Ich muss da etwas klarstellen: Den Feminismus gibt es nicht. Zumindest nicht den einen, in Stein gemeißelten, auf den sich alle Feminist*innen dieser Welt in Eintracht verständigen. Eigentlich sollten wir nur noch von Feminismen in der Mehrzahl sprechen, um zu verdeutlichen, dass es zig verschiedene Strömungen gibt. Dabei ist es im Grunde ganz einfach: "Feminism is the radical notion that women are people", lautet ein populärer Ausspruch. Wenn du der Meinung bist, dass Frauen Menschen sind, bist du Feminist*in.

Für mich bedeutet Feminismus das Streben nach Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, das Eintreten gegen Sexismus und für Chancengleichheit. Feminismus bedeutet für mich, Geschlechterrollen und Machtverhältnisse zu hinterfragen. Feminismus ist für mich inkludierend und intersektional. Das heißt, ich möchte einen Feminismus, der andere nicht ausschließt und Mehrfachdiskriminierungen, etwa aufgrund des Geschlechts und der Hautfarbe, mitdenkt. Es geht um Freiheit und darum, dass es genügend Identitätsmodelle für alle gibt. Es geht nicht darum, das Patriarchat durch ein Matriarchat zu ersetzen. Das sind Werte, auf die sich zumindest sehr viele Feminist*innen einigen können. Und doch ist da diese eine Sache, für die im Feminismus kein Platz zu sein scheint: Männerrechte.

Das Patriarchat schadet uns allen

Es gibt vieles, über das Frauen zu Recht wütend sind. Sie verdienen weniger als Männer, aber zahlen mehr für dieselben Produkte. Sie sind seltener in Führungspositionen, leisten dafür aber einen Großteil der meist unbezahlten Care-Arbeit. Sie werden sexualisiert, ausgebeutet und absurden Schönheitsidealen unterworfen. Einfacher ausgedrückt: Das Patriarchat ist zum Kotzen. Doch nicht nur für Frauen.

Männer sterben im Schnitt fünf bis sechs Jahre früher, sie führen die Suizidstatistik an, sie haben eine höhere Todesrate am Arbeitsplatz und werden mit höherer Wahrscheinlichkeit straffällig oder obdachlos. Sie brechen häufiger ihr Studium ab und bekommen seltener das Sorgerecht für gemeinsame Kinder. Männer werden zumindest in den USA etwa genauso häufig Opfer häuslicher Gewalt wie Frauen und auch Männer bekommen Essstörungen.

Feindbild alter weißer Mann

Im öffentlichen Diskurs jedoch werden diese Probleme seltener thematisiert. Ausnahmen sind Dokumentarfilme wie The Mask You Live In von The Representation Project oder The Red Pill der preisgekrönten US-Filmemacherin Cassie Jaye. Bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2016 hat Jayes Film für Aufsehen gesorgt – vor allem in Australien. Einige Vorführungen mussten aufgrund der Proteste von Feminist*innen abgesagt werden. Der Vorwurf: Der Film sei antifeministisch und rechtfertige Vergewaltigungen. Das mag auf Teile der Männerrechtsbewegung zutreffen. Gerade in den USA gelten die Men’s Rights Activists als Gender-Variante der White Supremacists. Und auch in Deutschland beschreibt der Begriff Maskulinismus oder Maskulismus meist eine misogyne Bewegung, die eine vermeintlich natürliche Überlegenheit von Männern gegenüber Frauen propagiert.

Dabei bräuchte es so dringend ein Pendant zum Feminismus, oder noch besser: einen Feminismus, der Männer einbezieht. Natürlich möchte ich keine alten weißen Männer schützen, die den Abbau von Privilegien mit Diskriminierung verwechseln. Genauso wenig möchte ich mich aber auf den alten weißen Mann als Feindbild einschießen. Der Feind, das sind Geschlechterrollen – und was das angeht, sitzen wir alle im selben Boot.

"Das Patriarchat ist das Ergebnis von Geschlechterrollen, nicht umgekehrt", sagt ein Männerrechtsanwalt in The Red Pill. Und ich habe das Gefühl, da könnte etwas dran sein. Gerade für den Kapitalismus ist die geschlechtliche Aufteilung in reproduktive Arbeit für Frauen und produktive Arbeit für Männer irre praktisch. Je zersplitterter unsere Gesellschaft, desto mehr profitiert er davon.

Every penis is beautiful

Dabei ist Gleichberechtigung kein Nullsummenspiel, kein Lagerkampf, in dem die eine Seite nur gewinnen kann, wenn der anderen etwas genommen wird. Im Gegenteil. Manche Probleme sind wie die zwei Seiten derselben Medaille. So zeigen Studien, dass toxische, also übersteigerte und daher gefährliche Männlichkeit, wie sie etwa der Autor Jack Urwin in Boys don’t cry beschreibt, mit sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen zusammenhängt. Gewissermaßen ist sexualisierte Gewalt auch das Symptom einer Gesellschaft, die Männlichkeit an der Größe des Penis misst und männliches Selbstwertgefühl untrennbar mit Sex koppelt. Das ist natürlich in keinster Weise eine Rechtfertigung für Gewalt. Aber die Welt, in der wir leben, ist eben überkomplex.

Niemand hat gesagt, dass wir die Benachteiligung von Frauen erst vollständig überwunden haben müssen, bis wir Problemen von Männern wieder gesellschaftliche Beachtung beimessen dürfen. Ich kann sehr wohl mit berechtigter Wut das Patriarchat wegfotzen und gleichzeitig meine eigenen Privilegien als Frau hinterfragen. Das würde es Nicht-Feminist*innen leichter machen, sich mit Geschlechtergerechtigkeit zu befassen und vielleicht sogar einem gesunden Maskulinismus den Boden bereiten.
Anmerkung: In einer vorherigen Version des Textes stand, dass Männer in etwa genauso häufig Opfer häuslicher Gewalt werden wie Frauen. Diese Informationen stammen aus dem Film "The Red Pill" und beziehen sich lediglich auf die USA, nicht jedoch auf Deutschland. Dort sind nach Zahlen des Bundeskriminalamts für 2016 gut

80 Prozent der Opfer Frauen.