Ich habe den Ursprung allen Übels gefunden. Er liegt zwischen zwei Buchdeckeln und trägt den Titel So ticken Jungs – Eine Gebrauchsanweisung für Mädchen. Als 14-Jährige habe ich darin nach Rat und Orientierung gesucht. 15 Jahre später lese ich das Buch wieder und weiß nicht, ob ich lachen oder vor Wut schreien soll. Wie Jungs ticken, erfahre ich in dem Buch nicht wirklich. Ich weiß nur: Die beiden Autor*innen ticken nicht ganz richtig. Was Oliver Hilf und Corinna Streng – kein Scheiß, die heißen wirklich so – da auf knapp 130 Seiten zusammengeschrieben haben, ist auf so vielen Ebenen so furchtbar, dass ich nicht weiß, wo ich mit meinem Rant beginnen soll.

Dann eben Seite eins. "Die spinnen, die Jungs!!!", schreit es gleich im ersten Satz. "Sie sind laut, stürmisch, und mackerhaft. Ihre Witze sind einfach nur peinlich und ihre Computermanie nicht auszuhalten. Ihr Wortschatz ist begrenzt – wenn man ihre Urlaute überhaupt als Worte bezeichnen kann." Was ich in Händen halte ist nicht etwa Satire, es ist ein völlig ernst gemeinter Leitfaden für Mädchen ab zwölf Jahren und somit gewissermaßen die Kindervariante von Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken. Du bist ein Mädchen und hast Schwierigkeiten, die Aliens vom anderen Stern zu verstehen? Mach dir nichts draus! Es liegt daran, dass Jungs "anders erzogen werden, eine andere Sprache sprechen, anders denken, anders fühlen […] und andere Fähigkeiten und Talente besitzen."

"Heiße Tipps und coole Tricks"

Das alles wäre vielleicht ganz lustig, wäre es nicht so traurig. Noch im ersten Kapitel können ratsuchende Mädchen in einem Test prüfen, wie viel Ahnung von Jungs sie bereits mitbringen. Bei der schon im Ansatz unfassbaren Frage "Jungs haben meist – im Gegensatz zu Mädchen – viel Spaß an Computern, Technik und Elektronik. Woran liegt das?", hat mein 14-jähriges Ich sich für Antwort A entschieden: "Weil sie ein größeres technisches Verständnis haben und ihnen das Erkennen der Zusammenhänge leichter fällt." Als ich das sehe, möchte ich durch die Zeit reisen und Vergangenheits-Ich ganz fest in den Arm nehmen. Und vielleicht ein bisschen schütteln.

Während ich weiterlese, kritzele ich immer wieder fassungslos "What?!", "Hallooo?!" und "Aaaaah!!" an den Rand – so voll beladenen mit haltlosen, unreflektierten Genderstereotypen sind die vermeintlich "heißen Tipps und coolen Tricks". "Für Mädchen ist das manchmal schwer zu verstehen", erklärt der Ratgeber, "aber viele Jungs möchten ihr Leben trotz einer festen Beziehung so weiterleben wie bisher. Für viele Mädchen dreht sich das ganze Leben um den festen Freund." Genau wie das eben beschriebene weibliche Klammern, bringe Jungs das typische stundenlange Gequassel mit der besten Freundin auf die Palme oder das Gekreische, sobald Brad Pitt auf der Leinwand erscheint.

Das Gegenteil von Empowerment

Auch Rumzicken ginge gar nicht, ist da zu lesen, da verstehen Jungs keinen Spaß: "Mal spontan einen Ausflug machen – geht nicht, denn ohne das komplette Schminkzeug kommt das gar nicht in die Tüte." Ein weiteres No-Go: "Er ist krank und sie bemuttert ihn nicht." Auch auf den "weiblichen Schlankheitswahn" fahren Jungs überhaupt nicht ab. "Die ewige Unzufriedenheit mit dem Aussehen und der Figur kann Jungs ganz schön nerven." Ein junges Mädchen in der Pubertät, das diese Zeilen liest bekommt hier genau eine Botschaft vermittelt: "Heul leise!" Das ist so ziemlich das Gegenteil von Empowerment und sollte definitiv nicht als Ratgeber verkauft werden dürfen.

Die ewige Unzufriedenheit mit dem Aussehen und der Figur kann Jungs ganz schön nerven.
So ticken Jungs

Noch schlimmer als So ticken Jungs ist, dass sich seit den Nullerjahren wenig bis gar nichts auf dem Ratgebermarkt für Kinder und Jugendliche verändert hat. An den meisten aktuellen Büchern für Mädchen machen mich schon die Cover aggressiv: Fast alle sind rosa und mit Herzchen, Blümchen oder Prinzessinnen bedruckt. Echt schön! heißt einer der Ratgeber. Das Pendant für Jungen heißt Echt stark!, ist blau und hat einen Löwen auf dem Cover. Ich dachte, wir wären schon deutlich weiter.

Sexismus mit Ansage

Was wir als Kinder lesen, sehen und hören, prägt uns fürs Leben. Deswegen macht mich dieser Ratgeber aus meiner Jugend, der natürlich nur stellvertretend für ein größeres Ganzes steht, so wütend. Da werden Frauen- und Männerbilder propagiert, die schon Kindern und Jugendlichen bestimmte Verhaltenscodes auferlegen. Das ist internalisierter Sexismus mit Ansage – und eine Katastrophe.

Es braucht viel mehr Bücher, Magazine und Filme, die Kinder unabhängig von ihrem Geschlecht ermutigen, Nein zu sagen und für sich einzustehen. Die körperliche Vielfalt abbilden und Selbstliebe lehren. Die zeigen, dass Gefühle Superkräfte sind, nichts, für das man sich schämen muss. Und das ist natürlich nur der Anfang einer langen Aufzählung.

Zumindest bei den Gute-Nacht-Geschichten hat sich seit meiner Kindheit etwas getan. Meinen drei kleinen Nichten habe ich zu Weihnachten das Buch Good Night Stories for Rebel Girls geschenkt. Darin gibt es nicht eine wehrlose Prinzessin, die gerettet werden muss. Dafür hundert beeindruckende, reale Frauen und ihren bewegenden Geschichten. Das Geschenk ist richtig gut angekommen. Ich habe Hoffnung.