Wann hast du zum letzten Mal jemandem ein Kompliment gemacht? Weißt du es noch? Und wann hast du zuletzt eines bekommen? Laut Gerhard Roth, Neurobiologe am Institut für Hirnforschung der Bremer Universität, dürfte es nicht allzu lange her sein, denn wir können nicht ohne. "Komplimente sind ein Schmiermittel in der Gesellschaft", sagt er. Gar keine Komplimente zu verteilen wirke unhöflich und würde sich negativ auf den sozialen Status auswirken. Wer jedoch Komplimente verteile, nehme Menschen für sich ein, weil sich jede*r darüber freue. "Das ist egoistisch, aber auch praktisch", meint der 75-Jährige.

Ein gutes Gefühl auf beiden Seiten

Die Psychologie-Studentin Rosa Stark aus Berlin hat das getestet. Ein Jahr lang machte sie jeden Tag einer fremden Person ein Kompliment. In ihrem Blog A compliment a dayschrieb sie auf, wie ihr Gegenüber reagierte und wie sie sich selbst dabei fühlte. Ergebnis: Die Menschen zeigten sich laut Stark oft irritiert, bis auf ein einzige Mal hätten sich aber alle gefreut. Und auch sie selbst fühlte sich toll, weil sie anderen eine Freude gemacht hatte.

"Dass man wirklich gar nicht für Komplimente empfänglich ist, das gibt es kaum", erklärt Roth. Lob tue unserer Seele einfach gut. Denn der Körper schütte dann Belohnungsstoffe, sogenannte Opioide, aus. Wir fühlten uns durch das Gesagte gut, unser Selbstbewusstsein würde gestärkt. In der Folge würden wir uns anstrengen, um noch mehr Lob zu erhalten. "Die positive Wirkung tritt nachweislich auch auf, wenn die Komplimente übertrieben sind", sagt Gerhard Roth.

Die chemische Wirkung dieser Opioide ist laut Roth sogar nahezu identisch mit der von synthetischen Drogen. "Sagen wir mal, Sie halten einen Vortrag vor Tausenden Menschen, die am Ende alle mehrere Minuten lang applaudieren und jemand vom Organisationsteam betont noch, dass sie das Highlight der Veranstaltung waren. Das löst ein richtiges Hoch aus", ist sich Roth sicher. Manche Menschen mit geringem Selbstbewusstsein würden deshalb auch eine Sucht nach Anerkennung entwickeln.

Am größten ist die Freude, wenn jemand für etwas ein Kompliment erhält, für das diese Person sonst keine Anerkennung erfährt.
Neurobiologe Gerhard Roth

Allerdings kann die Wirkung schon nachlassen, wenn jemand zu häufig für immer die gleichen Dinge gelobt werde. "Am größten ist die Freude, wenn jemand für etwas ein Kompliment erhält, für das diese Person sonst keine Anerkennung erfährt", sagt der Wissenschaftler. Jede*r reagiere aber unterschiedlich. "Das beste ist ein gerechtes Lob, das gleichzeitig auch differenziert ist", sagt der Hirnforscher. Es sei umso schöner, wenn es individuell auf die Person zugeschnitten ist. Immerhin zeigt das auch, dass der*die Komplimentgeber*in das Gegenüber gut kennt.

Im Job motivierender als Geld

Komplimente haben nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Umfeld eine positive Wirkung. Die international durchgeführte Studie Motivating People, Getting Beyond Money der Unternehmensberatung McKinsey ergab, dass besonders nicht-finanzielle Anreize wichtig sind, um Wertschätzung auszudrücken und Angestellte zu motivieren.

Die Befragung von mehr als 1000 Manager*innen und Mitarbeiter*innen zeigte, dass Anerkennung und Lob durch die Chefetage genauso wichtig oder sogar wichtiger sind als leistungsabhängige Bezahlung oder höheres Gehalt. 67 Prozent der Teilnehmer*innen schätzten Lob von direkten Vorgesetzten als "sehr effektiv" oder "extrem effektiv" ein, um ihre eigene Motivation zu steigern.

In einem Fall sind Komplimente aber problematisch: Wenn Eltern ihre Kinder ständig ohne Grundlage loben. "Es gibt Eltern, die sagen ihren Kindern immer wieder, sie würden wie ein zweiter Mozart spielen – obwohl ihre Sprösslinge eben nicht überdurchschnittlich talentiert sind", sagt Roth. Die Kinder glaubten dann irgendwann tatsächlich, sie wären ganz toll und überschätzten sich. "Das schadet ihnen massiv, sie entwickeln ja kein gesundes Selbstbild und werden ihr Leben lang darunter leiden", so Roth.

Die Deutschen sind sparsam mit Komplimenten

Auf welche Art gelobt wird, ist kulturell übrigens verschieden. "In Italien macht man viele Komplimente und jeder weiß, dass sie nicht so ernst gemeint sind. In den USA sind sie absolut Standard, dort sind sie eher Floskeln", sagt Roth. In Norwegen und Finnland dagegen seien die Menschen sparsamer mit Komplimenten, ebenso wie die Deutschen. "Deutsche haben Angst, übertrieben und unehrlich zu wirken", glaubt er.

Auch innerhalb Deutschlands gibt es bei der Lobbereitschaft Unterschiede. "In Ostfriesland und Schwaben untertreibt man lieber als zu übertreiben", sagt Roth, "doch wir sollten ruhig mehr loben." Na dann, lasst uns doch direkt damit anfangen.