Wenn es nach Isabelle Pfeiffer-Poensgen, parteilose Wirtschaftsministerin Nordrhein-Westfalens, geht, sollte der Staat sich in Fragen der Anwesenheit raushalten. Sie möchte es zukünftig den Hochschulen selbst überlassen, ob die Anwesenheit der Studierenden bei Lehrveranstaltungen verpflichtend sein soll oder nicht. Deutschlandfunk gegenüber sagte sie: "Ich bin der absoluten Überzeugung, dass genau solche Fragen wie zum Beispiel die der Anwesenheitspflicht in bestimmten Unterrichtsveranstaltungen in der Hochschule ausgehandelt werden müssen." Mit dieser Aussage entfacht Pfeiffer-Poensgen erneut eine Debatte um die Anwesenheitspflicht an Universitäten.

Grundsätzlich gilt: Es gibt keine feste rechtliche Regelung bezüglich der Anwesenheitspflicht. Sie ist von Bundesland, Hochschule oder der Art der Veranstaltung abhängig. Das Hochschulrahmengesetz (§4.4) sieht jedoch vor, dass die Freiheit des Studiums auch umfasse innerhalb eines Studiengangs Schwerpunkte nach eigener Wahl zu bestimmen. Die Hochschule habe allerdings das Recht, Entscheidungen so zu treffen, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Lehr- und Studienbetriebes ein ordnungsgemäßes Studium gewährleistet sei.

Brauchen wir eine Anwesenheitspflicht an deutschen Universitäten?

Ich glaube, dass wir diese Anwesenheitspflicht nicht brauchen. Wir brauchen sie genauso wenig wie wir langweilige, zähe Vorlesungen in überfüllten Hörsälen brauchen, bei denen der*die Professor*in vor den Studierenden steht, lieblos eine Präsentation Zeile für Zeile abliest und dabei wie wild mit Fremdwörtern um sich wirft, die mir das Gefühl geben, rein gar nichts zu verstehen. Das, was ich aus solchen Vorlesungen an Wissen und Erkenntnissen mitnahm, geht gegen Null. Und das liegt nicht daran, dass ich es nicht versuchen würde. Es gibt sie einfach, diese Art von Veranstaltungen, die nur der Selbstbeweihräucherung der lehrenden Person dienen und die Studierenden nicht reinziehen kurz: qualitativ schlechte Lehrveranstaltungen.

Warum sollte man mich zwingen, an schlechten Lehrveranstaltungen teilzunehmen? Nicht mal das Abschreiben der Präsentation ist noch nötig, da viele Universitäten mittlerweile Online-Plattformen nutzen, auf denen das Material nach der Veranstaltung hochgeladen wird. Mir fallen zig verschiedene Dinge ein, die ich stattdessen lieber tun würde. Manchmal habe ich es in Betracht gezogen, lieber mein Badezimmer zu putzen als mir bestimmte Veranstaltungen anzutun und das soll wirklich etwas heißen. Außerdem glaube ich, dass ein Fernbleiben der Studierenden auch immer als Wink mit dem Zaunpfahl verstanden werden darf. Denn die Erfahrung zeigt mir: Gute Lehrveranstaltungen brauchen keine Anwesenheitspflicht. Es gibt sie nämlich, die Dozent*innen, die ihre Studierenden in den Bann ziehen, die sie für ein Thema begeistern, die Sachverhalte verständlich aufzeigen und Lust auf Diskussion und Austausch machen. Wer das dann verpasst, ist selbst schuld. Statt also eine Anwesenheitspflicht zu diskutieren, sollte meiner Meinung nach eher das Lehrkonzept überdacht werden und Professor*innen dürfen leere Hörsäle dann gerne als Kritik an ihrer Lehrkompetenz deuten.

Eigenverantwortlich und selbstorganisiert

Ich möchte in Eigenverantwortung und selbstorganisiert studieren. Ich habe mit dem Abitur eine Hochschulreife erlangt und diese Reife befähigt mich dazu, eine Hochschule zu besuchen. Und das bedeutet nun mal auch, dass es meine ganz persönliche Pflicht ist, die Veranstaltungen, für die ich mich entschieden habe, auch zu besuchen, mich morgens aus dem Bett zu quälen, mich eigenständig mit Themen und Inhalten zu beschäftigen. Ich möchte, dass man mir die Fähigkeit zuspricht, entscheiden zu können, ob mich eine Veranstaltung in meinen Zielen weiterbringt, mir etwas nützt und nicht einfach nur sinnloses Zeit-Absitzen ist. Ich möchte Entscheidungsfreiheit haben! Uni ist einfach ein ganz anderer Modus als Schule und wenn ich zum Besuch einer Veranstaltungen, die mich nicht wirklich interessiert, gezwungen werde, bin ich allerhöchstens physisch anwesend. Wenn ich hingegen freiwillig an einer Veranstaltung teilnehme, impliziert das an sich, dass ich mich für die Inhalte interessiere. Ich persönlich bin dann aufmerksamer, konzentrierter.

Was auch nicht unter dem Tisch fallen darf: Ein Studium muss irgendwie finanziert werden. Deshalb sind einige Studierende zusätzlich auf Nebenjobs angewiesen. Und diese Nebenjobs verlangen manchmal einfach eine gewisse Flexibilität, sodass die ein oder andere Lehrveranstaltung dann spontan einfach mal nicht besucht werden kann, um zu gewährleisten, dass man sich das Studium überhaupt leisten kann.

Kommt mir jetzt nicht so!

Ich versteh schon die Argumentation der Anwesenheitspflicht-Befürworter*innen: Einige Veranstaltungen, zumeist Seminare, sind auf den Austausch, auf den Diskurs angewiesen, denn schließlich entwickelt man nur so eine eigene Meinung zu bestimmten Themen oder baut den eigenen Standpunkt zu diesen aus.

Aber wenn dieser Diskurs nicht stattfindet oder nicht hinlänglich geführt wird, ich nichts mitnehmen kann, dann werde ich in diesen Veranstaltungen auch manchmal nicht stattfinden. Da beschäftige ich mich lieber im Selbststudium mit bestimmten Themenkomplexen, am Küchentisch mit Bier oder in der Bibliothek mit Wasser oder eben gar nicht. Und wenn ich mich nicht damit beschäftige, dann fällt mir das zum Schluss auf die Füße, denn der Endgegner heißt Modulabschlussprüfung. Wenn ich diese Prüfung bestehe, ohne die entsprechenden Veranstaltungen besucht zu haben, funktioniert es ja anscheinend für mich und wenn ich sie nicht bestehe, muss ich meine Herangehensweise überdenken. Das ist meiner Meinung nach eine Typfrage: Manch eine*r kann sich sehr gut selbst zum Lernen, zum Auf- und Einarbeiten motivieren, manch eine*r eben nicht. Zwingen sollte man aber niemanden.