Mit Mitte dreißig fragen sich viele, wer bin ich, was mache ich hier und welche Ziele habe ich noch? Die Ausbildung ist vorbei, die Euphorie über den ersten Job verflogen. Entweder hat man jetzt ein Kind, das einen ablenkt oder zu viel Zeit, um sich Gedanken zu machen. Letzteres ist bei mir der Fall. Bin ich wirklich glücklich? Bin ich da, wo ich sein will? Auch wenn ich ein schönes Leben habe, könnte es nicht sein, dass ich etwas verdränge? Und wer könnte mir darauf eine Antwort geben?

Ein*e Yoga-Lehrer*in würde mir raten, meine innere Mitte auszubalancieren, ein*e Therapeut*in meine Kindheit aufzuarbeiten und die Freund*innen, mir nicht zu viele Gedanken zu machen. Also brauche ich jemanden, der mir gegenüber objektiv und unverfälscht ist, nicht voreingenommen oder nur Profit interessiert.

Zum Glück findet man im Internet auch Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens und so stoße ich auf das, was ich finden wollte: tiergestütztes Coaching. Pferde als Spiegel unserer Seele. Das klingt erst mal esoterisch – und trotzdem überzeugt mich das Konzept dahinter. Tiere können weder taktisch noch berechenbar agieren. Insbesondere Pferde sind hochsensibel. Sie reagieren auf Körpersprache und Ausstrahlung und können so das menschliche Verhalten widerspiegeln. Die Tiere scannen sozusagen den Menschen und der*die Trainer*in übersetzt ihre Reaktion. Ist jemand unsicher oder nervös, besitzergreifend oder unausgeglichen? Gemeinsam wird anhand von speziellen Übungen mit, nicht auf, dem Pferd an Denk- und Verhaltensmustern gearbeitet.

Ein pferdegestütztes Coaching kann dabei verschiedene Ziele verfolgen, es richtet sich an Menschen, die sich überfordert oder gestresst fühlen, die vor einer wichtigen Entscheidung stehen, die sich selbst zu wenig vertrauen oder sich einfach selbst reflektieren möchten. Es gibt auch spezialisierte Angebote wie zum Beispiel Coachings für Führungskräfte oder Teambuilding-Seminare. Reitkenntnisse sind hierbei nicht erforderlich, auch keine Vorerfahrung mit Pferden. Allerdings ersetzt ein solches Coaching keine richtige Therapie, es geht nicht darum, tiefenpsychologisch in die menschliche Seele zu blicken. Es ist eher eine Art Aktivierung der eigenen Fähigkeiten. Meine Motivation ist eine Mischung aus Neugier und der Frage, ob ein Pferd mir etwas widerspiegeln kann, worüber ich mir vielleicht selbst noch gar nicht im Klaren bin. 

Pferde Stärken Menschen nennt sich das Persönlichkeitstraining für das ich mich entscheide und für das ich 80 Euro zahle.

Von Menschen und Tieren

Regina Petersen ist ausgebildete Trainerin für pferdegestütztes Coaching und betreibt gemeinsam mit ihrem Mann den Harderhof. Keine halbe Stunde von Hamburgs Innenstadt entfernt, ländlich, idyllisch mit Reetdach. Es ist ein regnerischer Vormittag. Als ich den Hof erreiche, schiebt sich plötzlich die Sonne durch die Wolken. Nicht nur das ist ein wahrer Lichtblick: Frau Petersen ist schon nach wenigen Minuten Regina. Sie ist einer von den Menschen, die das Herz am rechten Fleck haben. Gradlinig, ehrlich und aufgeschlossen.

Die insgesamt 90 Minuten Coaching beginnen mit einem Vorgespräch mit Kerzen. Es ist rustikal, riecht angenehm bodenständig nach Stroh und Pferden. Ich erzähle Regina, warum ich hier bin, dass ich einerseits wissen möchte, ob es womöglich ein Thema in meinem Leben gibt, über das ich mir selbst nicht bewusst bin und andererseits, dass mich die pädagogische Arbeit mit Tieren interessiert. Regina hört geduldig zu. Das Coaching ist kein Marketing-Konzept, es gibt keine gebrandeten Tassen mit Logo oder T-Shirts mit Sinnsprüchen. Hier geht es alleine um Mensch und Tier. Arbeitskleidung: Gummistiefel.

Das Pferd hat die Wahl

Die erste Regel beim Zusammenarbeiten mit den Vierbeinern: Das Pferd wählt dich aus, nicht umgekehrt. Wir gehen in den Stall, ich soll mich mit den insgesamt fünf Pferden vertraut machen. Regina bereitet in der Zeit die Koppel für das Coaching vor.

Die Auswahl fällt mir leicht: dunkle Reh-Augen, helle Mähne, braunes Fell. Das kleine Pony sieht mich neugierig an und schnuppert fast schon zärtlich an meiner Hand. Ich laufe anstandshalber noch zu den anderen Boxen, in einer davon scharrt ungeduldig eine riesige schwarze Stute. Sie tritt mit den Vorderhufen gegen die Stalltür und würdigt mich keines Blickes. Unvorstellbar mit diesem Tier zusammenzuarbeiten – ich spüre keinerlei Verbindung zwischen ihr und mir.

Sie hat dich ausgesucht, da warst du noch keine drei Sekunden in diesem Stall." – Regina Petersen, Trainerin

Regina kommt lächelnd zurück: "Was meinst du? Welches der Pferde hat dich ausgesucht?" Selbstbewusst blicke ich zu meinem braunen Pony, das mir fast schon bestätigend zuschnaubt. Zu meiner großen Überraschung, oder besser Enttäuschung, schüttelt Regina den Kopf. Jetzt zeige ich nacheinander wahllos auf den Rest der Pferde, bis ich schließlich schon fast lachend auf die schwarze Stute deute, "Naja, sie ja wohl nicht". Regina grinst: "Sie hat dich ausgesucht, da warst du noch keine drei Sekunden in diesem Stall."

Ich hatte Angst vor ihr, da war ich noch keine zwei Sekunden in diesem Stall, denke ich entsetzt. Regina sagt: "Sie hat direkt auf dich reagiert, sie ist unruhig geworden, hat sich bemerkbar gemacht und wollte raus". Ich muss kurz schlucken und überlege, ob das wirklich ein gutes Zeichen ist. Regina holt das riesige Tier aus der Box, jetzt steht es neben mir, groß und schwarz. Sie heißt Saphira und genau wie der Name erinnert sie mich an ein dunkles Fabelwesen aus einem Harry-Potter-Film. Sie soll mich also widerspiegeln, mir zeigen, wer ich gerade bin. Im Moment nur jemand, der am liebsten weglaufen würde. Ich habe Angst vor ihr. Es ist der Moment, in dem ich mich frage, ob das alles hier eine gute Idee war.

Vertrauen Schritt für Schritt

Wir laufen zur Koppel, ich halte respektvoll Abstand. Die Hufe sind immerhin Untersetzer-Teller groß. Die erste Übung besteht darin, dass ich das Pferd an einer Leine durch einen Parcours führen soll. Ich denke, dass witzigerweise nichts besser meine Angst vor diesem großen schwarzen Pferd symbolisieren kann, als dieses große schwarze Pferd. Unsicher laufe ich los, im Kopf spiele ich Szenarien durch, was wohl passieren würde, wenn die Stute plötzlich durchdreht oder losgaloppiert.

Was dann passiert, lässt sich schwer in Worte fassen, denn rein objektiv laufe ich einfach neben einem Pferd her. Innerlich kostet mich das aber einiges an Überwindung. Ich befinde mich in einer Situation, die ich mir selbst ausgesucht habe. Und die mich gleichzeitig überfordert. Erst nach und nach werde ich ruhiger und spüre, wie der große dunkle Kopf sich neben mir langsam auf und ab bewegt und gleichmäßig durch die großen Nüstern atmet.

Geduldig läuft Saphira mit mir über ein Hindernis, dreht sich im Kreis. Mit jedem Schritt vertraue ich ihr mehr. Sie reagiert auf meine Bewegungen, hält Schritt, tritt mir nicht auf die Füße und lässt sich behutsam zur Seite schieben. Es ist, als sie mir sagen würde: "Entspann dich mal." Regina lächelt mir aufmunternd zu.

Mit jedem Schritt vertraue ich ihr mehr."

Als nächstes soll ich den Parcours ganz ohne Leine laufen. Hier ist Körpersprache gefragt. Die Interaktion mit dem Tier muss stimmen, nicht zu weit weg gehen, aber auch nicht bedrängen. Die Balance miteinander finden. Mittlerweile ist meine Angst der Neugier gewichen. Ich vertraue dem Tier und das Tier mir, es folgt mir ruhig und bedächtig. Ich muss es an einer bestimmten Stelle zum Stehen bringen und dann wieder zum Weiterlaufen animieren. Regina lacht zufrieden: "Sie ist absolut entspannt bei dir."

Beim Thema Entscheidungen und Entschlossenheit soll ich Saphira mit einer Gerte freilaufend zum Traben bekommen. Das heißt, ich stehe in der Mitte der Koppel und muss die Kommandos geben. Zunächst noch ungewohnt, nimmt das Pferd schon nach wenigen Minuten Fahrt auf und wird immer schneller. Ob allerdings sie oder ich in diesem Moment mehr Spaß daran haben, unbeschwert durch den Matsch zu laufen, ist unklar. Was aber klar ist: Ich habe keine Angst mehr vor dem großen schwarzen Pferd. Vor meinem großen schwarzen Pferd. Noch vor einer Stunde hätte ich mir das absolut nicht vorstellen können.

Das sieht Regina am Ende des Coachings genauso: "Du hast mich am Anfang gefragt, ob es womöglich etwas gibt, worüber du dir selbst noch nicht im Klaren bist, aber ich kann dir sagen: Nein, gibt es nicht. Das Pferd hätte nicht so problemlos mit dir interagiert." Saphira steht neben uns und sieht aus, als würde sie lässig auf einem Kaugummi kauen. "Siehst du das?", fragt Regina. "Das Kauen ist ein Zeichen dafür, dass es ihr gut geht." Das kann ich nur zurückgeben.

Keine Angst vorm schwarzen Pferd

Natürlich hätte mir das auch ein*e Yogalehrer*in sagen können. Oder die beste Freundin. Aber ich hätte es trotzdem nicht geglaubt. Ich habe es erst geglaubt, als ich es gefühlt habe. Als ich mit meiner Angst auf vier Beinen auf dieser Koppel stand und lernen musste, dem Tier und mir zu vertrauen. Ich hatte vor dem Termin nicht mal ein konkretes Anliegen formulieren können und trotzdem genau das gefunden, was ich gesucht habe. Darin liegt auch die Stärke eines solchen Coachings, hier geht es viel um erleben und fühlen, weniger um eine rationale Analyse oder ein geregeltes Kursprogramm. Die Übungen werden auf die Bedürfnisse abgestimmt, es ist eine Interaktion zwischen Tier, Trainer*in und Teilnehmer*in. Die Pferde sind dafür nicht speziell ausgebildet oder trainiert. Es gibt Coaches, die sogar mit fremden Pferden arbeiten.

Wenig später sitze ich wieder in der S21 Richtung Hamburg. Innerhalb weniger Minuten ziehen statt Bäumen und Wiesen Hochhäuser und Straßen an mir vorbei. Es wird wieder lauter und grauer. Aber das Gefühl bleibt. Das Gefühl ein paar Antworten für mich gefunden zu haben und zu wissen, dass es draußen ein großes schwarzes Pferd gibt, vor dem ich keine Angst mehr haben muss.