In den 24 Jahren, die ich lebe, bin ich 21 Mal umgezogen. Das entspricht, statistisch gesehen, 0,875 Umzügen pro Jahr oder einem Umzug alle 14 Monate. Ja, ich bin ein wenig rumgekommen. Hat es mir geschadet? Nein.

Die am häufigsten gestellte Frage, die ich zu hören bekomme, wenn ich jemandem von meinen ständig wechselnden Wohnverhältnissen erzähle, lautet: "Wie machst du das?" Dicht gefolgt von: "Warum zur Hölle bleibst du nicht mal am selben Ort?" Wie ich es logistisch gesehen geschafft habe, in 24 Jahren 21 Mal umzuziehen, ist mir rückblickend selbst oft ein Rätsel. Warum ich es gemacht habe, ist hingegen schnell erklärt. Denn auch wenn ich den Wohnungswechsel auffällig exzessiv praktiziert habe, waren die Auslöser immer ganz klassische: Liebe oder Beruf.

Müsste ich mein Leben anhand der Umzüge in drei Phasen einteilen, es wären diese hier:

Phase Eins: Das arme Kind hat keine Heimat

In der ersten Phase (neun Umzüge) lebte ich noch "zu Hause" – also bei meiner Mutter – und ging noch nicht zur Schule. In dieser Zeit trieben uns vor allem diverse romantische und berufliche Umbrüche ihrerseits von einem Wohnsitz in den nächsten. Zugegeben, während Phase Eins lagen zwischen den einzelnen Haustüren meistens nur vergleichsweise wenige Kilometer (wir bewegten uns fast ausschließlich im Landkreis meiner Heimatstadt Kassel) – aber für einen Jungen im Alter von maximal sechs Jahren ist schon der Umzug in das Nachbardorf wie das Betreten einer neuen Welt. Fragt mich heute jemand nach meiner Heimat, kann ich mit "Großraum Kassel" nur eine äußerst schwammige Antwort geben.

Die vielen Umzüge führten dazu, dass ich mit der Zeit vor der Grundschule quasi keine Orte und auch keine bestimmten Menschen außerhalb meiner Familie verbinde. Kindergarten- oder Sandkastenfreund*innen hatte ich nie. Wie auch? Egal ob Froschgruppe, Bärengruppe oder Pilzgruppe – ich war nie viel länger als ein paar Monate in einer dieser animalischen Kindergartentruppen. Dadurch fehlte mir schlicht die Zeit, mich fest mit anderen Kindern anzufreunden und ich blieb mehr für mich allein. Bewusst gestört hat mich das damals tatsächlich nie. Ich war es ja nicht anders gewohnt und konnte mich gut allein beschäftigen. Heute macht es mich aber manchmal traurig, wenn ich merke, dass mir damit etwas fehlt, was für andere selbstverständlich erscheint. 

Phase Zwei: Beste Freunde wohnen eben doch nebenan

Zwischen erster Schultüte und Abi habe ich nur drei Mal einen neuen Schlüssel in die Hand bekommen. Von der ersten bis zur siebten Klasse blieben wir tatsächlich an einem Ort. Die darauffolgenden Ortswechsel bis zum Schulabschluss fühlten sich bei weitem nicht so radikal an, wie die in den frühen Kindertagen. Schließlich war ich jetzt mobil und das Internet (man denke an ICQ und SchülerVZ) erleichterte die Kommunikation.

Meine drei engsten Freunde lernte ich in der Schule kennen. Und rückblickend sind diese engen Bindungen wahrscheinlich vor allem der schieren Masse an gemeinsam verbrachter Zeit zu verdanken, die die vergleichsweise geringe Umzugsdichte möglich machte. 

Phase Drei: Arbeit nervt

Seit meinem Auszug (Umzug Nummer 13) musste ich aufgrund meines dualen Studiums insgesamt acht Mal einen neuen Wohnsitz anmelden. Z

um Start der Ausbildung bin ich zunächst etwa 350 Kilometer von meiner Heimatstadt weggezogen. Das bedeutete konkret, dass die Schulfreunde nur noch virtuell oder telefonisch verfügbar waren und ich mehr oder weniger auf mich allein gestellt war. Da das Studium an zwei Standorten stattfand, zwischen denen ich im Halbjahresrhythmus wechselte, fühlte es sich fast unmöglich an, feste Bindungen aufzubauen. Kaum entstand der Ansatz einer tieferen Freundschaft, musste ich für einige Monate weg – mal nur 100 Kilometer, mal in ein anderes Land – und nach meiner Rückkehr war alles wieder auf Anfang gesetzt. Das Dilemma meiner Kindheit wiederholte sich.

Der frustrierende Unterschied zur frühen Kindheit war das Gefühl, den äußeren Umständen ausgeliefert zu sein – in Kombination mit dem Bewusstsein, dass ich mich selbst für diese Ausbildung und die damit verbundene Lebensweise entschlossen hatte. Beides ließ mich den regelmäßigen Trennungsschmerz von meinen Freunden deutlich intensiver wahrnehmen.

Klassische Probleme der "Generation Beziehungsunfähig"?

Mittlerweile befinde ich mich in Phase Vier. Ich bin geprägt von dem, was vorher war und bin froh über das, was ich erlebt habe. Die Sache mit den häufigen Umzügen ist nämlich Folgende: Ja, sie machen es verdammt schwer neue Freunde zu finden und alte Bindungen zu pflegen. Dafür fehlt einfach die Zeit. Außerdem sind sie natürlich rein logistisch nervig.

Langfristig waren sie für mich aber eine unheimliche Bereicherung und Stärkung. Ich habe drei enge Freunde; alle kenne ich seit vielen Jahren und mindestens zehn Umzügen. Und egal, wie oft und wohin es mich in Zukunft verschlägt, ich weiß, dass ich auf diese Menschen zählen kann und dass die Basis unserer Freundschaft nicht von einem Ort abhängt. Ähnlich ist es mit der Liebe. Seit vier Jahren (entspricht sieben Umzügen) führe ich eine feste Beziehung, in der wir mal bis zu 1000 Kilometern entfernt voneinander und mal in einer gemeinsamen 1-Zimmer-Wohnung lebten. Und wenn das klappt, was soll dann schon passieren?

Achja, und um der Frage vorzubeugen: Zur Zeit lebe ich bei der Oma meines Grundschulfreundes. Ist aber nur übergangsweise.