Meine erste WG-Erfahrung machte ich kurz nach dem Abi in Barcelona, als ich das erste Mal zu Hause auszog. Anschließend gründete ich mit einer Freundin, die ich erst ein paar Monate vorher kennengelernt hatte, eine WG in Deutschland. Das hat gut geklappt. Bis sie wegzog. Und ich auch. Es folgten weitere vier Umzüge in vier Jahren, jedes Mal wieder in eine WG.

In Deutschland wohnten im vergangenen Jahr 4,11 Millionen Menschen in einer Wohngemeinschaft. Dem "Eurostudent Report" zufolge, der vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung herausgegeben wird, leben 35 Prozent der Deutschen mit anderen Menschen zusammen, die weder Eltern oder Kinder noch Partner sind. Damit ist Deutschland auf dem fünften Platz in Europa – hinter der Slowakei, Slowenien, Nordirland und die Ukraine.

Das WG-Leben hat viele Vorzüge. Ich mag es, zu wissen, dass jemand da ist, wenn ich nach Hause komme und dass ich mein Zuhause mit jemandem teilen kann. Nicht alleine zu sein, ist schön. Es gibt mir das Gefühl von Sicherheit. Außerdem kann man sich Kosten und Verantwortung teilen, hat aber weniger Verpflichtungen den anderen gegenüber als wenn man mit seinem Partner zusammen wohnt.

Zu Musik von Helene Fischer putzen, zusammen auf dem Balkon versacken oder eine spontane Kneipentour mit der Nachbar-WG starten, sind nur ein paar der coolen Erlebnisse aus meiner WG-Historie. Mir gefällt es, gemeinsam Zeit zu verbringen oder zu sehen, wie Mitbewohner und Freunde bonden.

„Ziehe nie mit jemandem zusammen, den du nicht magst."

Mir ist es wichtig, dass ich mich in einer WG wohl fühle. Das war nicht immer der Fall. Es gibt eben Dinge, die in einer Wohngemeinschaft gar nicht gehen: Vor ein paar Jahren habe ich ein Weihnachtsessen für meine Freundinnen gegeben. Ich hatte alles organisiert und das Essen in der WG angekündigt. Als ich morgens die Tür ins Schloss fallen hörte, weil meine Mitbewohnerin arbeiten musste, wusste ich: Die Küche sieht von ihrer Kocherei aus wie Sau und sie kommt erst am nächsten Tag wieder… Ratet, wer geputzt hat.

Mit einem Mitbewohner lief es besonders schlecht. Nach einer Zwischenmiete bin ich zurück in eine frühere WG. Er war zwischenzeitlich eingezogen – als Hauptmieter. Wir hatten sofort Schwierigkeiten miteinander. Ich hatte für seinen Geschmack zu viele Schuhe. Er aß mir zu viel Pizza. Ich benutzte ihm zu viel Haarspray. Er hing mir zu viel vorm PC rum. Unser Zusammenleben ist damit geendet, dass er mich rausgeworfen hat. Ich sollte es nicht persönlich nehmen, sagte er. Hätte ich an einem WG-Casting bei ihm teilgenommen, hätte er mich nicht ausgesucht. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Muss man mit seinen Mitbewohner*innen befreundet sein?

Ich habe nach fünf Jahren WG-Leben immer noch keine Ahnung, ob die Erfindung der Wohngemeinschaft Fluch oder Segen für menschliches Miteinander ist. Kann ein Zusammenleben mit Fremden prinzipiell klappen? Muss man befreundet sein, damit eine WG funktioniert?Hendrik Berth, Psychologe und Professor an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden, meint, Toleranz und Kommunikation seien wichtiger als Freundschaft. Er definiert eine WG als "Zweckgemeinschaft mehrerer Individuen, um günstigen Wohnraum anzumieten". Die etwas trockene Bezeichnung verteidigt er damit, dass Mitbewohner*innen sich nicht immer leiden können müssen, um zusammen zu wohnen.

Eine funktionierende WG fängt seiner Meinung nach allerdings an, bevor sie gegründet wird: "Ziehe nie mit jemandem zusammen, den du nicht magst. Das findet man ja beim ersten Treffen heraus." Der nächste Schritt sei das Aufstellen klarer Regeln, die die alltäglichen Dinge wie das Putzen von Bad und Küche umfassen. "Strukturen helfen Menschen, um miteinander klar zu kommen."

Doch auch mit Strukturen treten in den meisten WGs über kurz oder lang Probleme auf. Dann helfen laut Berth drei Verhaltensweisen:

  1. Kommunikation
  2. Diplomatie
  3. Kompromissbereitschaft

Wer sich zu Hause nicht wohl fühlt, sollte ausziehen

Es gibt viele Gründe, warum ein WG-Leben trotz dieser Regeln scheitert. Meistens sind diese offensichtlich wie geteilte Meinungen zu Geld oder Sauberkeit. Es gibt aber auch Auslöser für Probleme, die nicht jeder sofort erkennt. Eine Freundin von mir lebt mit zwei Mädels zusammen. Oberflächlich betrachtet, scheint ihre WG perfekt: Gemeinsame Fotos bei Facebook, wöchentliches Biertrinken, zusammen frühstücken in der Küche. Es gibt sogar ein WG-Haustier. Doch seitdem die Freundin einen neuen festen Freund hat, verbringt sie weniger Zeit zu Hause oder ist dort seltener alleine. Beim Frühstück sitzt der neue Typ mit am Tisch und Bier trinkt er auch. Das bringt schlechte Stimmung mit sich.

"Spätestens, wenn man sich beim nach Hause gehen nicht wohl fühlt, ist es Zeit auszuziehen", sagt Hendrik Berth. Dann werde zu Hause meist nur noch gestritten oder geschwiegen. Und ich weiß aus eigener Erfahrung: Nichts davon ist gemütlich. Ausziehen sollte dann nach Berth derjenige, der zum Außenseiter der WG geworden ist – es muss also nicht immer die sein, die immer putzt oder der, der nie putzen will. Es kommt auf die Konstellation an.

"Ich bin ein WG-Chamäleon, ich kann mich anpassen."

Doch was sind die Alternativen? Single-Wohnungen mit mehreren Zimmern kosten deutlich mehr als eine WG. Und die Ein-Zimmer-Wohnungen, die groß genug sind, um sich wohl zu fühlen, sind rar gesät. Von Studentenwohnheimen fang ich gar nicht an. Da hat Harry Potter unter der Treppe ja mehr Platz.

Praktisch gesehen, wohne ich also auch in einer WG, weil ich so Geld spare und trotzdem nicht in einem Schrank wohnen muss. Geld für Reisen, Essen gehen oder anderen Freizeitshit auszugeben, macht einfach viel zu viel Spaß. Ich bin gespannt, wie viele WGs noch kommen. Jetzt freue ich mich erst mal darüber, in unserem Wohnzimmer samt Andy Warhol-Bild und einem Zeitungsständer zu entspannen. Dank der vielen Umzüge fällt es mir nicht schwer, mich in einer neuen Wohnung zu Hause zu fühlen. Ich bin ein WG-Chamäleon, ich kann mich anpassen.