Um eins gleich klarzustellen: Nein, früher war definitiv nicht alles besser. Egal, was Onkel Albert auf Geburtstagsfeiern so vor sich hin schwätzt. Allerdings gibt es da eine große Ausnahme: Trennungen.

In den 90ern, die seit geraumer Zeit ein unerklärliches Fashion-Comeback feiern, lief das mit dem Schlussmachen in etwa so: Gespräch, Tränen, Batida-Kirsch, Kopfschmerzen – und dann Briefe, Fotos, Teddybären, Mixtapes in eine Kiste stopfen, Kiste in den Keller schleppen (oder verbrennen, je nach Trennungstyp). Anschließend war Ruhe. Zumindest halbwegs.

Selbstredend gab es damals auch Erschwerendes wie einen gemeinsamem Bekanntenkreis oder Begegnungsstätten – Uni, Partys, Straßenecken, Fitnessstudio. Aber dazwischen konnten sich Herz und Hirn wenigstens einigermaßen erholen. Und mit erholen meine ich: Whitney Houston, Mariah Carey und Boys II Men auf Repeat hören, sich im Schmerz suhlen, die zerbrochene Beziehung komplett nochmal durchleben. Und sie dadurch verarbeiten.

Genau das ist heute viel schwieriger. Wie Wissenschaftler*innen herausgefunden haben, gibt es dank sozialer Netzwerke und entsprechender Algorithmen nämlich nahezu keine Auszeit von dem*der Ex-Partner*in.

Im Internet gibt es kein Entrinnen

Die Untersuchung der University of Colorado trägt dementsprechend den einprägsamen Titel Am I never going to be free of all this crap online?

Dafür hat das Team 19 Teilnehmende detailliert nach emotional aufwühlenden Onlinebegegnungen im Anschluss an eine Trennung befragt. Ergebnis: Sogar, wenn die Befragten alles getan hatten, was in ihrer Macht stand, um den*die Ex online nicht mehr sehen zu müssen, spielten ihnen Social-Media-Algorithmen mit unschöner Regelmäßigkeit Verflossenen-Content aus.

"Viele Leute meinen, sie könnten ihre*n Ex einfach entfreunden oder entfolgen und müssten dann nichts mehr mit ihnen zu tun haben", sagt der leitende Autor der Studie Anthony Pinter laut Pressemitteilung dazu. "Unsere Arbeit zeigt jedoch, dass das nicht der Fall ist."

Das kennt auch die Liebeskummerexpertin Elena Sohn: "Soziale Netzwerke ermöglichen das unbemerkte 'Stalken' des Ex-Partners. Man kann sich ihm oder ihr also virtuell weiter nähern, ohne dass es bemerkt wird. Das war vor Social Media undenkbar. Wollte man früher Informationen über das neue Leben des oder der Ex haben, musste man entweder direkt oder mit Bekannten in Kontakt treten oder aufwändige Recherchen anstellen. Da war die Hürde viel größer."

Nach Trennungen ist Facebook der Teufel

Der Untersuchung aus Colorado zufolge ist vor allem der Newsfeed von Facebook ein steter Quell des digitalen Kummers. Zum Beispiel durch Dinge wie eine Verkündung, dass der*diejenige jetzt wieder in einer Beziehung ist. Oder durch frischverliebte Knutsch- und Knuddelfotos von dem*der Ex mit einem anderen Menschen.

Ein besonders grausames Feature ist auch die Erinnerungsfunktion. Dabei spielt Facebook uralte, verliebte Fotos aus guten Zeiten vor der Trennung aus und man kann fühlen, wie das gebeutelte Herz wieder in den Würgegriff des Liebeskummers gleitet. Darüber steht dann zynisch: "Daran erinnerst du dich bestimmt gern zurück!" Äh, nein. Definitiv nein. Danke für nichts, Internet.

Auch indirekte Interaktionen in sozialen Netzwerken können eine Trennung erschweren – beispielsweise in Gruppen, in denen beide Mitglied sind, auf Veranstaltungsseiten oder auch bloß durch gemeinsame Kontakte. Dazu reicht es gegebenenfalls aus, dass der*die eigene Mitbewohner*in in einem Anfall grenzenloser Ignoranz und Unsensibilität ein entsprechendes Bildchen kommentiert oder sonstwie damit interagiert. Wie eine teilnehmende Person angab: "Ich musste meine Familie ansprechen und sagen: 'Könnt ihr bitte aufhören, die Fotos meines Ex-Mannes zu liken?'"

Wer jetzt denkt "Ach, aber blocken hilft doch", denkt eventuell ein Stückchen zu kurz: Von Facebook werden einem unter Umständen die Ex-Schwiegereltern oder Geschwister, die man vielleicht unlängst in einem seltenen Augenblick der Willensstärke mit zitternden Fingern heimlich entfreundet hat, erbarmungslos wieder und wieder als Freund*innen vorgeschlagen. Und auch, wenn ein Kontakt ein Foto mit der geblockten Person postet, ohne sie zu markieren, greift die Maßnahme nicht.

Schuld ist der Algorithmus – oder?

Wie die Forscher*innen analysiert haben, sind die Wurzeln des Übels die Algorithmen, die entscheiden, welche Inhalte uns ausgespielt werden. Sie seien zwar exzellent darin, Muster innerhalb von Klicks und Likes zu erkennen. Sie sind aber nicht auf die ganze Bandbreite an Nuancen zwischenmenschlicher Interaktionen ausgerichtet.

Eine Empfehlung an Plattformentwickler*innen lautet daher, der sozialen Peripherie mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Also, den menschlichen Verbindungen, Gruppen, Fotos und Veranstaltungen zweier Nutzer*innen. Und dann mehr Möglichkeiten zur Vermeidung entsprechender Postings und virtueller Begegnungen anzubieten.

Doch neben dem Algorithmus gibt es noch eine andere, etwas kniffligere Komponente, die uns auf Social Media die Trennung schwer macht: wir selbst. Menschliches Versagen. Es nützt die gründlichste Blockfunktion nämlich nichts, wenn sie immer wieder aufgehoben wird, weil man mal kurz gucken will.

"Wer Liebeskummer hat, ist, was die Hirnaktivitäten angeht, mit einem Junkie auf Entzug vergleichbar", erklärt Elena Sohn. Jedes kleine Fitzelchen Information über den*die Ex sei demnach wie eine Droge, nach der sich alles sehne. "Da ist der kleine Mausklick einfach zu verlockend."

Und schon findet man sich auf Insta wieder und dicke Tränken tropfen aufs Display, weil er*sie eine Story oder Bilder vom Sonntagsspaziergang mit dem*der Neuen gepostet hat – oder einfach sein*ihr bestes Leben lebt. Dass das Trennungen verschlimmert, liegt auf der Hand.

"Indem man sich dem oder der anderen weiterhin nahe fühlt, fällt das Loslassen viel schwerer", sagt auch Elena Sohn. "Man reißt damit andauernd alte Wunden wieder auf oder fügt sich sogar neue zu, wenn man online Dinge entdeckt, die man besser nicht gewusst hätte."

Dazu zählen insbesondere auch Informationen über den*die Neue*n. Twitter, Insta oder Facebook bieten vielfältige Nachforschungsmöglichkeiten. Gut ist das selbstverständlich nicht – auch, wenn die Motivation dahinter menschlich ist. "Wir hoffen meist insgeheim darauf, dass wir einen Makel entdecken oder irgendetwas, was darauf hinweist, dass es vermutlich eh nicht funktionieren wird", sagt Elena Sohn. "Und natürlich vergleichen wir uns auch: was hat sie oder er, was ich nicht habe?"

Doch was nützt es, zu wissen, dass es sich bei der neuen Flamme um eine untersetzte, spießige Knalltüte mit Zahnfehlstellung und Kartoffeldruck-Klamotten handelt? Der*die Ex kommt trotzdem nicht zurück und zu wissen, dass man gegen ein Betamodell eingetauscht wurde, macht die Trennung im Zweifel nur noch bitterer. Ach, ach.

Nachforschungen verlangsamen den Heilungsprozess des Herzens

Was also tun, wenn man nach einer Trennung nicht in den Social-Media-Abyssus gesogen werden will? Die Wissenschaftler*innen der University of Colorado raten dazu, alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen der digitalen Blockade in vollem Umfang anzuwenden – auch, wenn das keinen Rundumschutz bietet.

Parallel dazu ist es sinnvoll, bei sich selbst anzusetzen. Das sagt Elena Sohn auch ihren Klient*innen: "Ich versuche sie in der Erkenntnis zu stärken, dass soziale Medien wenig authentisch sind und die Informationen, die sie dort über den oder die Ex bekommen, daher auch wenig aufschlussreich."

Denn die meisten Menschen würden dort natürlich nur die Dinge posten, die ihr Leben in ein gutes Licht rücken. Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Gezicke und Gestreite sieht man nun mal nicht auf Knutschfotos und in Storys von Sonntagsspaziergängen.

Außerdem gehe es immer darum, zu fühlen, dass diese Nachforschungen den Heilungsprozess verlangsamen, sagt die Liebeskummerexpertin: "Ich vergleiche es oft mit einem Pflaster. Das kann man mit einem Ruck abziehen – dann tut es zwar kurz sehr weh, ist aber schnell wieder gut. Oder man zieht es langsam ab und reißt dabei Haar für Haar einzeln aus. So ist der Schmerz zwar vielleicht nicht ganz so intensiv, aber er dauert viel länger an."

Was alternativ auch geht: Batida-Kirsch trinken, alles in eine Kiste packen, die Kiste in den Keller schleppen – und eine sehr, sehr lange Auszeit von Social Media nehmen. Fast so wie früher eben.

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