"Der Euro ist gescheitert." Wer hat's gesagt? Die Autorin dieses Textes vermutet, dass fünf von fünf Leser*innen auf die sogenannte Alternative für Deutschland tippen würden. Womit fünf von fünf Leser*innen auch recht haben. Aber Euroskeptizismus ist nicht länger nur ein Kernthema der Rechtspopulist*innen – auch immer mehr Linke fordern einen Ausstieg aus der Währungsunion.

Lange galt Europakritik in linken Kreisen als Tabu, schließlich geht Linkssein oftmals einher mit einem Pro-Internationalismus. Dennoch verabschieden sich viele europäische Linke "von einer unbedingten Unterstützung der Europäischen Union im Allgemeinen und des Eurosystems im Besonderen und erwägen stattdessen deren Um- und Rückbau", wie der Politikwissenschafter Andrea Nölke in den Blättern für deutsche und internationale Politik schreibt.

"Der Euro zwingt einige Länder zu einem sehr unsozialen Kurs"

Woher kommt diese zunehmende Ablehnung des Währungssystems? Das Hauptargument lautet, dass die Währungsunion ihre Mitgliedsstaaten zu einer neoliberalen Politik zwingt – unter der Demokratie und Menschen leiden. "Der Euro zwingt einige Länder zu einem sehr unsozialen Kurs", sagt Martin Höpner, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Er hat einen Aufruf des Lexit Networks unterzeichnet. Europäische Intellektuelle, Politiker*innen und Aktivist*innen rufen darin dazu auf, über "emanzipatorische, linke Strategien für einen Euro-Exit" zu diskutieren, über einen left exit.

Was für ein "unsozialer Kurs" ist das, den der Euro erzwingt? Um das zu verstehen, braucht es an dieser Stelle einen kleinen ökonomischen Exkurs – es sind nur zwei Absätze, versprochen. Vor dem Euro gab es Währungskurse, die festlegten, wie viele italienische Lira einer Deutschen Mark entsprechen. Seit dem Euro gibt es das nicht mehr: Sowohl in Italien als auch in Deutschland ist der Euro gleich viel wert. Voraussetzung dafür, dass eine solche Währungsunion funktioniert, ist, dass Löhne und Preise in den Ländern ähnlich steigen – was nach Einführung des Euros nicht passiert ist. In Südeuropa schossen Löhne und Preise in die Höhe – in Deutschland stagnierten sie. Die Folge: Der Süden war auf einmal nicht mehr wettbewerbsfähig. Die europäische Währungs- und Wirtschaftskrise brach aus, mit der Länder wie Griechenland bis heute zu kämpfen haben.

Gäbe es noch die nationalen Währungen, könnte der Süden Europas seine Wettbewerbsfähigkeit durch das Abwerten der eigenen Währung steigern. Bedeutet: Durch das Abwerten beispielsweise der italienischen Lira würden italienische Produkte im Ausland billiger werden – die Exporte würden zunehmen, die Wirtschaft erstarken. Dieser ökonomische Mechanismus ist aufgrund des Euros nicht mehr möglich. Wie also die Wettbewerbsfähigkeit der Südländer steigern? Durch reale Abwertung.

Warum der Euro für Südeuropa eine Katastrophe ist

"Die reale Abwertung bedeutet, dass man massiven Druck auf die Löhne ausübt", so Höpner. "Man quält die Gewerkschaften und zerstört das Arbeitsrecht, bis keine Lohnerhöhungen mehr umgesetzt werden oder sogar Löhne gesenkt werden. Dann hofft man, dass die Unternehmen den nachlassenden Kostendruck in Form von sinkenden Preisen an die Konsumenten weitergeben." Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder steigern. In der Theorie. "Faktisch sehen wir in Südeuropa ein übles Sozialexperiment. 2010 setzte man die Troika ein, um in Südeuropa Lohn- und Rentensenkungen durchzudrücken, Tarifverträge zu schwächen und das Arbeitsrecht abzubauen. Acht Jahre später sieht man noch keine deutliche Besserung für die betroffenen Länder, die all das rechtfertigen würde", so Höpner.

Darüber hinaus kritisiert das Lexit Network, dass die Währungsunion demokratische Entscheidungen unterwandere und den Handlungsspielraum progressiver Regierungen einschränke, wenn diese nicht im Sinne der festgelegten neoliberalen Agenda sind. In ihrem Aufruf nennen sie das Referendum in Griechenland im Sommer 2015 als Beispiel. Die griechische Bevölkerung sprach sich damals gegen die europäischen Sparmaßnahmen auf. Faktisch zwangen die europäischen Institutionen die griechische Regierung dennoch dazu, das nächste Maßnahmenpaket zu unterzeichnen.

Höpner ist für eine Reform des Währungssystems: "Der Euro war vielleicht gut gemeint. Aber für die Bevölkerung im Süden Europas ist er eine Katastrophe."

Was ist die Alternative?

Als Alternativmodell schlägt Höpner eine Rückkehr zum Europäischen Währungssystem (EWS) vor, dass von 1979 bis 1998 in Europa existierte. Zu EWS-Zeiten hatte jedes Mitgliedsland seine eigene Währung. Währungen konnten auf- und abgewertet werden, allerdings nur innerhalb gewisser Bandbreiten. Anhänger*innen dieses Vorschlags findet man bis in die Linkspartei hinein. Eine bekannte Vertreterin ist Sahra Wagenknecht. In einem Interview mit dem Tagesanzeiger von vor zwei Jahren äußerte sie sich kritisch gegenüber dem Euro und sprach sich für die Wiedereinführung des EWS aus: "Es wäre sinnvoll, ein europäisches Währungssystem zu formen, in dem die Europäische Zentralbank für stabile Wechselkurse sorgt."

Besonders populär macht man sich derzeit nicht, wenn man vermeintliche AfD-Positionen vertritt – auch wenn diese anders motiviert sind. Die Rechtspopulist*innen fordern einen Austritt aus dem Euro, weil man nicht für die "Schulden anderer Länder" haften möchte. Man schürt die Angst davor, dass Deutschland am Ende alles zahlen müsse. Schwört sich ein auf eine nationale Identität und Solidarität.

Doch auch wenn sich die Begründungen von Rechten und Linken für den Euroausstieg unterscheiden: "Man braucht etwas, das man auf die Plakatwand schreiben kann. Ich verstehe jeden, der Angst hat, da etwas hinzuschreiben, das sich nicht maximal von der AfD unterscheidet", sagt Höpner. Trotzdem müsse man sich gerade als linker Internationalist gegen den Euro aussprechen: "Der Euro ist ein Spaltpilz für Europa. Deshalb ist es doch gerade als Proeuropäer wichtig, ein besseres Währungssystem zu errichten."