"Die AfD ist hier in Thüringen mit einem Faschisten angetreten, der das auch klar und deutlich in diesem Wahlkampf immer wieder benannt hat", sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock nach der Veröffentlichung der Thüringer Wahlergebnisse 2019 in Berlin. Ihre Parteikollegin Anja Siegesmund wählte im Interview mit dem MDR ähnliche Worte: "Es schmerzt mich zu sehen, dass die AfD mit einem Faschisten an der Spitze so großen Zuspruch in Thüringen erfahren hat."

Seit Ende September 2019 darf man Björn Höcke offiziell einen Faschisten nennen. So urteilte das Amtsgericht Meiningen, nachdem die Stadtverwaltung Eisenach eine Demonstration "gegen die rassistische AfD, insbesondere gegen den Faschisten Höcke" verbieten wollte. Die Initiator*innen des Protests konnten vor Gericht ihre Anschuldigung gegen Höcke belegen, dadurch sei das Werturteil zulässig, so das Gericht. Dafür legten sie Zitate aus einem von Höckes Büchern und Pressemeldungen vor. Darin wird unter anderem der Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland als "katastrophale Niederlage von 1945" bezeichnet und vor einem "bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch" gewarnt.

Faschist*innen in der deutschen Politik

"Er hat diesen Erfolg mit möglich gemacht", rechtfertigt Stefan Möller Björn Höckes Positionen im Interview mit Deutschlandfunk und lehnt das Angebot von Redakteurin Sarah Zerback ab, sich vom Spitzenkandidaten seiner Partei zu distanzieren.  Vor der Landtagswahl in Thüringen hatte es Befürchtungen gegeben, Höckes rechte Gesinnung könnte das Wahlergebnis negativ beeinflussen. "Offenkundig gab es für die Partei keinen negativen Höcke-Effekt", analysiert Soziologe Matthias Quent in der Süddeutschen Zeitung. Auf die Frage, ob alle Höcke-Wähler*innen Faschist*innen seien, entgegnet Quent: "Nicht alle sind Faschisten, aber es waren auch nicht alle Wählerinnen und Wähler der NSDAP faschistisch ideologisiert. Knapp 24 Prozent haben in Thüringen rechtsradikal gewählt, und das auch wissentlich."

Faschismus erkennen

Faschismus ist ein Begriff, der zwei zentrale Funktionen hat. Zum einen ist er ein analytischer, wissenschaftlicher Begriff, zum anderen ein "politischer Kampfbegriff", wie die Historikerin Sybille Steinbacher im Gespräch mit Deutschlandfunk erklärt. Ziel des Faschismus, der in seiner modernen Form auf den italienischen Diktator Benito Mussolini zurückgeht, sei es, eine "Einheit von Führer und Volk" zu bilden. Diese Einheit solle eine kollektive Identität suggerieren. Im Zentrum stehe eine Gemeinschaft, die nach innen Wärme schenke und vor Eindringlingen von außen geschützt werden müsse, so Steinbacher weiter. Als Kernelemente faschistischer Bewegungen nennt die Historikerin anti-liberale, anti-individualistische, anti-marxistische Einstellungen, die mit einem Totalitätsanspruch und extremen Nationalismus gepaart würden. Der Historiker Christof Dipper fügt ein weiteres Merkmal hinzu: "Faschismus ist Praxis. Und diese Praxis des Faschismus heißt Gewalt."

Faschismus ist Praxis. Und diese Praxis des Faschismus heißt Gewalt.
Christof Dipper

Manche Wissenschaftler*innen sehen Faschismus als historisch begrenztes Phänomen, das nur Anfang des 20. Jahrhunderts auftrat und sich im Nationalsozialismus in einer weiterentwickelten Form etablierte. Andere Historiker*innen widersprechen. Sie sehen im Faschismus vielmehr ein "eigenständiges politisches Phänomen", das es heute gibt.

Wie unterscheidet sich Faschismus von Rechtsextremismus?

Rechtsextremismus ergänzt die faschistische Ideologie um weitere menschenfeindliche Dimensionen: Rassismus und Antisemitismus. Er steht in enger Tradition mit dem Nationalsozialismus. Die Nazis orientierten sich an Mussolinis Lehren, strebten aber darüber hinaus die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung an. Im italienischen und im britischen Faschismus spielten diese völkischen Rassentheorien und Antisemitismus keine zentrale Rolle, auch wenn Mussolini sich im Zweiten Weltkrieg mit Hitler verbündete. Wer also wie Höcke gegen Geflüchtete hetzt, Holocaustleugner*innen verteidigt, das Judentum als Gegensatz zum Christentum bezeichnet und von einem "Mahnmal der Schande" spricht, ist mindestens ein Faschist, vielmehr aber ein Rechtsextremer.

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