"Es tut mir leid, dann bin ich außer Landes." Zwei Monate später? "Dann auch." Zwei Anläufe und zweimal war Lisa Baldwin kurzfristig nicht in Irland zu den vereinbarten Terminen. Aber third time’s a charm, und so sitzt die 36-Jährige an einem Sommersonntag vor einem Café in einem Businesspark. Sie erzählt von Klient*innen, ohne Namen zu nennen, davon, was Frauen zu besseren Bodyguards macht, und warum sie über ihre Vergangenheit, aber nicht über ihr Privatleben, spricht.

Die Nachfrage nach weiblichen Bodyguards sei derzeit sehr groß. "Das war nicht immer so, im Gegenteil", sagt Baldwin. Bei ihr gibt es keinen Hauch von Militärstyle, kein Platzhirschverhalten. Nur die Sonnenbrille zeugt von beruflich bedingter Coolness. Sie verhindert, dass andere sehen, wo Lisa Baldwin gerade hinschaut. "Als ich mit Anfang 20 in das Business eingestiegen bin, hatten Frauen ein schreckliches Standing. Die Branche war noch viel stärker männerdominiert als heute."

Vor gut 15 Jahren hätten sich die Klient*innen ihre Beschützer*innen oft nach persönlichem Bekanntheitsgrad ausgesucht: Hey, der Typ trainiert in meinem Fitnesscenter, der ist stark und ausreichend trainiert. Das waren die Jobvoraussetzungen. Gillian Dunne von der International Bodyguard Association (IBA) sagt: "In knapp zehn Jahren ist die Anzahl weiblicher Bodyguards um ein Zehnfaches angestiegen."

Frauen fallen weniger auf

Heutzutage könnten Personenschützerinnen – personal protection officers, kurz PPOs – das ganze Jahr hindurch und rund um die Uhr Aufträge annehmen, während Männer sich nach Jobs umgucken müssten. Die große Nachfrage bedeute auch, dass Frauen in diesem Beruf deutlich mehr verdienen könnten als Männer. Wer gut ist, so heißt es in Insiderkreisen, bekomme 800 Euro pro Tag aufwärts. Die Gründe für die hohe Frauenquote liegen für Lisa Baldwin auf der Hand: "Frauen fallen weniger auf, erst recht wenn sie – so wie ich oft – Frauen und Familien begleiten, die beispielsweise Angst vor Kidnapping haben."

Reiche Familien, Prominente und hochkarätige Businessleute gehören zu ihren Klient*innen. Namen nennt sie keine. "Diskretion hat Vorrang, das ist selbstverständlich", sagt die Dublinerin, die aus Clontarf, einem der gutbürgerlichen Teile der irischen Hauptstadt stammt. Vor allem von muslimischen Familien gebe es im Moment mehr Interesse, weil diese eher nicht wollten, dass männliche Bodyguards den Frauen zu nah seien. Und dann sei da noch die Toilettensituation. "Wenn man einen männlichen Leibwächter für eine Kundin hat, wird das zum Problem. Der kann sie ja nicht begleiten", sagt Baldwin.

In knapp zehn Jahren ist die Anzahl weiblicher Bodyguards um ein Zehnfaches angestiegen.
Gillian Dunne, International Bodyguard Association

Diskretion in allen Lebenslagen gehört zum Job. Es dürfe niemand auf Anhieb sehen, dass sie als Leibwächterin gebucht sei. "Ich bin schon mal von Passanten gefragt worden, ob ich die Kinderfrau der Promifamilie auf dem Spielplatz sei." Emanzipatorisch eine blöde Frage, aber: "Das hieß, dass ich meinen Job gut mache und als Personenschützerin nicht zu erkennen war."

"Manchmal", sagt Baldwin, "denken Klientinnen auch, ich könnte doch ihre Einkaufstaschen tragen oder tatsächlich als Babysitterin einspringen." Aber dann fehle die nötige Konzentration, um das komplette Umfeld wahrzunehmen und schnell reagieren zu können. "Ich mache immer klar, dass ich weder Butler noch persönliche Assistentin bin, sondern eher wie eine Freundin – auch wenn ich von mir nahezu nichts preisgebe." Die Klient*innen müssen ihr aber vertrauen, wie in einer Freundschaft. "Ich versuche immer, eine besondere Beziehung aufzubauen." Das sei eine Fähigkeit, die eher Frauen erfüllten als Männern.

Die Ausbildung? Ziemlich "James-Bond-mäßig"

Lisa Baldwin hat ihre Ausbildung – nach Abitur und einem abgebrochenen Wissenschaftsstudium in Dublin – bei einem Ex-MI5-Security-Spezialisten in London gemacht. Das sei schon ziemlich "James-Bond-mäßig" gewesen, sagt sie rückblickend, auch wenn ihr Filmvergleiche mit Kevin Costner in Bodyguard sonst gegen den Strich gehen. "Ich bin darauf trainiert, eine Gefahr zu erkennen, bevor sie passiert. Wenn die Leute denken, dass wir uns in den Kugelhagel werfen oder Leute mit Wucht zur Seite drängen, muss ich sie enttäuschen." Genau in diesem Punkt kämen die Vorteile als Frau zum Tragen, findet die irische Bodyguard.

"Frauen haben andere Multitaskingfähigkeiten als Männer und können Bedrohungen besser erkennen, bevor sie entstehen." Sie selbst merke schnell, ob viele Zigarettenstummel neben einem Auto vor dem Haus der Klient*innen darauf hinwiesen, dass dort jemand länger auf Beobachtungskurs gewesen sei. Oder ob jemand zufällig vorbeikomme oder mit einem Hintergedanken. Dann heiße es: Schnell reagieren, ohne Aufsehen zu erregen. "Ich mache dann den Vorschlag, zu gehen, den meine Klienten oberflächlich als spontan einordnen können, obwohl sie wissen, dass wir jetzt exakt das machen, was ich ansage." Ein gängiges Missverständnis sei, so Lisa Baldwin, dass man als ehemalige*r Polizist*in oder Soldat*in prädestiniert sei, als Personenschützer*in zu arbeiten. Man müsse gut zwischen Security- und Bodyguardaufgaben unterscheiden.

Ich bin darauf trainiert, eine Gefahr zu erkennen, bevor sie passiert.
Lisa Baldwin

Als Türsteher, oder wenn man unbedingt warnend signalisieren wolle, dass man eine Konfrontation nicht scheut, oder weil man partout auffallen wolle, nehme man sich Securitymenschen, die bullig dreinschauten und einschüchternd wirkten. Aber im Personenschutz, gerade auf dem Level, auf dem Lisa Baldwin sich bewege, seien Muskelprotze wenig gefragt. "Je unauffälliger ich ins Bild passe, desto besser und stressfreier, ergo: sicherer sind die Reisen, Ausflüge oder Shoppingtrips für alle." Lisa Baldwin muss überall so aussehen, als gehöre sie genau dahin – wie ein menschliches Chamäleon. "Ich kann immer so tun, als hätte ich einen Grund für meine Anwesenheit. Das muss man üben – neben Waffenausbildung und taktischem Fahren gehören auch solche Skills in den Lebenslauf als Personenschützerin."

"Manchmal reagiere ich auf Jobausschreibungen, aber meistens werde ich angerufen." Dann müsse es oft sehr schnell gehen, mehrere Urlaube hat sie schon für einen Job unter- oder abgebrochen. Oder eben Interviews. Bislang hat ihr Telefon an diesem Morgen noch nicht geklingelt. "Wenn es heißt, die Familie XY ist bereits im Flieger nach London, wann kannst du da sein, dann kann ich nicht sagen, in einer Woche." Jeder Auftrag sei anders, so individuell wie auch die Klient*innen. "Wenn ich eine Familie auf Reisen begleite, dann kontaktiere ich vorher die Hotels, checke die Sicherheitsvorkehrungen und mache mich mit dem Gebäude und dem Gelände vertraut." Wichtig sei ihr, mit dem Team des Hotels oder Resorts zusammenzuarbeiten, aus menschlicher und professioneller Sicht. "Sonst arbeiten die Leute vor Ort gegen dich und das kannst du nicht gebrauchen."

Besteht ein ideales Team denn nur aus Frauen? "Nein", sagt Lisa Baldwin, "man sucht sich für Jobs mit mehreren PPOs die richtigen Leute für die richtigen Aufgaben zusammen. Oft bestehen Teams aber aus einem Verhältnis von acht Männern zu zwei Frauen. Aber auch bei einem Sicherheitsteam von zwölf Männern mag ich es, Chefin zu sein – ich behalte gern die Kontrolle."

"Je krasser das Szenario, desto ruhiger solltest du sein"

Die Ruhe und Besonnenheit, auch in stressigen oder emotionalen Situationen gelassen zu bleiben, habe sich in ihrer Jugend entwickelt: "Ich war so etwas wie ein Schwimmtalent und durfte mit 15 Jahren von zu Hause ausziehen und in die Niederlande gehen, um dort effektiver zu trainieren, als es in Irland möglich gewesen wäre. Das hat mein Selbstvertrauen stark geprägt." Durch den Sport habe sie gelernt: "Je krasser das Szenario, desto ruhiger solltest du sein." Das sei wie "eine Art Muskelerinnerung, eben wie beim Training, die auch als Leibwächterin zum Einsatz kommt."

Baldwin fällt es nicht schwer, körperlich fit zu bleiben. Sie gehe oft mit ihren Hunden spazieren und schwimme immer noch gern, wenngleich schon lange nicht mehr auf Wettkampflevel. "Ich bin froh, mehr zu Hause zu sein, trotz der Reisen für und mit Klient*innen." Auf die Frage nach Kindern und einem*r Partner*in antwortet sie ausweichend: "Darüber spreche ich nicht öffentlich." Es sei am besten, wenn keine persönlichen Details bekannt seien, die sie angreifbar machten. Als Personenschützer*in bleibe man als Person besser unter dem Radar.

Von Mareike Graepel auf Deine Korrespondentin.

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