Martin Schulz absolviert zurzeit die Werbetour seines Lebens. Die meisten seiner Termine sind wenig glamourös: In Husum wird der SPD-Kanzlerkandidat diese Woche Rosen verteilen, in Hagen spaziert er mit Genoss*innen durch die Fußgängerzone, in Mülheim an der Ruhr nimmt er an einem Straßenfest teil.

Provinzauftritte. Aber Schulz weiß: Auch diese Miniaktionen können darüber entscheiden, ob er die nächste Legislaturperiode als Kanzler erleben wird. Genauso wichtig ist im Wahlkampf auch die Mithilfe der kleinsten Ortsverbände: Infostände aufbauen, Flyer und Ballons verteilen und das Parteiprogramm von Tür zu Tür zu tragen – jede Aktion zählt.

Dabei kommt der SPD gelegen, dass der Partei zurzeit etliche Neumitglieder zulaufen. Überhaupt scheint es einen Backclash wider die Politikverdrossenheit zu geben: Auch viele junge Menschen zieht es nach dem Brexit, der Wahl von Trump zum US-Präsidenten und angesichts eines europäischen Rechtsrucks in die Politik. Immer mehr wollen sich engagieren und etwas verändern.

Aber können sie das auch? Ist es erwünscht, dass die jungen Mitglieder Einfluss auf die Programme der Parteien nehmen? Oder werden die Neuen viel eher als Wahlkampfhelfer*innen eingesetzt, die für Schulz und andere Spitzenkandidat*innen Sprechchöre bei Auftritten anstimmen und Flaggen schwenken? Was macht man überhaupt als Neumitglied in einer Partei?

Wir fragen bei vier jungen Parteimitgliedern von den Grünen, den Piraten, der FDP und der SPD nach.

Sie kommen aus Neugier und bleiben wegen der netten Menschen

Erste Station: Wattenscheid. Der 17-jährige

Florian Pankowski ist einer, der gerne diskutiert. Die Familie konnte sich Florian schon immer gut in der Politik vorstellen, Freund*innen haben ihm längst den Spitznamen "der Politiker" aufgedrückt. Seit September 2016 mischt er bei Bündnis 90/Die Grünen mit.

Im Frühjahr fragt ihn ein Vorstand des Ortsverbandes in Wattenscheid, ob er dessen Posten übernehmen will. Florian sagt zu und wird vom Ortsverband einstimmig gewählt. Inzwischen gehören vier Abende seiner Woche der Partei. Er organisiert die Dienste der Wahlkampfteams in Wattenscheid mit, steht selbst an Infoständen und nimmt an Sitzungen in Bochum teil.

Was Florian in die Partei gezogen hat, war unter anderem die krude Diskussionskultur an seiner Schule. "Wenn es zum Beispiel um die LGBT-Community ging oder auch um Flüchtlinge, dann haben sogar Lehrer uns Schüler nicht so richtig ernst genommen", erzählt er. "Lebensweisen oder Ideen, die mit der klassischen Weltanschauung brechen, wurden oft gar nicht zugelassen. Das fand ich schrecklich."

Im Herbst 2016 fährt Florian aus Interesse zu einem Treffen der Grünen Jugend nach Bochum. Dort trifft er auf Menschen, die unvoreingenommener und offener miteinander diskutieren. Auf den Tischen stehen Softdrinks und vegetarische Snacks, Florian fühlt sich sofort wohl. "Ich habe schon früh mit den Grünen sympathisiert", erzählt er. "Aber dass sie in Diskussionen besonders viel Wert auf die Meinung gerade der jungen Mitglieder legen, das hat mich überzeugt." Dieser Satz wird des Öfteren fallen. Die jungen Menschen scheinen aus politischer Neugier zu Stammtischen und AGs zu kommen – und sie treten in die Partei ein, weil sie auf Leute treffen, die so sind wie sie.

Doch Politik ist auch anstrengend, das hat Florian in den wenigen Monaten in seiner Partei gelernt. "Gerade die Arbeit im Ortsverband ist manchmal mühsam", sagt Florian. "Da fühlt es sich sehr weit weg an, dass man was für die Umwelt oder gegen den Rechtspopulismus in der Welt tun kann." Zudem verhindere der Bundestagswahlkampf, dass die Parteimitglieder groß am politischen Konzept mitwirken können. "Das Programm ist programmiert", sagt Florian, "jetzt geht es natürlich gerade darum, es zu bewerben."

Aber Florian hat das Gefühl, dass er auch damit etwas bewegt. Denn mit dem Programm verbreitet er auch die freiheitlichen Werte der Grünen. Er betreibt gewissermaßen Aufklärungsarbeit, damit Menschen besser miteinander diskutieren können. Besser als an seiner alten Schule.

"Es gibt viele Konfrontationen."

Zweite Station: Münster. "Ich komme vom Dorf, da ist es gesetzt, dass man CDU wählt", erzählt

Marie Gehling. Mit 18 stattet sie der Jungen Union einen Besuch ab, aber die Stimmung missfällt ihr. "Das war mir zu nationalistisch und konservativ", sagt die heute 20-Jährige. "Es hat mich enttäuscht, dass der Heimatgedanke immer so hochgehalten werden musste."

Ihre politische Heimat findet sie stattdessen bei der Piratenpartei, in der sie seit zwei Jahren Mitglied ist. "Mein Freund ist zuerst eingetreten", erzählt Marie. "Ich habe das nicht verstanden, mich dann aber immer mehr für die Partei und ihr Programm interessiert." Die Digitalthemen, mit denen sich die Piraten einen Namen machten, interessieren sie am Anfang weniger. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Marie ist die kritische Haltung der Partei gegenüber dem Bildungssystem. "Ich habe auch G8 mitgemacht und fand das alles nicht gut", sagt sie.

Bei einem Landesparteitag wird Marie schließlich überzeugt. "Man hat gemerkt, dass sich die Leute für einen interessieren, das hat mir imponiert. Man konnte sich einfach ans Mikro stellen und seine Meinung zu Anträgen sagen, das hat mich letzten Endes bewegt, in die Piratenpartei einzutreten."

Marie will die Piraten nicht nur mit Geld unterstützen. Sie will mitmischen und die Gesellschaft fit für das 21. Jahrhundert machen. Neben ihrer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin wuppt sie eine Mitgliedschaft im Landesvorstand der Piraten in NRW.

"Man muss sich mit Menschen auseinandersetzen, es gibt viele Konfrontation und man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Prozesse sehr lange dauern", beschreibt sie die politische Arbeit. "Basisdemokratie ist anstrengend, aber es gibt jedem die Möglichkeit, sich gleichermaßen zu beteiligen. Das ist mir die Anstrengung aber wert, denn ich weiß, am Ende ziehen alle an einem Strang."

Tagsüber WhatsApp-Gespräche, abends Telefonkonferenzen

Dritte Station: Mainz. Bevor

Eike Broszukat den Jungen Liberalen (JuLis) beigetreten ist, war der Mechatronik-Azubi in der IG Metall aktiv. "Aber ich konnte da wenig machen", sagt der 21-Jährige. "Als Gewerkschaft sprichst du der Politik Empfehlungen aus, aber die sagt dann meist: Och nö, danke."

Zum Beispiel sieht Eike das Berufsbildungsgesetz kritisch. "Es sieht nicht vor, dass Dualstudenten existieren", sagt er. Das führt zu Komplikationen: Bei Dualstudierenden wird die verpflichtende Unizeit nicht zur Wochenarbeitszeit dazugezählt. "Das kann heißen, dass sie Montag bis Freitag 35 Stunden arbeiten, wie vertraglich festgelegt, und dann dazu aber noch samstags sieben Stunden in die Uni gehen müssen", erklärt Eike. Als Parteimitglied kann er nun Anträge stellen, um eine Veränderung des Berufsbildungsgesetzes anzustoßen – beispielsweise einen Änderungsantrag oder einen programmatischen Antrag. Bis die FDP das Thema groß machen kann, werden Jahre vergehen. Aber Eike schätzt diesen Weg realistischer ein als die Versuche einer Gewerkschaft, die Bundespolitik wach zu rütteln.

Eike ist seit Anfang des Jahres dabei. Bisher hat er noch keinen Antrag gestellt. "Aber ich plane das", sagt er. Was er aktiv als Neumitglied macht: Eike klärt seine Parteikolleg*innen über die IG Metall auf. "Wenn du sagst, du bist Gewerkschafter, dann haben die Leute viele Fragen. Ich kann dann viel erzählen und die Arbeit einer Gewerkschaft erklären." Dreimal im Jahr findet das programmatische Wochenende bei den JuLis statt. Beim Nächsten wird Eike dann versuchen, sein Thema einzubringen.

Bis dahin hat er als Mitglied im Landesvorstand der Jungen Liberalen in Rheinland-Pfalz viel zu tun. Vor zwei Monaten wurde er reingewählt. Über WhatsApp tauscht sich der Vorstand zu Themen aus und guckt gemeinsam auf Artikel, um zu prüfen, ob sie darauf via Social Media mit Statements reagieren. Abends gibt es Telefonkonferenzen. "Man kann sehr gut diskutieren, wir durchleuchten Themen oft aus jeder Ecke und kommen auf neue Ideen." Flyer verteilen oder Plakate aufhängen? "Das habe ich bisher nie gemacht", sagt Eike.

Alle sollten überall mithelfen

Vierte und letzte Station: Göttingen. "Ich wurde sehr herzlich in der SPD willkommen geheißen, was auch daran lag, dass ich öfters mit meiner Schwester verwechselt wurde." 

Samina Yousaf folgt ihrer Schwester in die Partei, das ist ein knappes Jahr her. Im Gegensatz zu Marie, Eike und Florian nimmt die 28-Jährige nicht jedes Treffen mit. Vor allem die Großveranstaltungen überfordern die Studentin zu Beginn. Dass sich alle zu kennen schienen, schüchtert sie ein wenig ein.

Deshalb findet sie es gut, dass die politische Arbeit im Kleinen beginnt, in den Ortsverbänden. "Dadurch ist es am Anfang einfacher, alle kennenzulernen und neue Ideen einzubringen", sagt sie. "Mein Ortsverein trifft sich auch etwa monatlich in einem Café, um in einer etwas lockereren Runde Dinge diskutieren zu können." Klar, dass man auf diese Weise nicht die große Bundespolitik beeinflussen kann. "Aber man lernt, wie vieles funktioniert."

Sobald der Wahlkampf für die Bundestagswahl losgeht, will sich Samina wieder mehr einbringen. Am Programm mitmischen kann sie dann natürlich nicht mehr. Grundsätzlich sei das aber in der SPD leicht möglich. "Letztes Jahr im Kommunalwahlkampf wurden vorher Programmfabriken gemacht, wo sowohl Genossinnen und Genossen diskutiert haben, aber auch Bürgerinnen und Bürger", erzählt Samina. Mit dieser Vorgehensweise soll ein Programm entstehen, in dem sich möglichst viele wiederfinden. "Das Programm der Bundestagswahl wird auch gemeinsam beschlossen, da man Delegierte zum Bundesparteitag schickt und diese auch Änderungswünsche einreichen können. Das wird dann vorher im Ortsverein besprochen und jedes Mitglied, egal wie lange man schon dabei ist, darf und soll mitreden."

Es lässt sich festhalten: Wer mit Feuer in eine Partei eintritt und sich engagiert, kommt mit Glück rasch in eine Position, in der sich die Politik aktiv mitgestalten lässt. Natürlich nicht auf Bundesebene, dafür aber im unmittelbaren Umfeld, wo Ergebnisse schneller sichtbar sind. Im Wahlkampf ist die programmatische Mitgestaltung allerdings eingeschränkt. Zurzeit heißt es vor allem: anpacken, Werbung machen. Auch Samina wird mit Flyer verteilen und am Wahlkampfstand aushelfen. "Das gehört einfach dazu", sagt sie. "Und es macht am meisten Spaß, wenn alle helfen."

Anmerkung: Viele Leser*innen fragten sich, warum nicht Mitglieder sämtlicher Parteien befragt wurden. Es ging uns bei diesem Beitrag um einen Einblick, nicht um einen Rundumschlag mit Anspruch auf Vollständigkeit. Interviews mit Mitgliedern weiterer Parteien waren geplant, kamen bis zur Veröffentlichung allerdings nicht zustande.