Seit zwölf Jahren steht die US-Sängerin unter gesetzlicher Vormundschaft. Gegen ihren Willen, behaupten Fans, und verbreiten unter dem Hashtag #FreeBritney und in einem Podcast mitunter wildeste Theorien. Nun gibt es sogar eine Petition.Über das echte Leben von Britney Spears wissen wir nicht viel. Und trotzdem wird ständig über sie geredet, geschrieben, gepostet. Manche von uns können sich bestimmt noch an das Bild erinnern, mit dem die damals 18-Jährige zum weltweit gefeierten Popstar wurde. Es war das Bild einer süßen jungen Frau,  Lipgloss, viel bauchfrei unter züchtig geknoteter Bluse und der Eindruck, dass da eine Karriere so US-amerikanisch-perfekt an den Start geht, dass nicht viel schief laufen kann.

Acht Jahre später ein anderes Bild, das diesen Eindruck nachhaltig veränderte. Es war das Bild einer offensichtlich stark belasteten Frau, kahl geschoren, mit rasender Angst im Gesicht, die auf das Autofenster eines Paparazzos eindrischt. Das Leben der zuckersüßen Popsängerin war augenscheinlich aus der Bahn geraten.

Viel Tragik, viel Leben

Zwischen diesen beiden Bildern lag ein ganzes Stück Leben: Nummer Eins-Hits, Awards, Titelseiten, ein berühmter Partner, zwei gescheiterte Ehen, zwei abgebrochene Aufenthalte in Entzugskliniken. Und dann: eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Über dem Rettungswagen rotierten Hubschrauber mit Kamerateams. Selten waren sich Theaterbühne und Klatschmagazin näher: Eine gestürzte Heldin und ein in Mitleid und Faszination am Untergang ersaufendes Publikum.

In Folge übernahmen Britney Spears Vater Jamie Spears und ein Anwalt, Andrew M. Wallet, ihre Vormundschaft. Jemand, der so krank ist, dass sie oder er selbst keine Entscheidungen mehr treffen kann, muss geschützt werden. So die Logik von gesetzlichen Vormundschaften. Doch was damals vielen wie ein rettender Anker für Spears erschien, erweist sich mittlerweile als Ursprung neuer Tragik. Denn Spears steht immer noch unter gesetzlicher Vormundschaft. Seit nunmehr 12 Jahren. Die Kontrolle über ihre Geschäfte, ihr Personal, ihren Haushalt und juristische Angelegenheiten liegen nicht bei ihr. Was das konkret bedeutet, beschrieb ein Artikel in der

New York Times

: "Selbst ihre alltäglichsten Besorgungen, wie ein Drink von Starbucks oder ein Kauf bei iTunes, werden in Gerichtsakten festgehalten, als Versuch, ihr großes Vermögen, über das sie keine Kontrolle mehr hat, zu sichern." Die Vormundschaft wird in regelmäßigen Abständen von einem Gericht evaluiert, bis auf einige wenige Lockerungen wurde sie bislang nicht aufgehoben. 

#FreeBritney

Eine solch lange Vormundschaft ist ungewöhnlich für Menschen, die so vieles meistern: In diesen zwölf Jahren verkaufte Britney Spears Millionen Platten, hatte allein in den USA sieben Nummer-eins-Hits, nahm als Jurymitglied an einer Castingshow teil und absolvierte eine vierjährige Konzertreihe in einem Casino in Las Vegas.

Die Frage liegt also nahe: Wer so eine Menge auf die Kette kriegt, soll Rechenschaft über einen Iced Latte bei Starbucks ablegen müssen? Und hier kommt #FreeBritney ins Spiel.

Die Chronik dieser von Fans ausgehenden Bewegung nachzuvollziehen ist vertrackt, denn sie ist voller Spekulationen, unbestätigter Quellen und wüster Theorien. Aber sie dreht sich auch um eine nachvollziehbare Problemlage: die fortdauernde Vormundschaft.

Das ist im Kern auch die Forderung von #FreeBritney und der Petition, die die Vormundschaft beendet sehen will und Britney Spears die Verfügungsgewalt über ein angeblich von geldgeilen und manipulativen Menschen kontrolliertes Leben zurückgeben will. Über 100.000 Menschen habe die Petition bereits unterzeichnet (Stand: 30.07.2020).

Die Vormundschaft war ursprünglich wegen einer – nicht weiter spezifizierten – Suchtmittelabhängigkeit und einer psychischen Erkrankung eingesetzt worden. Britney Spears selbst hat sich so gut wie noch nie dazu geäußert. Wie es ihr also wirklich geht? Auch das wissen wir nicht. Aber im vergangenen Jahr schien sich ihr Zustand zu verschlechtern und die #FreeBritney-Bewegung nahm so richtig an Fahrt auf. Im Februar 2019 sollte sie eine erneute Konzertreihe in Las Vegas beginnen, doch die wurde abgesagt. Spears Vater sei schwer erkrankt, sie wolle sich auf die Familie konzentrieren. Im März dann legte der Anwalt Andrew M. Wallet seinen Part der Vormundschaft nieder, im selben Monat soll Britney wieder in einer psychiatrischen Abteilung gewesen sein. Ob sie freiwillig dort war, wird von Teilen der #FreeBritney-Bewegung angezweifelt. Hier ist vor allem der Podcast Britney’s Gram federführend. In diesem Podcast werden eigentlich die Instagram-Posts von Britney Spears analysiert, doch im vergangenen Jahr wurde daraus eine Art Enthüllungspodcast. Den Macher*innen seien angeblich anonym Informationen zugespielt worden, die belegen sollen, dass Spears gegen ihren Willen in der Einrichtung festgehalten werde. Sie habe demnach ihre Medikamente abgesetzt, woraufhin ihr Vater sie zur Absage der Konzertreihe gezwungen haben soll.

Wenn wir dich befreien sollen, gib uns ein Zeichen!

Was folgte, war ein Social-Media-Brausen der Extraklasse: Spears Menschenrechte würden mit Füßen getreten, Spekulationen über die Medikamente und die Natur ihrer psychischen Erkrankung schossen ins Kraut, Fans protestierten öffentlich und Tausende fingen an, unter Spears Instagram-Posts zu kommentieren: "Wenn wir dich befreien sollen, gib uns ein Zeichen!"

Miley Cyrus rief "Free Britney" auf einem ihrer Konzerte, Spears Mutter soll sogar einige Posts mit #FreeBritneygeliked haben. Und Spears selbst? Sendet angeblich geheime Botschaften. So spekulieren Fans, die Anzahl der von Spears abonnierten Accounts (116) entspreche umgedreht der Nummer des US-amerikanischen Rettungsdienstes (911). Nachdem ein User sie aufgefordert hatte, im nächsten Post ein gelbes Top zu tragen, wenn sie Hilfe brauche, trug sie tatsächlich eins und erwähnte es sogar im dazugehörigen Text. Untrügliche Zeichen?

Nun, unzählige Posts riefen Spears zu allen möglichen Zeichen auf. Es war wohl eher Zufall, vielleicht auch eine Art Counter Trolling von Spears selbst. So postete sie vor einer Woche ein Video, in dem sie ankündigte, drängende Fragen ihrer Fans beantworten zu wollen. Was kam, war die Antwort auf die Fragen, welches ihr liebster Disney-Film ist und wann sie abends ins Bett geht.

Falls Spears, wie auch einige #FreeBritney-Fans glauben, noch in Kontrolle ihres Accounts sein sollte, gäbe es für sie ja auch die Möglichkeit, darüber direkt um Hilfe zu rufen – und nicht durch gelbe Tops zu kommunizieren.

Der Vorhang fällt nicht

Was will also Britney Spears? Wir wissen es nicht. Was ihr gut tun würde? Das wissen wir auch nicht. Ob ihre Fans ihr helfen können? (Ihr wisst, was jetzt kommt:) Das wissen wir nicht. Was wir hingegen ganz sicher und jenseits aller Spekulationen sagen können: Am Leben von Britney Spears zeigt sich, dass der Status von Celebrities einhergeht mit einer Beschlagnahmung der Person durch uns, die Öffentlichkeit, die Fans. Als hätten diese ein Recht auf Information, auf Intimstes, Dreckigstes, Verzweifeltes. Wir erwarten eine Authentizität, die sich nur gelegentlich unansehnliche Details ersparen kann, wir wollen nämlich eigentlich alles erfahren. Wir wollen Anstrengung, aber Scheitern mögen wir auch, dann wollen wir wieder Anstrengung oder so richtiges Scheitern. Und dann wollen wir wissen, wie sich das angefühlt hat. Wir wollen alles. Und wenn um jemanden – wie Britney Spears – der Vorhang nur so halb gelüftet ist, dann spekulieren wir so lange, bis wir nicht mehr wissen, was wahr und was erfunden ist. Wir gehen dafür sogar auf die Straße, mit Schildern, und protestieren für eine Person, die uns nie um Hilfe gebeten hat.

Wir starren auf die gestürzte Heldin und geifern. Der Vorhang wird nie gnadenvoll fallen. Zu der Erzählung eines Lebens gehört auch Schweigen. Britney Spears wird das nicht zugestanden. Vielleicht möchte sie das auch gar nicht, wir wissen es nicht.Was wir wissen: Britney Spears' Lieblings-Disney-Film ist Frozen.

Nächster Akt: Ein kalifornisches Gericht hat die Vormundschaft zunächst bis Ende August verlängert.