"Wir sind alle Clowns", lässt sich von einem Graffiti ablesen, das während der Proteste in Chile am Fuße einer Statue in der chilenischen Stadt Los Ángeles gesprüht worden war. Es zeigt, wie sich viele Chilen*innen von ihrer Regierung behandelt fühlen: ignoriert, vernachlässigt, veralbert. Als eines ihrer Symbole wählten viele Chilen*innen dazu das unverwechselbare Konterfei des Clowns aus dem Kinofilm Joker, dessen Maske sie bei den Protesten der vergangenen Monate trugen. Auch in anderen Teilen der Welt schminken sich Menschen wie der Comicschurke, zum Beispiel im Libanon. "Wir sind verletzt und enttäuscht", sagt die 28-jährige Libanesin Cynthia Aboujaoude gegenüber CNN. Sie findet den Gesichtsausdruck des von der Gesellschaft ausgeschlossenen Schurken passend für die Situation, in der sich die Bevölkerung im Libanon derzeit befinde.

Masken dienen Demonstrierenden zum Schutz ihrer Anonymität, wenn sie in einem Land demonstrieren, in dem sie keinen fairen Prozess seitens der Justiz zu erwarten haben. In Deutschland ist das Maskieren während Demonstrationen durch das Vermummungsverbot nicht erlaubt. So sollen Straftaten leichter verfolgt werden können, die während einer Demonstration begangen werden. Es ist aber umstritten, ob diese Einschränkung der persönlichen Freiheit angemessen und notwendig ist. Einige sehen Vermummungsverbote eher als Merkmal repressiver Staaten. Es hält womöglich auch Menschen von der friedlichen Teilnahme an Protesten ab, die aus anderen Gründen ihre Anonymität wahren wollen, beispielsweise aus Furcht vor Diskriminierung. Befürworter*innen halten dem entgegen, dass eine erfolgreiche Strafverfolgung schwerer wiege als der Wunsch nach Anonymität.

Der Joker reiht sich in eine ganze Liste popkultureller Figuren ein, die es auf die Straßen krisengebeutelter Regionen geschafft haben. Neben den eher pragmatischen Gründen dienen die Masken den Protestierenden vor allem als aussagekräftiges Symbol. Sie sollen die Menschen zu einer Einheit werden lassen.

Guy Fawkes

Egal ob im Libanon, in Chile oder in Hongkong: Wo in diesen Tagen protestiert wird, da taucht die Maske von Guy Fawkes auf. Der katholische Offizier mit dem markanten Musketierbart wollte am 5. November 1605 das britische Parlament und König Jakob I. in die Luft sprengen. Das Attentat scheiterte und doch wurde Guy Fawkes zu einem Symbol für all jene, die gegen Autoritäten kämpfen. Größere Bekanntheit erlangte seine Maske aber erst rund 400 Jahre später, als der britische Autor Alan Moore und der Zeichner David Lloyd die Figur literarisch wieder aufgriffen, und den Protagonisten ihrer dystopischen Graphic Novel V wie Vendetta als Guy Fawkes verkleideten. Darin führt ein anarchistischer anonymer Einzelkämpfer einen Bombenkrieg gegen den totalitären Staat, zu dem sich England entwickelt hat.

Seit dem Jahr 2008 verwendet das Internetkollektiv Anonymous die Maske als Erkennungszeichen. Zum unübersehbaren Massenphänomen wurden sie aber erst 2011, als sie von Protestierenden der Occupy-Wall-Street-Bewegung getragen wurden. Damit hatte Guy Fawkes die Sphäre der Netzkultur verlassen und wurde zum Zeichen des Misstrauens gegen die politische Klasse.

Winnie Puuh

Seit Monaten protestieren Menschen in Hongkong für mehr Demokratie. Auslöser war zunächst ein Gesetzesvorhaben, das eine Auslieferung von Verdächtigen nach China ermöglicht hätte. Mittlerweile wurde der Gesetzesentwurf zwar auf Eis gelegt, die Proteste aber halten an und haben sich zu einer breiteren Demokratiebewegung entwickelt. Als Zeichen für mehr Demokratie und Transparenz steht dabei ausgerechnet der liebste und tapsigste Zeichentrickbär, den wir kennen: Winnie Puuh.

Seit 2013 werden der chinesische Staatspräsident Xi Jinping und Winnie Puuh immer wieder in Zusammenhang gebracht. Damals war ein Foto von Xi und dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama mit einem Bild von Winnie Puuh und seinem Freund Tigger gegenübergestellt worden. Das Meme ging damals auf der chinesischen Social-Media-Plattform Weibo viral. Zumindest für kurze Zeit. Denn wenig später wurde es aus dem Netz genommen. Seitdem wurde Winnie Puuh zur Comicfigur non grata: User*innen hatten sich über die Ähnlichkeit des Präsidenten mit der Figur lustig gemacht und weitere Abbildungen des Bären wurden von den chinesischen Zensurbehörden verbannt – zuletzt im Jahr 2018, als der Disney-Film Christopher Robin, in dem auch die Figur Winnie Puuh zu sehen ist, nicht in chinesischen Kinos gezeigt wurde. Als Maske wird der Comicbär erst seit den Protesten in Hongkong getragen.

Salvador Dalí

"Diese Maske steht für den Widerstand, dem sich angesichts der Ungerechtigkeit in dieser Welt jeder von euch anschließen sollte." Mit diesen Worten überzeugt der Professor in der Netflix-Erfolgsserie Haus des Geldes seine Kompliz*innen davon, den größten Raub der Geschichte durchzuführen: ein Überfall auf die spanische Banknotendruckerei. Die Masken, die sie dabei tragen, zeigen den spanischen Künstler Salvador Dalí. Die Popularität der Serie brachte die Maske vielerorts auch auf die Straße. Zuletzt wurde sie während den Demonstrationen in Chile und im Libanon vereinzelt von Demonstrierenden getragen, die damit ihrer Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit in ihren Ländern Ausdruck verleihen wollten.

Eine offizielle Erklärung, warum die Bankräuber*innen der Netflix-Serie ausgerechnet Salvador Dalí als Symbol für ihren Kampf gegen Ungerechtigkeit gewählt haben, gibt es nicht. Möglich wäre, dass sie auf die politischen Tätigkeiten des großen Surrealisten anspielt. Die politische Haltung Salvador Dalís stellt Historiker*innen bis heute vor ein Rätsel. Tatsächlich unterstützte Dalì das autoritäre Regime von Francisco Franco, was im Gegensatz zum Widerstand des Professors in Haus des Geldes stehen würde. Die meisten Expert*innen sind der Ansicht, dass Dalí kein überzeugter Rechtsradikaler war. Er habe für Anarchie, Provokation und Exzesse gestanden. Sich mit seinem Gesicht zu verkleiden, wäre eine Möglichkeit, daran zu erinnern, wie die Ideologie Francos Spanien jahrzehntelang in eine tiefe Krise gestürzt hat.

Pepe der Frosch

Pepe der Frosch taucht 2005 erstmals in einem obskuren Webcomic auf. Über Plattformen wie MySpace gelangt er in die Onlinecommunity 4chan, wo er schließlich zum Meme wird. In verschiedenen Situationen wird Pepe gezeigt: Pepe is love, Pepe is life. Vor allem ist er ziemlich harmlos und unschuldig  – bis zum US-Wahlkampf 2016. Damals wurden Pepe-Bilder bei Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien häufig von Unterstützer*innen des republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und der Alt-Right genutzt. Bereits kurz darauf hatte die amerikanische Anti-Defamation League, die sich gegen die Diffamierung von Jüd*innen einsetzt, Pepe in ihre Datenbank der Hasssymbole aufgenommen. "Die Verwendung von Pepe-Memes in rassistischen Kontexten nimmt zu", hieß es damals in der Begründung. Dabei sollte Pepe nie ein politisches oder gar rassistisches Symbol werden. Sein Erfinder, der Comiczeichner Matt Furie, kämpft seit Jahren juristisch gegen Neonazis und Rechtspopulist*innen, die Pepe für ihre Zwecke vereinnahmen.

Jetzt ist der Frosch aber auf neuem Kurs – als kreatives Symbol der Protestbewegung in Hongkong. "Es gibt sicherlich viele in Hongkong, die nicht wissen, dass Pepe in der Alt-Right-Bewegung benutzt wird. Aber andererseits kann man auch sagen, dass Protestierende sich aktiv dazu entschieden haben, der Figur ein neues Meaning zu geben", sagt der Protestforscher Andy Buschmann im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova. Laut ihm können sich viele Hongkonger*innen gut mit Pepe identifizieren, da er traurig, fast schon wie ein Loser aussehe.

Joker

Nur wenige Tage nach der weltweiten Kinopremiere des Films Joker tauchte das unverwechselbare Gesicht des Titel-Comicschurken in politischen Demonstrationen auf der ganzen Welt auf. Als einen Grund für die Popularität als Protestsymbol nennt der französische Historiker und Autor des Buches  Super Heroes: A Political HistoryWilliam Blanc, gegenüber France24 die Isolation des Charakters, das Alleinsein – ein Gefühl des Im-Stich-gelassen-Seins, mit dem sich viele Jugendliche identifizieren könnten. Der Joker symbolisiere dieses Gefühl und verleihe den Protestierenden so den Ausdruck, von ihren Regierungen gehört werden zu wollen.

Eine andere Interpretation lässt, wie bereits eingangs erwähnt, ein Graffiti zu, das während der Proteste in Chile am Fuße einer Statue in der chilenischen Stadt Los Ángeles gesprüht wurde. "Wir sind alle Clowns", steht da. Historiker William Blanc sieht einige Parallelen zu der oben beschriebenen Maske Guy Fawkes'. "Sie beide teilen das Schicksal, dass ihre Körper durch soziale Ungerechtigkeit deformiert wurden", sagt Blanc. "Sie sind beide Opfer der Macht und entschlossen, sich zu rächen."