Zum Start unseres Membership-Modells ze.tt gr.een veröffentlichen für alle Mitglieder jede Woche einen Text zu unserem Themenspezial Einsamkeit. In fünf Beiträgen beleuchten wir für euch, wer sich wann und warum einsam fühlt, warum uns Einsamkeit krank machen kann und wie sich eine Gesellschaft verändert, wenn sich viele Menschen einsam fühlen. 

Einsamkeit hat unzählige Facetten. Sie ist die alte Dame, die sich mit ihrem Rollator allein zum Ärzt*innentermin schiebt. Sie ist die junge Frau in einer fremden Stadt, die am Wochenende nach der Arbeit 48 Stunden lang die Wohnung nicht verlässt. Sie ist der alleinerziehende Elternteil, der abends auf der Couch zusammensinkt. Sie ist der Teenager, der vor seinem Smartphonescreen auf Antwort wartet. Sie ist der*die Partner*in in einer Beziehung, der*die nicht gesehen und gehört wird.

Sie ist der Highperformer, der sich nachts in den Schlaf weint, weil er sich nach einer Familie sehnt. Sie ist dein*e Nachbar*in, dein*e Vorgesetzte*r, dein*e Kolleg*in, dein*e Kommiliton*in, dein*e Freund*in.

Einsamkeit ist still. Sie ist unsichtbar. Und sie nimmt zu. Bei uns in Deutschland steigt die Zahl der Einpersonenhaushalte seit 1991 konstant an. Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, lebten im Jahr 2018 etwa 17,3 Millionen Menschen in Deutschland ganz allein. Das ist jede*r Fünfte oder fast die Hälfte aller Haushalte.

Kein Wunder, dass das Thema Einsamkeit in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus rückt und öfter thematisiert wird.

Was exakt Einsamkeit ist, das kann nicht komplett trennscharf und universell definiert werden. Sie ist ein sehr subjektives Gefühl. Nicht jede*r Mensch, der allein lebt, fühlt sich auch einsam. Nicht jeder Mensch, der in einer Beziehung, WG oder Familie lebt, fühlt sich mit anderen verbunden. Einsamkeit ist schwer greifbar. Und nur, weil jemand nach außen gefestigt, erfolgreich, sozial gesettlet und gelassen wirkt, lässt das noch lange keinen Rückschluss auf das Seelenleben zu. Innen kann es trotz schillernder Hülle erschütternd leer sein.

Vielen ist zudem gar nicht bewusst, wie sehr Einsamkeit sich in der Gesellschaft ausgebreitet hat. Das Thema ist mit Scham behaftet. Kaum jemand gibt freimütig zu, dass er*sie sich einsam fühlt. Es wirkt wie ein grundlegendes Versagen, das den Kern des Menschseins berührt: Kontakte zu anderen Wesen aufbauen und erhalten zu können, wertgeschätzter Teil eines stabilen sozialen Gefüges zu sein.

Doch Einsamkeit betrifft uns alle. Mehr oder minder direkt, mal stärker und mal schwächer ausgeprägt in verschiedenen Lebensphasen.

Einsame alte Menschen

Am stärksten von Einsamkeit betroffen sind sehr betagte Menschen. Das liegt ein Stück weit schlicht am natürlichen Lauf der Dinge: Laut einer WHO-Studie leben Frauen im Durchschnitt 4,3 Jahre länger als Männer. Wenn der*die Lebenspartner*in verstorben ist, wenn durch Todesfälle auch der Freundeskreis immer kleiner wird, trägt das zu zunehmender Isolation bei.

Das ist vor allem dann der Fall, wenn keine Familie in der Nähe ist oder es aus verschiedensten Gründen wenig Kontakt gibt. Auch andere soziale Netze wie die Nachbarschaft sind beispielsweise in Großstädten wesentlich durchlässiger und weniger stabil. Einfach mal auf einen Kaffee bei Nachbar*innen vorbeigehen – wer macht das heute noch?

Doch auch gesundheitliche Gebrechen und Krankheiten können bei alten Menschen die Einsamkeit verstärken, insbesondere, wenn die Mobilität deutlich eingeschränkt ist. Dann kann jedes Verlassen der Wohnung einen nahezu unüberwindbaren Kraftakt bedeuten. In der Folge verlassen Betroffene ihre Wohnung nur noch selten bis gar nicht – und vereinsamen. Doch alte Menschen sind bei weitem nicht die einzigen, die unter Einsamkeit leiden.

Auch junge Menschen leiden unter Einsamkeit

Wer jung ist, ist oft sozial besser vernetzt, schließt viel leichter Freundschaften, ist aktiver und mehr unterwegs – sollte man annehmen. Dennoch hat eine Umfrage der britischen BBC in Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten unter 55.000 Teilnehmenden ergeben, dass sich die Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen mit 40 Prozent am häufigsten und intensivsten von Einsamkeit betroffen fühlt.

In Deutschland zeigt sich übrigens ein ähnliches Bild: Rund neun Prozent der Befragten im Alter von 20 bis 29 haben 2017 in einer Studie angegeben, dass sie sich oft oder sehr oft einsam fühlen.

Freund*innen ziehen für Uni, Job oder Liebe in andere Städte oder der eigene Lebensmittelpunkt verlagert sich. Es ist nicht genug Zeit oder Energie da, um sich wahrhaftig und aufrichtig auf neue Menschen einzulassen. Zwar lassen sich über Social Media Kontakte erhalten, aber letztlich fehlt die Nähe.

Es ist deshalb egal, wie viele Bekanntschaften oder Follower*innen in sozialen Netzwerken oder Matches in Dating-Apps jemand hat – entscheidend ist die Qualität und Intensität der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die ist wichtiger als nur zwischendurch zusammen eine gute Zeit zu haben oder sich mit Likes zu überhäufen. Genau daran hapert es – nicht nur in Deutschland, sondern an vielen Orten dieser Welt.

Einsamkeit ist ein globales Problem

In Finnland zum Beispiel, laut UN einem der glücklichsten Länder der Erde, haben Forscher*innen schon 2017 vor den Folgen der Einsamkeit gewarnt; einem Bericht zufolge fühlen sich etwa 500.000 der rund 5,5 Millionen Finn*innen einsam.

In Japan existiert unterdessen ein Phänomen namens Hikikomori – das sind junge Erwachsene, die sich freiwillig isolieren, soziale Kontakte meiden und in ihren Wohnungen für eine längere Zeit selbst "wegschließen". Laut japanischer Regierung lag die Zahl der Hikikomori 2015 bei etwa 540.000, wobei eine definitive Zahl schwer festzulegen ist.

Auch in den USA fühlt sich laut einer Studie fast die Hälfte der Befragten manchmal oder sogar ständig einsam. Und in Großbritannien hat die damalige Premierministerin Theresa May 2018 das Amt der Ministerin für Einsamkeit geschaffen, weil das Problem immer größer wird.

Hierzulande wird Einsamkeit ebenfalls zunehmend Thema in der Politik. Die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) schreibt auf ihrer Website: "Einsamkeit ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft." Ähnlich sieht es Sabine Zimmerman (Die Linke), die eine Anfrage zum Thema Einsamkeit im Bundestag gestellt hatte – viel zu viele Menschen seien von Einsamkeit betroffen.

Du bist nicht allein

Das wohl entscheidendste Kennzeichen der Einsamkeit ist die Unfreiwilligkeit. Alleinsein ist eine bewusste Entscheidung zum zeitlich begrenzten Rückzug, der sehr genossen werden kann. Das Gefühl der Einsamkeit hingegen ist ein Mangel, das Resultat eines unerfüllten und gleichzeitig zutiefst menschlichen Bedürfnisses nach Kontakt und Zugehörigkeit.

Doch wer auch immer sich aus welchen unterschiedlichen Gründen von Einsamkeit betroffen fühlt – am Anfang steht eine wichtige Erkenntnis: Du bist mit diesem Gefühl nicht allein.

Hier lest ihr Teil 2: Wir haben verlernt, füreinander da zu sein
Hier lest ihr Teil 3: Wenn Einsamkeit krank macht

In der nächsten Folge unserer Einsamkeits-Serie werfen wir einen Blick auf die tieferliegenden Ursachen: Warum genau sind wir heute so einsam?