Sechs Monate hatte Florian an seiner Abschlussarbeit gearbeitet. Viele Tage und Nächte in der Bibliothek oder am Schreitisch verbracht. Besonders die letzten Wochen vor der Abgabe waren anstrengend. Umso glücklicher hätte er eigentlich nach erfolgreicher Abgabe sein sollen. Doch wirklich freuen konnte sich Florian nicht. "Natürlich war ich erleichtert, aber richtig Feierstimmung kam nicht auf", erzählt er. Stattdessen fühlte er sich träge und motivationslos. Zwar war die Benotung seiner Arbeit noch offen, doch Sorgen, dass er durchfallen könnte, hatte er nicht. Die Gründe für seine schlechten Gefühle waren andere: "Plötzlich habe ich realisiert, dass das süße Studentenleben vorbei ist und ich mich jetzt ernsthaft um einen Job bemühen muss", sagt er. Vorher war die Masterarbeit immer eine willkommene Ausrede gewesen, um das Thema vor sich herzuschieben.

Angst vor Arbeitslosigkeit

Für den Psychologen Tobias Uhl kein unbekanntes Phänomen. Er coacht häufig Studierende, mit ähnlichen Problemen. "Mit der Abgabe der Abschlussarbeit endet ein großes Lebenskapitel", sagt er. Danach stünden viele Veränderungen an. Angefangen bei der Suche nach einem geeigneten Job, bis hin zu einem Wohnortwechsel und der damit verbundenen Suche nach neuen Freund*innen. "Diese Veränderungen machen vielen Absolventen Angst", sagt Uhl, "das Empfinden von Lust- und Motivationslosigkeit ist ein Zeichen der Überforderung, weil die passenden Strategien fehlen, um diese neue Situation erfolgreich anzugehen." Oft baue auch das Umfeld durch Fragen wie "und was machst du jetzt?", Druck auf. Hinzu kommt, dass mit der Abgabe der Abschlussarbeit in der Regel auch der Anspruch auf BAföG endet, wodurch finanzieller Druck entsteht. Wer nicht schnell eine Anstellung findet, dem droht, Arbeitslosengeld II beantragen zu müssen. "Das empfinden die meisten als tiefen Fall", sagt Uhl.

Die Folge: Sie nehmen den erstbesten Job an, den sie bekommen können. Doch von derartigen Schnellschüssen rät Uhl ab. "Sonst kommt die große Sinnkrise zehn Jahre später", sagt er. Stattdessen sollten sich Absolvent*innen in Ruhe Gedanken zu ihrer Zukunft machen. Am besten noch während des Studiums. Dabei sei zu überlegen, wie man sich seine persönliche Zukunft bezüglich Aufgabenfeld, Arbeitszeit und -ort oder Gehalt vorstelle. Wem es danach trotzdem schwerfällt, sich aus der eigenen Motivationslosigkeit zu befreien, solle sich kleine Tagesziele setzen, wie beispielsweise das Schreiben des Lebenslaufs oder die Aufnahme von Bewerbungsbildern. "Dadurch bekommt man das gute Gefühl, etwas geschafft zu haben", sagt Uhl. Auf diese Art kämpfte sich auch Florian aus seinem Tief heraus und fand nach drei Monaten schlussendlich einen Job, der seinen Vorstellungen entsprach. "Im Rückblick bin ich froh, dass ich trotz des Drucks nichts überstürzt habe", sagt er.

Kein Ziel mehr vor Augen

Dass das Gefühl der Antriebslosigkeit jedoch nicht nur mit der Suche nach einem Job verbunden ist, zeigt das Beispiel von Marina. Sie hat kürzlich ihre Ausbildung zur Meisterin als Landwirtin abgeschlossen. Um eine Jobsuche muss sie sich keine Gedanken machen, da sie in demselben Betrieb weiterarbeiten wird, wie während ihrer Ausbildung. Dennoch fühlte auch sie sich nach Abschluss von Meisterarbeit und Abschlussprüfung leer und antriebslos. "Ich hatte auf nichts mehr Lust und fühlte mich leer", erzählt sie. Laut Tobias Uhl liegt das vor allem an der plötzlichen Ziellosigkeit. Egal ob Studium oder Ausbildung, über Jahre hinweg war die Abgabe der Abschlussarbeit der große Moment, auf den hingearbeitet wurde. "Menschen haben gerne ein Ziel vor Augen. Mit der Abgabe der Abschlussarbeit fällt das plötzlich weg", sagt Uhl. Hinzu komme dann bei Auszubildenden oft auch die Angst, neuen Verantwortungen im Beruf nicht gerecht werden zu können. Auch hier empfiehlt es sich, sich kleine Ziele zu setzen. Zudem rät Uhl zu mehr Selbstvertrauen in das eigene Können, schließlich bekomme man das auf seinem Abschlusszeugnis schwarz auf weiß bestätigt.

Menschen haben gerne ein Ziel vor Augen. Mit der Abgabe der Abschlussarbeit fällt das plötzlich weg." – Coach Tobias Uhl

Darüber hinaus hat Tobias Uhl noch einen weiteren Ratschlag für Betroffene: "Man sollte sein Selbstwertgefühl nicht allein auf den Beruf begründen", erklärt er. Statt sich zurückzuziehen und nur noch an Job und Karriere zu denken, sollten sich Betroffene mit Freund*innen treffen, Hobbys pflegen oder anderen Aktivitäten nachgehen. So hat sich auch Marina langsam aus ihrem Tief befreit. "Mir hat es geholfen, dass ich regelmäßig weggefahren bin, zum Beispiel ans Meer oder in die Berge", sagt sie.

Doch nicht immer ist es möglich, sich aus eigener Kraft aus der Motivationslosigkeit zu befreien. In diesen Fällen kann es helfen, sich professionelle Hilfe, beispielsweise durch ein Coaching, zu holen. Kommen dagegen Symptome wie Schlafprobleme, schwere Lethargie oder gar Suizidgedanken hinzu, sollte dringend ein*e Psychotherapeut*in hinzugezogen werden, da das Anzeichen für eine Depression sein können, ausgelöst durch die plötzlichen Veränderungen im Leben.