Die Menschen im katalonischen Spanien wollten am Wochenende Demokratie leben und über ein Referendum abstimmen, friedlich. Jetzt sehen wir Bilder von verprügelten und blutenden Menschen, weit mehr als 800 sind verletzt, durch Polizeiknüppel, Pfefferspray, Gummigeschosse.

Im Klartext passierte dort Folgendes: Eine Regierung möchte nicht, dass Menschen in einem demokratischen Prozess für ihre Unabhängigkeit abstimmen – und ließ ihre Polizei so heftig auf Menschen einprügeln, dass sie nicht mehr ins Wahllokal laufen konnten. Womit wird dieses Blut gerechtfertigt?

Wir sprechen hier von Europa im Jahr 2017. Spanien ist nicht weit weg von uns. Wann immer wir zu den USA schielen, in die Türkei, nach Myanmar und Polizeigewalt verurteilen, vergessen wir, dass es überall Polizeigewalt gibt. Auch bei uns, in Ländern des europäischen Staatenbündnisses. Da stellt sich die Frage: Warum lassen wir das in Spanien zu, wo wir das doch in anderen Ländern verurteilen?

Who watches the Watchmen?

Wir brauchen uns nichts auf unseren vermeintlichen Fortschritt einzubilden. Sehen die EU-Staaten die staatliche Ordnung bedroht – und das können sie sehr breit auslegen – dürfen sie in Form der Polizei körperliche Gewalt gegen uns anwenden. Straffrei. Das ist ein Paradoxon, für das es keine vernünftige Erklärung geben kann.

In Spanien bekommen die Menschen genau das ab, gegen das sie seit Jahrzehnten protestieren und ankämpfen: Korruption, Machtverschiebung, den Schlagstock. Man diskutiert darüber, ob die Menschen das da überhaupt dürfen, für die Abspaltung Kataloniens stimmen. Natürlich sollten sie das dürfen, das ist Demokratie.

Eine tiefgreifende Frage, die dieses Referendum aufwirft, ist auch: Haben wir ein Konzept von Staatsgewalt und Exekutive, das tragbar für Europa ist? Wir leben in einem Staatenbündnis, das sich auf fairen Handel einigt, auf Austausch, Teilen, Friedfertigkeit. Wie viele Menschen müssen noch verprügelt werden, während sie mit Blumen gegen Gewalt protestieren?

Wann richtet dieses Staatenbündnis den Blick endlich auf das Problem Polizeigewalt? Darauf, was eine Polizei dürfen sollte? Wann ihr und den Staaten, die sie befehligen, ein Riegel vorgeschoben werden muss?

In Deutschland erleben wir derzeit Politiker*innen, die vehement gegen linke Gewalt wettern. Sie vergessen dabei eines: Diese Gewalt ist eine Reaktion, allzu oft aus Frust und Verzweiflung. Anprangern sollte man nie die Menschen, die sich gegen Korruption und Gewalt wehren – sondern die, von denen sie ausgeht.

Europa muss handeln

Im spanischen Katalonien war das lange Jahre die Führung der Franco-Diktatur, die bis in die 1970er-Jahre brutal gegen die eigene Bevölkerung vorging, um sie mundtot zu machen. Die katalanische Sprache und Kultur wurde lange Jahre unterdrückt. Jetzt, wo die Menschen sich dort durchsetzen wollten, passiert das schon wieder: Sie werden mundtot gemacht. Der Staat darf zuschlagen, Europa schaut zu.

Das Justizsystem handelt in vielen europäischen Ländern nicht ausreichend unabhängig und unparteiisch, wenn es gilt, Vorwürfe von Polizeigewalt zu untersuchen. Deshalb bleiben Übergriffe durch Polizist*innen sehr häufig straffrei. Auch in Deutschland. Die Vereinten Nationen und der Europarat mahnen immer wieder, dass Polizeigewalt in Europa nicht genügend geahndet wird. Doch Misshandlung und Diskriminierung durch die Polizei sind ein Problem. Amnesty International fordert, unabhängige Untersuchungsmechanismen müssten verbessert oder erst eingerichtet werden.

Europa könnte all das leisten. Das Staatenbündnis könnte Richtlinien setzen, es könnte die Staaten dazu zwingen, Polizeigewalt umfassend zu untersuchen und einzudämmen. Es gibt EU-Richtlinien für Datenschutz bei Polizei und Justiz – warum nicht auch explizit für die Anwendung von Gewalt? Bisher haben die Staaten diesbezüglich freie Hand.

Wenn wir weiterhin zulassen, dass Menschen in Uniform sich in einen regelrechten Rausch prügeln dürfen, wird das unser Polizeibild nicht verbessern. Im Gegenteil: Wir schüren damit noch mehr Gewalt. Die Bilder vom G20-Gipfel Hamburg sind uns allen noch im Kopf. Jeder Schlag mit dem Stock macht den Menschen klar, wer hier das vermeintliche Sagen hat – nämlich offenbar Staaten und deren Regierungen, nicht die Menschen.

Europa hätte die Macht, dieses Ungleichgewicht einzudämmen. Es muss handeln.