Seit einigen Wochen kommt es auf den Straßen Israels beinahe täglich zu tödlichen Angriffen. Palästinenser attackieren Passanten und Soldaten mit Messern und Schraubenziehern und werden daraufhin häufig von israelischen Sicherheitskräften erschossen.

Wir zeigen in unserer Timeline den Verlauf dieser neuen Welle der Gewalt und beantworten außerdem fünf Fragen zur aktuellen Situation:

Was war der Ursprung der neuen Gewalttaten?

Der Nahost-Konflikt schwelt seit der Gründung des Staates Israels 1948 und bricht immer wieder aus. Der jüngste Ausbruch begann mit der Entführung von drei israelischen Teenagern im Juni 2014 nahe Hebron im Süden des Westjordanlands. Um die drei zu finden, durchsucht die israelische Armee über 800 palästinensischer Häuser. Bei den Durchsuchungen kommt es zu Zusammenstößen mit jungen Palästinensern. Vier Palästinenser werden in dieser Zeit von israelischen Soldaten erschossen.

Knapp einen Monat später werden die Leichen der jungen Israelis nahe Hebron gefunden. Daraufhin ziehen israelische Siedler durch Jerusalem und greifen Palästinenser an. Die Entführer der Jugendlichen werden Ende September bei einem Schusswechsel mit israelischen Soldaten erschossen. Einen Tag nach der Beerdigung der jungen Israelis wird am 2. Juli 2014 ein 16-jähriger Palästinenser aus dem palästinensischen Ost-Jerusalem entführt. Noch am gleichen Tag findet die israelische Polizei den verkohlten Leichnam des Jungen. Drei Verdächtige werden kurz darauf verhaftet und gestehen die Tat.

Nach den Morden nimmt die Gewalt im Juli 2014 zu:

Welche Rolle spielt der Tempelberg in dem Konflikt?

Eine Ursache für die jüngste Welle der Gewalt ist der Streit um den Tempelberg. Nationalreligiöse Israelis wollen mehr religiöse Rechte an ihrem heiligsten Ort, die Palästinenser wollen keine Änderung des Status Quo auf dem Tempelberg.

Im Oktober 2014 fordert die nationalreligiösen Partei "Jewish Home", dass Juden auf dem Tempelberg beten dürfen. Mit Jordanien gibt es seit Jahrzehnten die Einigung, dass Juden den Tempelberg zwar betreten, aber Gebete und religiöse Handlungen unterlassen müssen. Kurz darauf wird ein Rabbiner bei einer Konferenz in Jerusalem angeschossen, der sich ebenfalls dafür einsetzt, dass Juden auf dem Tempelberg beten dürfen. Nach dem Anschlag sperrt Israel den Tempelberg für Juden und Muslime, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ruft daraufhin für den kommenden Tag einen "Tag des Zorns" aus. An diesem Tag bleibt es aber weitgehend ruhig.

Gibt es eine neue Intifada?

Die Gewalt geht anschließend trotzdem weiter. Als am 19. November 2014 die israelische Armee ein Haus in Ost-Jerusalem zerstört, dass der Familie eines Attentäters gehört, gehen Palästinenser auf die Straßen und rufen: "Die Intifada hat begonnen."

Bei dem ersten Aufstand der Palästinenser gegen Israel Ende der 1980er Jahre – der sogenannten ersten Intifada – waren Steine und Molotow-Cocktails das Mittel der Wahl. Junge Palästinenser gingen auf die Straßen, schleuderte Steine und Sprengsätze gegen israelische Soldaten und Panzer. Bei der zweiten Intifada kurz nach der Jahrtausendwende schnallten sich palästinensische Selbstmordattentäter Sprengsätze um und rissen in Bussen und Restaurants in israelischen Städten hunderte Menschen in den Tod.

Die dritte Intifada wurde schon oft ausgerufen, im Sommer 2014 und auch im Oktober 2015 ist von einer Intifada die Rede. Doch so blutig wie der zweite Aufstand der Palästinenser Anfang der Nullerjahre wurde der Nahost-Konflikt in Israel und im Westjordanland bisher nicht mehr. Die Angst aber bleibt, ebenso wie die Gewalt. Zwischen Juni 2014 und August 2015 sterben dabei nach UN-Angaben 46 Palästinenser beziehungsweise israelische Araber und 16 jüdisch-israelische Zivilisten.

Was ist in den vergangenen Wochen passiert?

Am Vorabend des jüdischen Neujahrsfests, am 14. September 2015, kommt es zu Ausschreitungen auf dem Tempelberg. Palästinensische Jugendliche verschanzen sich in der Al-Aqsa-Moschee und liefern sich eine Schlacht mit israelischen Soldaten. Angeblich wollten die Soldaten verhindern, dass jüdische Besucher auf dem Tempelberg gestört werden.

Kurz darauf beginnen die spontanen, beinahe täglichen Attacken auf israelischen Straßen. Mit Messern oder Schraubenziehern stechen die Angreifer auf ihre Opfer ein. Viele der Angreifer sind noch Teenager, der jüngste erst 13 Jahre alt. Und die meisten Angreifer werden von israelischen Polizisten, Soldaten oder auch Zivilisten erschossen. Menschenrechtsorganisation werfen Israel daher vor, lieber zu töten, statt zu verhaften.

Bei einigen mutmaßlichen Angreifern kann hinterher nicht festgestellt werden, ob sie wirklich eine Gefahr waren. Oder auch, ob sie überhaupt jemanden angreifen wollten. Am 23. September 2015 wird in Hebron eine 18-jährige Palästinenserin von einem israelischen Soldaten erschossen. Sie soll gegenüber den Soldaten ein Messer gezogen haben. Augenzeugen bestreiten das. Drei Wochen später erschießt ein israelischer Siedler in der Altstadt von Hebron einen 18-jährigen Palästinenser. Videoaufnahmen sollen zeigen, dass erst nachträglich ein Messer neben den Getöteten gelegt wurde.

Die palästinensischen Angriffe erhöhen das Misstrauen gegenüber Palästinenser. In Haifa sticht ein Israeli auf einen anderen Israeli ein, den er angeblich für einen israelischen Araber gehalten hatte. Einige israelische Schulen kündigen israelisch-arabischen Mitarbeitern, weil sie um die Sicherheit der Schüler fürchten. Im Süden Israels wird bei einem Attentat durch einen israelischen Araber nicht nur der Angreifer erschossen. Ein Sicherheitsmann schießt auch auf einen Eritreer, den er angeblich für einen weiteren Angreifer hält. Der schwer verletzte Mann wird anschließend von Anwesenden getreten und beschimpft und stirbt kurz darauf.

Wie geht es weiter?

Israelische und palästinensische Politiker tun nicht viel, um die Situation zu entschärfen. Mahmoud Abbas sagte vor der UN-Vollversammlung in New York, er fühle sich nicht mehr an das Friedensabkommen von Oslo gebunden, "so lange Israel die Einigung ständig verletzt". Israels Präsident Benjamin Netanjahu sagte bei einer Rede vor dem Zionistischen Weltkongress in Jerusalem, der Jerusalemer Mufti habe Adolf Hitler dazu motiviert, die Juden zu töten, statt sie nur zu vertreiben. Damit gab er den damaligen Palästinensern die Schuld am Holocaust.

Eine Lösung ist nicht in Sicht. Benjamin Netanjahu beteuert zwar, dass sich am Status Quo des Tempelbergs nichts ändern soll. Diese Beteuerungen bekämpfen aber die eigentlichen Ursachen der Aggressionen nicht:

  • Frust der Muslime darüber, dass Israel trotz aller Beteuerungen die Macht hätte, den Status Quo des Tempelbergs zu ändern.
  • Die israelische Siedlungspolitik, die immer mehr palästinensisches Land bebauen lässt.
  • Die israelische Mauer, die palästinensische Dörfer von ihrem Land und einzelne palästinensische Häuser von ihren Dörfern abschneidet.
  • Der Umgang mit straffällig gewordenen Israelis und Palästinensern. So werden zum Beispiel die Häuser der Familien von Attentätern regelmäßig zerstört. So sollen mögliche weitere Attentäter abgeschreckt werden. Die Häuser israelischer Attentäter und ihrer Familien werden nicht zerstört.
  • Der anscheinend unterschiedliche Wert palästinensischen und israelischen Lebens: Palästinensische Attentäter werden häufig erschossen, israelische Angreifer werden verhaftet.