Ausgerechnet an Heiligabend alleine. Während alle anderen festlich im Kreis ihrer Lieben unterm Tannenbaum im güldenen Kerzenschein ihre liebevoll ausgesuchten Geschenke auspa-… stop. Pause-Taste. Dieses Weihnachtsfest ist ein idealisierter Mythos, der so nicht oder nur extrem selten existiert.

Den haben wir unter anderem der Weihnachts-Version von Charles Dickens zu verdanken. In seinem Buch A Christmas Carol zelebriert Dickens das Endjahresfest emotional hochaufgeladen und vollgepumpt mit herzerwärmendem Familien-Idyll – das viktorianische Ideal aus dem Großbritannien des 19. Jahrhunderts.

Weihnachten alleine – ein Segen

Viele Familien gleichen allerdings leider eher einem emotionalen Minenfeld als einem Ort der seligen Geborgenheit. Besonders an den Feiertagen lastet enormer Glücksdruck auf den Beteiligten, die sich mitunter nur einmal im Jahr sehen. Das kann unglaublich anstrengend sein. Ein lametta-geschmücktes Pulverfass.

Manche Menschen feiern deshalb Weihnachten lieber mit Freund*innen, mit ihrer Wahlfamilie – oder ganz allein. Vielleicht sind es auch die Umstände, die in diesem Jahr zu einem Solo-Fest führen. In jedem Fall ist das nichts Schlimmes – im Gegenteil. Wenn du es gewieft anstellst, ist Weihnachten alleine an Grandiosität kaum zu überbieten.

Darum ist Weihnachten alleine wunderschön:

Du gestaltest die Stimmung – von Heiligabend-Ultra mit glitzerndem Weihnachtspulli oder moderat-festlich bis zum kompletten Grinch-Modus ist alles möglich.

Es gibt keinen Streit, mit niemandem. Nicht mal passiv-aggressive, unterschwellig ausgetragene Familienkonflikte. Einfach nur deine Couch und dich in himmlischer Symbiose.

Vor allem: Es gibt keine lästigen Diskussionen mit fürchterlichen Nazi-Onkels oder AfD-Tanten über Geflüchtete, Politik, Echsenmenschen und Chemtrails. Hossa!

Du musst nicht mit ansehen und anhören, wie deine Familie jüngere Kinder mit Geschenken zuballert und die sich trotzdem um jeden Fitzel bis aufs Blut streiten.

Wenn du dich mit jemandem anschweigst, dann mit deinem Haustier und das in aller Harmonie.

Niemand gibt dir das Gefühl, eine Enttäuschung zu sein, weil du deinen eigenen Weg gehst und dein eigenes Leben lebst.

Du kannst essen, was du willst, so viel oder wenig du magst, ohne jegliche soziale Kontrolle oder Druck. Kein "Kind, nun nimm doch noch Nachschlag!" oder "Wie, noch ein Stück Kuchen …?"

Schlüpfer! Jogginghose! Fleckiger Hoodie! Oder eben Glitzer-Outfit mit blinkenden Lichtern. Du trägst, worin du dich wohl fühlst.

Geil Pizza bestellen statt zum 23. Mal Gans in Folge!

Du musst weder Gedichte noch nervenzerfetzendes Blockflötenspiel von Neffe Friedrich-Wilhelm und Nichte Margarete-Ephigenie ertragen, sondern kannst dir genüsslich Metallica auf die Ohren legen. Oder halt Ed Sheeran. Oder Erasure. Schmeiß die Playlist an!

Du kannst laut singen. Und schief. Die meisten Nachbar*innen sind ja eh alle bei Mutti.

Du kannst Weihnachtsfilme gucken und bingewatchen, bis der Router raucht! Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, Stirb langsam oder zum tausendsten Mal Kevin Allein Zuhaus – dein Weihnachten, dein Programm.

Du musst dich nicht mit Geschwistern, Cousins und Cousinen, Nachbarskindern oder sonstigen anderen Menschen vergleichen (lassen). Deine Jogginghose liebt dich so, wie du bist.

Keine Freude über Socken, geblümte Bettwäsche aus der Hölle oder olfaktorisch bedenkliches Parfüm faken müssen – was für eine Erleichterung!

Außerdem sparst du selbst eine Menge Kohle für nichtssagende Präsente.

Es gibt keine unangenehmen Fragen nach Verpartnerung und Familiengründung, biologischen Uhren oder sonstige Detail-Gespräche darüber, warum ausgerechnet du wohl noch nicht vom Markt bist.

Du musst niemandem erklären, warum du dich vegan ernährst und was das bedeutet. Nein, auch kein Käse. Doch, Huhn ist sehr wohl Fleisch.

Wie wäre es mit einer Runde Achtsamkeit? Statt dich grenzenloser Völlerei und sinnlosem Konsum hinzugeben, könntest du stattdessen in aller Stille Zeit für dich schaffen, auf dein vergangenes Jahr zurückblicken und Pläne für das nächste schmieden. Es sei denn, grenzenlose Völlerei und sinnloser Konsum sind genau dein Ding.

Niemand kritisiert dich dafür, was oder wer oder wie du bist.

Du könntest auch etwas Gutes tun und Weihnachten anderen helfen. Wohltätigkeits-Organisationen wie zum Beispiel die Heilsarmee oder die Arbeiterwohlfahrt organisieren Weihnachtsfeiern für Bedürftige; du könntest auch vorher in einer Kirchengemeinde nachfragen, ob und in welcher Form Unterstützung benötigt wird oder vielleicht auch in einem nahegelegenen Pflegeheim.

Du darfst du sogar traurig sein und weinen, so viel du willst – ohne aufgezwungene Feierlichkeit, ohne krampfiges Zusammenreißen, ohne begründen zu müssen, warum nicht die ganze Zeit der verdammte Stern von Bethlehem über deinem Kopf leuchtet.

Und wenn du magst, kannst du Weihnachten auch einfach gepflegt und genüsslich ignorieren.

Wer sich trotzdem an Weihnachten alleine und einsam fühlt und das nicht ganz so geil findet, kann zum Beispiel in eine Kneipe um die Ecke gehen und gucken, was für andere Menschen sonst noch allein sind; wenn’s ganz arg ist, gibt’s aber hier Hilfe und hier Kontakt zu anderen.

In diesem Sinne: Merry Christmas!