Oh, diese verkommenen jungen Leute! Schmeißen nicht enthusiasmiert alles hin, um nach Cottbus ziehen, wollen keine 18 Stunden täglich schuften, hocken im Homeoffice und nuscheln was von Work-Life-Balance in ihren hausgemachten Coldbrew-Kaffee, während die preußische Arbeitsmoral auf der Europaletten-Couch in den letzten Zügen liegt. Verständlich, dass einem gestandenen Arbeitstier und Headhunter da die Manschetten schwellen.

Wo kämen wir auch hin, wenn Menschen auf dieser Welt tatsächlich für Arbeit und Aufwand angemessen entlohnt würden und ein eigenes Leben abseits von Büro und Co. führen wollten? Wenn Unternehmen mit befristeten Verträge und verkrusteten Strukturen niemanden mehr locken könnten, obwohl es doch Firmensport und freitags immer Freibier gibt?

Arbeitsmoral im Arsch?

In einem Interview mit der SZ hat der Headhunter Klaus Hansen unlängst seinem Unmut Luft gemacht. "Die sind ja nicht mal mehr bereit, von Hamburg nach Frankfurt am Main zu ziehen. Geschweige denn nach Cottbus oder Aachen", sagt er über Nachwuchsführungskräfte. Weiterbildung wäre den Generationen Y und Z nicht mehr wichtig genug: "Die Arbeitnehmer, die in den 1980er Jahren und später geboren sind, leben nicht, um zu arbeiten. Sie wollen das Leben genießen", sagte Hansen.

Das Leben genießen – wie kann man nur. Blanke Unverfrorenheit.

Außerdem wollen diese jungen Leute auch noch vernünftige Bezahlung und sich trotzdem nicht ins Burn-out ackern: "Für uns ist das ein Problem. In Firmen wie einer Unternehmensberatung hört man nicht auf zu arbeiten, wenn es dunkel wird." Tja, vielleicht ist genau das Teil des Problems. Hier prallen eindeutig Welten und Zeiten aufeinander. Alte Arbeitsmoral versus modernes Arbeiten.

Die Welt verändert sich

Ich kenne junge Menschen, die regelmäßig heulend zu Hause sitzen, weil ihr Job selbst mit Überstunden und größter Willenskraft schlicht unmachbar ist und Vorgesetzte, die sich heimlich wünschen, dass der Laden an die Wand fährt, weil es so nicht weitergehen kann. Der Druck auf die mittleren und unteren Ränge steigt – nur, damit weiter oben jemand die richtige Zahl ins entsprechende Feld der Excel-Tabelle eintragen kann. Wachstum, Baby!

Es gibt etliche junge Leute, die sich seit Jahren von Befristung zu Befristung, von Projekt zu Projekt hangeln und mit über 30 noch bei ihren Eltern oder in WGs wohnen, weil die Miete für eine eigene Wohnung in Großstädten nicht mehr bezahlbar ist. Menschen, die mit Ende 20 Angst vor dem Rentenalter haben und schlicht nicht wissen, wovon sie dann leben werden. Die für Studium oder Ausbildung teilweise mehrfach umgezogen sind und nicht mehr genug Kraft aufbringen, noch mal von vorn anzufangen. Die alles richtig gemacht, fleißig gelernt, brav studiert, wacker gejobbt und im Gegensatz zu den Generationen vor ihnen trotzdem keine allzu stabilen Aussichten haben.

Ihre andere Herangehensweise an Arbeit und Leben ist keine Frage der Arbeitsmoral. Sie ist das Ergebnis von Erfahrungen.

"Morgen könnte alles zusammenbrechen"

Laut der Studie Deloitte Global Millennial Survey 2019 denken die sogenannten Millennials und die Generation Z pessimistisch und mit Unbehagen an Karriere, Leben und die gesamte Welt um sie herum.

Eine Befragte wird in dem Bericht mit folgenden Worten zitiert: "Wir haben weniger Vertrauen in Arbeitgeber, weil so viele unserer Eltern ihre Jobs verloren haben, obwohl sie den Unternehmen gegenüber loyal gewesen sind. Wir haben weniger Vertrauen in die Aktienmärkte, weil sie abgestürzt sind. Und ich glaube, viele von uns sind besorgt, dass das noch mal passieren könnte. Also verschieben wir wichtige Lebensmomente und lassen das Geld auf dem Sparkonto – oder wir sagen: Wisst ihr was? Morgen könnte wieder alles zusammenbrechen. Lasst uns um die Welt reisen."

Millennials sind laut Deloitte-Bericht nicht nur desillusioniert, sondern unsicher und unzufrieden mit vielen Aspekten ihres Lebens; sie misstrauen Unternehmen, Medien und Institutionen. Stattdessen sind für sie Erlebnisse und Unterstützung für ihre Community wichtiger. Außerdem legen sie Wert auf Authentizität, nachhaltige Geschäftspraktiken und Werte, die mit ihren eigenen in Einklang stehen.

Und unter anderem deshalb können Firmen mit Überstunden in Aachen niemanden mehr für sich gewinnen.

Stabilität und Seelenheil statt Statussymbole

Heute wagen es junge Leute, den Großteil ihres Selbstwerts nicht mehr aus dem Job zu beziehen und wenn, dann aus einem, der das ansatzweise rechtfertigt. Statussymbole wie Firmenwagen und Vielfliegermeilen sind viel weniger reizvoll als Stabilität und eine gute Unternehmenskultur, in der vernünftig und umsichtig gefördert wird.

Bestätigung durch Überstunden hat keine Chance gegen kostbare Zeit mit Freund*innen und Familie.

Seelische Gesundheit zählt, genau wie Verantwortung für unseren ausgebeuteten Planeten. In einer Welt, in der sich Arbeit so massiv, schnell und unumkehrbar wandelt, in der weniges, was jahrzehntelang als gegeben galt, noch Wirkung hat, in der Generationenverträge platzen; in einer Welt, in der unser aller Lebensgrundlage durch die Klimakrise massiv gefährdet ist und niemand wirklich sagen kann, wie sehr, funktioniert das althergebrachte "Och, mache ich, wenn ich in Rente bin, jetzt erst mal Geld verdienen" schlicht nicht mehr.

Anders gesagt: Wenn nichts mehr sicher ist, auch das Später nicht, wird die Gestaltung des Jetzt enorm wichtig. Die jungen Leute wollen arbeiten – aber zu anständigen Bedingungen. Sie haben eine astreine Arbeitsmoral, sie sieht nur anders aus als früher. Die Mär von unbegrenztem Wachstum und dem 24-Stunden-Job als Statussymbol neigt sich dem Ende zu. Momos Graue Herren von der Zeitsparkasse können Zigarren und Aktenkoffer einpacken. Your capitalism is broken. Es wird Zeit für mehr Menschlichkeit, auch im Job. Und das ist gut so.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels stand, dass der Interviewte Unternehmensberater sei. Er ist jedoch Headhunter.