Wenn ein*e Fremde*r Geräte mit schmerzhaft klingenden Namen wie Wurzelheber, Handmeißel oder Hautstanzen in unseren Mund einführt, verwundert es allerdings nicht, dass viele Menschen wenig Lust auf den Besuch bei dem*r Zahnärzt*in haben.

Dentalphobie, so heißt die übersteigerte Angst vor einer Zahnbehandlung. Es ist ein Gefühl der Bedrohung, das schon beim bloßen Gedanken an den*die Zahnärzt*in auftritt – und oft in keinem Verhältnis mehr zu dem steht, was die Patient*innen tatsächlich auf dem Behandlungsstuhl erwartet.

Diese Angst kann so groß sein, dass sich Betroffene auch nicht mit der Aussicht auf eine betäubende Spritze beruhigen lassen. Sie vermeiden es viele Jahre, zum*r Zahnärzt*in zu gehen oder tun es erst dann, wenn das Gebiss desolat ist und der Schmerz sie dazu zwingt. Die Grenze zwischen Angst und krankhafter Phobie verläuft fließend.

Woher kommt die Angst?

Die Angst vor dem*der Zahnärzt*in kann mehrere Ursachen haben. Für Dr. Angelika Brandl-Naceta, Vorsitzende des deutschen Zahnärzteverbandes und selbst praktizierende Zahnärztin mit Schwerpunkt Phobietherapie, spielen drei Faktoren eine Rolle:

Projektion durch die Eltern

Zahnärzt*innen konnten früher nicht so auf schmerzempfindliche oder ängstliche Patient*innen eingehen wie heute. Sie waren schlechter ausgerüstet und der Stand der Forschung kannte noch keine geeigneten Ausweichstrategien. Schmerzhafte Behandlungen waren damals daher häufiger.

Elternteile, die sich selbst vor dem Zahnarztbesuch fürchten, würden nun dazu tendieren, das an ihre Kinder weiterzugeben. "Oft habe ich ein Kind auf dem Behandlungsstuhl sitzen, das sich ganz normal und ruhig verhält. Es bekommt erst dann mit der Angst zu tun, wenn die Mutter dem Kind erklärt, dass es keine Angst haben müsste und sicher alles gutgehen wird. Das Kind wird sozusagen wach", sagt Brandl-Naceta.

Ausgeliefert sein

Der Mund ist etwas extrem Intimes. Es ist nicht angenehm, eine fremde Person so nahe an sich ranzulassen, schon gar nicht mit so spitzen Gegenständen. Durch die Behandlung im Mundinneren können die Patient*innen nicht einfach aufspringen und weglaufen, sie fühlen sich ausgeliefert.

Die Art des Schmerzes

Die Nerven im Kopfbereich laufen nicht über das Rückenmark, sie werden nicht durch den etwas längeren Weg abgemildert. "Sie gehen direkt als Hirnnerv ins Schmerzzentrum des Gehirns – als ungefilterter, akuter Schmerz, der kaum erträglich scheint." Es ist diese reine Art des Schmerzes, der sich in die Erinnerungen der Menschen bohrt. Hat jemand einmal schmerzhafte Erfahrungen auf dem Zahnarztstuhl gemacht, hat er*sie natürlich immer latent die Angst, dass es wieder weh tun könnte.

Karies ist in Deutschland die am weitesten verbreitete Infektionskrankheit, nur ein Prozent der deutschen Erwachsenen ist kariesfrei. Diese Zahl ließe sich vielleicht erhöhen. Die Formel dafür ist einfach: Zahnarztbesuch – Angst = regelmäßige Kontrolle = gesunde Zähne. Und mit der geeigneten Methode wäre laut Brandl-Naceta noch jede*r Angstpatient*in behandelbar gewesen. Das beinhalte manchmal auch, dass Patient*innen ihre Psychotherapeut*innen mit in die Praxis bringen.

Lösung: Vertrauen

Grundlage für jede Behandlung sei das Vertrauen. Viele Patient*innen würden bereits ein vorzeitiges Aufklärungsgespräch helfen, in dem die Ängste eruiert und abgesprochen werden. Woher kommt die Angst, was löst sie aus? Wichtig sei es, zu verinnerlichen, dass der*die behandelnde Ärzt*in nur helfen möchte.

Patient*innen, die zum Beispiel Angst vor der Zahnbehandlung selbst, aber keine Angst vor Nadeln haben, ist leicht geholfen. Sie werden mit einer Spritze lokal betäubt und fühlen hinterher nichts mehr. Eine andere Möglichkeit wäre es, vor der Spritze ein Betäubungsspray aufzusprühen und danach zu spritzen. Brandl-Naceta setze stattdessen auch gerne Laserakupunktur an den relevanten Punkten auf dem Ohr ein, die den Schmerz lindern.

Selbst starke Phobiker*innen lassen sich mit Hypnose behandeln. In Begleitung eines*r Hypnoseärzt*in kann in sogenannten Lehrsitzungen vorher zu Hause trainiert werden, wie man mithilfe von Atemübungen den eigenen Kopf freikriegt. Man lernt, in Gedanken an seinen Wohlfühl-Ort zu gehen, sich mit allen Sinnen darauf zu konzentrieren und wie man auch vom Zahnarztstuhl aus wieder an diesen Ort gelangen kann. Voraussetzung ist: Der*die Patient*in muss es selbst wollen. Hypnose funktioniert nicht, wenn man nicht selbst daran glaubt. Das Gehirn muss in dem Fall genauso wie ein Muskel trainiert werden.

Den meisten Zahnärzt*innen ist bewusst, wie furchteinflößend eine Zahnbehandlung für manche sein kann. Sie wenden daher oft Hypnosetaktiken an, ohne dass sie es klar als solche formulieren. Eine sanfte Berührung auf der Schulter, ein schönes Bild an der Decke. Ein Aquarium, ein Film oder Musik, sie alle geben ein beruhigendes, vertrautes Zuhause-Gefühl.

Vielleicht kennt man das eine Lied noch aus der Kindheit, oder die Mutter berührte einen früher ähnlich an der Schulter. Diese Methoden lenken ab und helfen beim Fokussieren auf etwas anderes. Sie bringen uns in einen Entspannungszustand. "Wir kennen das vom Tagträumen. Wenn die Gedanken spazieren gehen und man die Welt um sich herum vergisst. Der Patient wird dadurch weg von der Behandlung geführt." Das alles ist streng genommen schon Teil einer einfachen Hypnosebehandlung.

Auch gegen das Gefühl, man wäre dem*r Zahnärzt*in ausgeliefert, hilft Vertrauen. "Es gilt dem Patienten klarzumachen, dass er der Chef im Stuhl ist. Dass wir jederzeit ganz aufhören oder eine kurze Pause einlegen können. Wenn es erwünscht ist, kann man sich auch im Vorfeld ein Handzeichen ausmachen." Auch die wiederholte Frage, ob alles in Ordnung ist, sei wichtig. Damit könne der*die Patient*in bewusst ja sagen, zu sich selbst und zur Behandlung. Er*sie erinnert sich so selbst daran, dass er*sie freiwillig hier ist.

Das Gefühl der Hilflosigkeit entsteht auch dadurch, dass der*die Patient*in nicht sehen kann, was im Inneren seines Mundes passiert. Man sitzt mit geöffnetem Mund auf einem Stuhl, kann nicht sprechen und weiß nicht, was als nächstes passiert oder wie lange es noch dauert. Dagegen kann es helfen, wenn der*die Zahnärzt*in die Behandlung Schritt für Schritt miterzählt, oder mittels Spiegel oder intraoraler Kamera zeigt, was er*sie tut.

Ob und wie Zahnärzt*innen diese Methoden der Beruhigung einsetzen, bleibt ihnen überlassen. Denn während des Studiums oder der Ausbildung gibt es in der Regel keine spezielle Phobienschulung. Darum muss sich jede*r Zahnärzt*in individuell im Fortbildungsbereich kümmern. Es liegt also an uns selbst, eine*n passende*n Zahnärzt*in zu finden, der*die auf die individuellen Bedürfnisse eingeht. Tatsache ist, für jeden Angsthasen und jede*n Phobiker*in gibt es eine*n passende*n Ärzt*in.

Ja, die zahnärztliche Behandlung kann schnell schmerzhafter als andere Arztbesuche sein. Aber genau das ist auch der Grund, warum wir öfter regelmäßig dahin gehen sollten – um all das zu vermeiden, wovor wir später Angst haben könnten. Tun wir das nicht, fallen wir in einen Teufelskreis: aus wachsender Angst vor der Behandlung, wachsenden Schmerzen und der damit einhergehenden Scham und dem Verfall der Zähne.