Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Deutschlandfunk Kultur

"Dieser Tag war für mich die Hölle" – Edward John betreibt ein Internetcafé in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone. Das Land an der westafrikanischen Küste wurde im Frühjahr 2018 für einen Tag komplett vom Internet abgeschnitten. Ebenso wie fünf andere Staaten in der Region. Von einen auf den anderen Moment ging nichts mehr.

Das Geld, das Edward John in seinem Internetcafé einnimmt, gibt er am selben Tag wieder aus. Er muss seine Familie ernähren. Deswegen lautet die Rechnung: kein Internet, kein Essen. Für Edward John war es nicht leicht, am Abend seiner Familie klar zu machen, dass er mit leeren Händen heimgekehrt war. Seine Regierung lieferte erst Tage später einer Erklärung. Mit den zeitgleich stattfindenden Wahlen aber sollte das alles offiziell nichts zu tun gehabt haben.

Kein Internet, keine Spaghetti

Sierra Leone zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Das Land ist längst nicht so abhängig vom Internet wie Deutschland, nur drei Prozent der Bevölkerung sind am Netz. Bei uns aber scheint das gesamte öffentliche Leben vom Datenverkehr abzuhängen. Selbst für Menschen im Allgäu oder in Vorpommern, die bis heute keinen Zugang zu einem Breitbandanschluss haben.

Denken wir alleine an die Logistik der Supermärkte – auch die wird natürlich über das Internet gesteuert. Das alles passiert just-in-time, keiner lagert mehr seine Spaghetti und Marmeladen, viel zu teuer. Kurzum, ohne Internet gelangen diese Güter nicht ohne Weiteres von A nach B.

Ich habe mit Katastrophenschützern und IT-Fachleuten verschiedener Regierungen über die möglichen Auswirkungen solch einer Katastrophe gesprochen.

Das Internet ist verwundbar

Zunächst aber: Wie ist das Internet überhaupt aufgebaut? Professor Mathias Wählisch von der Freien Universität Berlin leitet dort die Arbeitsgruppe für Internettechnologie. Er sagt: "Das Internet ist relativ stark verwundbar". Das ganze System ist ziemlich engmaschig aufgebaut. Ein Netzwerk eben, mit vielen, vielen Knotenpunkten. Schicken wir eine E-Mail ab, dann fragt unser Datenpaket bei sämtlichen dieser Punkte an, ob diese so nett wären, es weiterzuleiten. Fallen drei Knotenpunkte aus, die üblicherweise funktioniert hätten, ist der Vierte in der Lage zu helfen. So geht es weiter, bis mein Datenpaket am Ziel angekommen ist. Mathias Wählisch meint, wenn mehrere dieser Punkte auf einmal attackiert werden, ist es technisch möglich, dass ganze Städte abgehängt werden.

Der Katastrophenschutz ist eingeschaltet

Bonn. Zwischen einer Schnellstraße und einer Reihenhaussiedlung mit Tempo-30-Limit sitzt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Wolfram Geier ist leitender Regierungsdirektor und sein Job ist es, sich gemeinsam mit seinen Kolleg*innen zu überlegen, was für Szenarien auf Deutschland zukommen könnten. Wären wir von Kiel bis Konstanz, von Düsseldorf bis Dresden offline, sähe das vermutlich so aus: "Wir hätten die großen Probleme im wirtschaftlichen Bereich. Für viele Unternehmen wäre dann erstmal das Arbeiten so nicht mehr möglich. Viele Finanztransaktionen wären nicht mehr möglich. Banken wären ganz massiv in ihrem Geschäftsablauf betroffen."

Trinkwasser in Gefahr

Besonders hart könnte es auch uns treffen, eine Generation, die keinen Plan mehr von einer Welt ohne Internet hat. Wolfgang Geier spricht von einer "verlorenen Generation". Vermutlich hat er recht, denn die meisten werden schon sauer, wenn nur die E-Mails für eine Stunde streiken. "Wenn es jetzt tatsächlich zu einem langen, flächendeckenden Ausfall käme, hätte das so viele Wechselwirkungen in hochkomplexen, sehr sicheren Gesellschaften, auf die die Öffentlichkeit, der Bürger eben nicht eingestellt ist. Das führt dann dazu, dass möglicherweise eine Katastrophe überhaupt erst entsteht, weil eben die Bevölkerung mit so einer Situation nicht umgehen kann."

Also: Ruhe bewahren und nicht in Panik ausbrechen! Wir können eh nichts bei Instagram verpassen, weil sowieso alle offline sind. Allerdings ist ein Fakt vielleicht doch beunruhigend: Die Trinkwasserversorgung hängt am Internet! Genauer gesagt die Kontrollmechanismen, die das Wasser auf Schadstoffe untersuchen sollen. In den Leitwarten säßen, so Wolfram Geier, kaum noch ein Mensch. Auch, wenn noch Wasser aus der Wand käme, bei einer Verunreinigung hätten wir ein großes Problem.

Es könnte also sein, dass wir in der Berufsausbildung noch ein bisschen mehr daraufsetzen müssten, auch die analogen Prozesse aus dem Effeff zu können. Trinkwasser zu kontrollieren kann ja, auch ohne Internet, nicht so schwer sein. Sag ich mal so, als Laie.

Kann, was in Sierra Leone passiert ist, auch bei uns passieren?

Wie kam es im Frühjahr 2018 in Sierra Leone zu dem Totalausfall? Könnte auch bei uns von einem auf den anderen Tag die Online-Welt einfach so weg sein? Bis heute weiß niemand, ob es ein Unfall oder Sabotage war, um die Wahlen zu beeinflussen. Fest steht: Ein Unterseekabel wurde zerstört. Diese Kabel verbinden die Kontinente. Durch sie ist es möglich, dass E-Mails aus Deutschland in Sierra Leone ankommen. Das Problem: Es gibt nur eine einzige Unterseeleitung, von der das Internet in Sierra Leone abhängt, das ACE-Kabel.

Zum Vergleich, Deutschland ist mit zehn Unterwasserleitungen verbunden und wird außerdem über den Landweg versorgt. Großbritannien hängt an knapp 50 solcher Kabel. Erst kürzlich hat das britische Militär bekannt gegeben, dass es sich noch intensiver um deren Schutz kümmern will. Ein erfolgreicher Angriff durch andere Staaten würde das Leben auf der Insel massiv einschränken. Die Verwundbarkeit der Kabel ist groß. Auch ohne böse Absichten. Meistens sind es Schiffe, manchmal sind es Haie, die für Zerstörungen sorgen.

Also: Deutschlands Online-Infrastruktur ist so gut aufgestellt, dass wir durch ein paar defekte Unterseeverbindungen nicht offline gehen werden.

Atombombensicher: unser Internet!

Moment, was? Wir werden nicht offline gehen? Beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gibt es keine Pläne für einen flächendeckenden Totalausfall des Internets hierzulande, weil dieser absolut unwahrscheinlich ist. Dass eine einzelne Regionen mal offline sind, kann passieren und ist schon passiert. Aber die Katastrophe bleibt wahrscheinlich aus. Oder anders gesagt: Sollte sie doch kommen, wäre ein fehlendes Internet unser aller, aller, aller geringstes Problemchen.

Scott Borg arbeitet für die United States Cyber Consequences Unit, eine Non-Profit-Organisation. Früher arbeitete der Think-Tank exklusiv für die US-Regierung. Heute werden Borg und sein Team nach eigener Angabe von der Nato und den Regierungen, aus beispielsweise Deutschland und Großbritannien, angerufen. In den Gesprächen wollen die Leute manchmal von dem Expert*innen wissen, wie man das Internet zur Strecke bringen könnte. Laut Borg gäbe es drei Wege:

  1. Über die Software: Einhacken in Server und Router
  2. Über die Hardware: Angriff mit Bomben und Granaten auf die Infrastruktur
  3. Über die Stromversorgung

Scott Borg meint, wir müssen uns bei zwei von drei Punkten keine Sorge machen:

  1. Ein Angriff auf die Software würde für mehrere Stunden das Internet lahmlegen können, aber die Softwarehersteller könnten rasch ein neues Programm aufspielen und alles wäre wie vorher. Für die großen Systeme gibt es natürlich auch große Back-ups.
  2. Das Internet ist dezentral angelegt. Es physikalisch anzugreifen, kann einzig lokale Auswirkungen haben. Wenn man eine Komponente des Internets herausnimmt, leitet es all den Verkehr automatisch um. Selbst ein Atomangriff könne dem Internet insgesamt nichts anhaben.
  3. Wenn man die Elektrizität für längere Zeit, vielleicht einen Monat, ausstellt, dann ist ein fehlendes Internet unser allerletztes Problem. Dann geht nämlich gar nichts mehr. Das wäre die echte Katastrophe.

Ende gut, alles gut?

Die schlechte Nachricht ist: Sollte das Internet für längere Zeit offline gehen, wäre das verheerend. Die gute Nachricht: Das passiert wahrscheinlich nicht. Hoffentlich. Unsere Gesellschaft ist auf Datenströmen gebaut und ziemlich kluge Köpfe haben sich ein ziemlich komplexes System ausgedacht, das sich offenbar nicht so einfach zerstören lässt. Zumindest in der westlichen Welt.

Edward John, der Betreiber des Internetcafés in Freetown, ist sich sicher, dass sein Land auf den nächsten Crash genauso wenig vorbereitet ist, wie auf den letzten.

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