Anfang 20 steht hinter vielen Dingen im Leben erstmal ein großes Fragezeichen – das kann manchmal Angst machen. ze.tt hat mit sechs Frauen über die Ratschläge gesprochen, die sie heute ihrem jüngeren Ich geben würden.

Ehe, Kinder, Arbeit – das sind Begriffe, die für Frauen Anfang 20 heute oft noch in weiter Ferne sind. Eine oder zwei Generationen früher sah das häufig anders aus.

Statt sich selbst zu finden und Träume und Ängste auszuloten, waren 20-Jährige vor wenigen Jahrzehnten schon mit ganz anderen Dingen konfrontiert. Sie hatten weniger Zeit, darüber nachzudenken, welche Richtung ihr Leben nehmen soll.

ze.tt hat in Berlin sechs Frauen im Alter von über 80 Jahren getroffen. Welche Lektionen haben sie in ihrem Leben gelernt? Welche würden sie mit ihrem 20-jährigen Ich teilen? 

Fridlinde B. über Beziehungen

"Achte den anderen, ohne dich aufzuopfern"

Fridlinde B. würde in ihrem Leben nichts anders machen. Sie hat sich im Beruf ihrer großen Leidenschaft, den Büchern, gewidmet und zwei Kinder aufgezogen. Mit einem Mann, an dem sie vor allem dessen Fürsorge und Empathie schätzte. Doch von der Vorstellung, Beziehungen seien ein fortwährender Liebesrausch, hält die 81-Jährige nicht viel. "Die Liebe bleibt nicht ewig und ihr werdet euch auch nicht immer vertragen", sagt sie.

"Geh Kompromisse ein, ohne dich aufzugeben", lautet darum ihr Rat. "Lerne, deine Worte zu zügeln." Ein Zitat von Homer sei ihr bis heute im Kopf geblieben: "Mein Kind, welch Wort entfloh dem Gehege deiner Zähne?" Mitunter könne man das Gesagte eben nicht mehr zurücknehmen. "Du musst schon einen gesunden Egoismus haben", würde Frau B. ihrem 20-jährigen Ich sagen – nur eben nicht auf Kosten anderer.

Joan O. über Ziele

"Hab keine Angst und mach einfach weiter"

Aufgewachsen als Teil der indischen Minderheit in Südafrika, hat Joan O. in jungen Jahren viele Einschränkungen erlebt. Wegen der Apartheid war ihr in ihrer Heimat ein Medizin-Studium verwehrt. Die heute 88-Jährige, die sich auch für den African National Congress (ANC) engagierte, trieb es erst nach London und dann nach Leipzig und Berlin. Anfang 20 war ihr klar: "Du musst hart kämpfen. Es gibt nur ein Ziel – und das heißt: weiterkommen!"

Daran hat sich nie etwas geändert. Nachdem die Krankenschwester ihren Traum vom Medizin-Studium aufgegeben hatte, entschied sie sich für einen neuen Weg. Mit der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) suchte sie sich ein neues Projekt, mit dem sie sich jahrelang der Friedensforschung und Kinder- und Frauenrechten gewidmet hat.

Dass der ANC in Südafrika bisher die extremen Klassenunterschide nicht ausgleichen konnte, nennt Joan O. eine große, persönliche Enttäuschung – trotzdem hält sie an der Hoffnung fest, noch in ihrem Leben einen Wandel zu erleben. "Niemals resignieren", sagt sie. Erinnert sich die Frau heute an ihr strebsames junges Ich zurück, sagt sie außerdem: "Hab’ den Mut anders zu sein."

Anneliese L. und Karin-Christina L. über Reue

"Geh Wagnisse ein!"

Seit 80 Jahren wohnt Anneliese L. im selben Haus in Berlin-Moabit. Geboren und aufgewachsen ist sie im Erdgeschoss, nach ihrer Hochzeit zog sie in den dritten Stock. Ihr Mann, der mittlerweile verstorben ist, war elf Jahre älter und ihr ehemaliger Babysitter. "Heirate nicht zu früh!", sagt die 81-Jährige heute.

Die frühe Ehe war damals normal, wirft ihre fünf Jahre jüngere Schwester Karin-Christina ein. "Aber du musst dich doch erstmal ausprobieren." Sich selbst ein Bild machen, nicht immer auf andere hören, fest werden – das sei wichtig, finden die beiden. "Sich nicht von einer Abhängigkeit in die nächste stürzen!", sagt Karin-Christina L. Dass sie nicht den Mut aufbringen konnte, einen Neustart zu wagen, bereut Anneliese L. heute. Sie hätte vielleicht gerne ein Café aufgemacht.

Doch sagt sie auch, dass solche Niederlagen sie im Leben mehr gestärkt hätten, als ihre Erfolge. "Da lernst du erst, was du wirklich kannst." Denn obwohl die Witwe viel auf ihren Mann angewiesen war, meistert sie ihr Leben ohne ihn inzwischen sehr gut. Ihre Schwester wünscht sich heute, dass sie damals früher ihre Stimme gefunden hätte. Lange habe sie sich nicht getraut, "aufzumucken" – vor allem im Beruf. Dieses Selbstbewusstsein fand sie erst als sie schon auf die 40 zuging. "Dabei konnte ich das doch alles. Du musst dich nur trauen, etwas zu sagen!"

Brigittes S. über schwierige Zeiten

"Du wirst ein Produkt deiner Umgebung"

Einen großen Teil ihres Lebens verbrachte Brigitte S. entweder im Krankenhaus oder zu Hause. Sie hatte sich als junge Frau mit Tuberkulose infiziert – eine Diagnose, die ihr ganzes Leben bestimmen sollte. Wegen ihrer Krankheit hat die heute 78-Jährige keine Ausbildung absolvieren und lange keine beständige Arbeit finden können. Bis ihr Ehemann verstarb und sie den gemeinsamen Sohn alleine durchbringen musste.

"Du hast im Leben keine Wahl", erklärt sie nüchtern. Etwas anderes als sich den äußeren Bedingungen anzupassen und damit leben zu lernen, gehe gar nicht. Bestimmte Zeiten, in denen man einfach nicht mehr kann, gebe es immer. "Dann sagst du dir eben: Heute geht’s nicht, also versuche ich es morgen."

Wer die persönlichen Herausforderungen des Lebens akzeptiert, entwickelt auch eine spezielle Widerstandsfähigkeit: "Du wirst bescheiden." Tatsächlich gibt Brigitte S. sich nicht kämpferisch, sondern erklärt sachlich: "Ich habe ja alles gemeistert." Sie rät ihrem 20-jährigen Ich jedoch zu erkennen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. "Verschwende deine Kraft nicht auf Dinge, die du eh’ nicht ändern kannst – ohne dich unterbuttern zu lassen."

Charlotte S. über Arbeit

"Sei selbstsicher und energisch!"

Weil es zu Kriegszeiten kaum Ausbildungsstellen gab, hatte Charlotte S. zunächst notgedrungen eine Lehre als Köchin gemacht – ohne jegliche Lust danach wohlhabenden Herrschaften zu dienen. Lebenspläne habe sie damals nicht gehabt.  Klar war nur: Die junge Frau wollte weg. Sie antwortete auf eine Annonce und fand sich kurze Zeit später im Marineministerium in Paris wieder, erzählt die 96-Jährige.

Auch Wünsche, Träume und Überlegungen zu einem "Was wäre wenn…" gab es nicht, erklärt die sie. Der Krieg erlaubte keinerlei Illusionen. Das scheint Charlotte S. jedoch nicht zu stören. "Vor und nach dem Krieg hat man keine Wünsche, aber es ist ja letzten Endes auch alles gut gegangen." Sie habe einfach immer weiter gemacht. Nach dem Krieg habe sie erst Arbeit in einer Likörfabrik gefunden, sich dann im Ministerium für Außenhandel eine Stelle gesucht und später beim Rundfunk angeheuert.

Charlotte S. findet es wichtig, mit der Arbeit Anerkennung zu finden. "Dazu zählt auch ein gewisser Unternehmungsgeist." Sie habe von sich aus Stenografie an der Volkshochschule gelernt und sich sogar im technischen Zeichnen versucht. "Mach eine Arbeit, die dir Spaß macht, und mach sie richtig gut", rät Charlotte S. "Und vor allem: Sei zuverlässig!"