darum, wer das Wir eigentlich ist oder sein soll. Eine Antwort ist die Wertschätzung von menschlicher Vielfalt – und die Herstellung eines Umfelds, in dem alle Schüler*innen unabhängig ihrer Herkunft, Religion und Kultur gleichberechtigt miteinander lernen können.

Wie das gehen kann, hat sich auch ein Gymnasium in Herne gefragt. Schülerinnen wollten aus religiösen Gründen nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Die Schule reagierte mit Leih-Burkinis – ein Badeanzug, der den Körper bedeckt. Bei der gestrigen ZEIT-Matinee auf die Entscheidung der Schule und die Kritik von konservativen Parteien daran angesprochen, reagierte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey pragmatisch: "Das Wichtigste ist ja das Wohl der Kinder, und das heißt nun mal, dass alle schwimmen lernen." Für das Ministerium sei entscheidend, dass die Kinder Schwimmen lernen. Der Burkini biete die Möglichkeit, beidem nachzukommen – der Religionsfreiheit und der Schulpflicht. In einem späteren Statement schrieb Franziska Giffey, dass sie Burkinis für problematisch halte und sie am liebsten nicht im Unterricht sehen würde – den pragmatischen Weg der Schule befürworte sie aber.

Es sollte nicht entscheidend sein, in welcher Kleidung Schüler*innen gemeinsam schwimmen gehen, sondern dass sie gemeinsam schwimmen gehen können."

Die pragmatische Entscheidung der Schule ist dabei noch viel mehr: Sie zeugt von einer zeitgemäßen Haltung zu Bildung in einer pluralistischen Gesellschaft. Sie zeigt eine Haltung zu Bildung, die menschliche Vielfalt als selbstverständlich sieht. Sie zeigt eine Haltung zu Bildung, die fragt: Was braucht das Kind, um am Unterricht teilhaben zu können? Und sorgt dann dafür, dass das Kind in einem passenden Umfeld lernen kann. Was in diesem Fall ein Burkini ist, kann in einem anderen Fall ein Schwimm-Rollstuhl für ein Kind mit Behinderung sein oder die Schulbegleitung für ein anderes Kind. Es kann ein höhenverstellbarer Tisch sein für Kinder in unterschiedlichen Größen oder die Zuzahlung zum Mittagessen für Familien mit geringem Einkommen.

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist festgehalten: "Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Grundlage dafür sind Freiheit, Gleichheit und die Erkenntnis, dass jeder Mensch dazugehört zur menschlichen Familie, zur menschlichen Gemeinschaft oder schlicht ausgedrückt zu einem ,Wir'." Dabei sollte nicht entscheidend sein, in welcher Kleidung Schüler*innen gemeinsam schwimmen gehen, sondern dass sie gemeinsam schwimmen gehen können. Gleichzeitig wird durch den gemeinsamen Schwimmunterricht auch eine Diskussion über das vielfältige Miteinander möglich: Warum schwimmt die eine Schülerin im Burkini, während die andere im Bikini krault? Das ist ja durchaus eine Frage, die in einer Klasse diskutiert werden kann und sollte – gemeinsam, immerhin geht es um das gemeinsame Wir.

Der Schulleiter des Pestalozzi-Gymnasiums in Herne erklärt die Umsetzung an seiner Schule so: Um allen Schüler*innen unabhängig von Herkunft und Konfession die Teilnahme am Sportunterricht zu ermöglichen, habe man immer wieder Badehosen und andere Sportbekleidung mit privaten Mitteln beschafft. Vor zwei Jahren sei nun der Burkini hinzugekommen. Manchmal brauchen Menschen Starthilfe – wo sollen sie sie bekommen, wenn nicht in und von Schulen?

Alle Texte der Kolumne Klein und groß.