Dorothea*, Michaela und Sabine* haben alle drei in verantwortungsvollen Positionen gearbeitet, teils tun sie das heute noch. Alle drei haben oder hatten eine psychische Erkrankung und haben das am Arbeitsplatz kommuniziert. Ihre Vorgesetzten und Kolleg*innen haben unterschiedlich reagiert, positiv oder negativ. Bei manchen führte das zu einem Jobwechsel. Michaela bietet heute Resilienztraining und Workshops für Privatpersonen und Unternehmen an, um aufzuklären und anderen zu helfen.

Was wünschen sich die drei Frauen am Arbeitsplatz im Umgang mit dem Thema psychische Gesundheit? Was lief ihrer Erfahrung nach gut, was lief nicht gut? Im Gespräch haben sie es uns erzählt.

Dorothea* lebt mit Depression:

Bei Kolleg*innen wird eine psychische Erkrankung oft als Übertreibung empfunden, als Möglichkeit, verhätschelt zu werden. Klassische Vorurteile also. Viele, hatte ich das Gefühl, wissen gar nicht genau, was eine Depression eigentlich ist. Dabei ist es eine so verbreitete psychische Erkrankung. Etwa jeder fünfte Mensch bekommt sie einmal im Leben. Ich war bei einem großen Unternehmen, bei dem ich im März kündigte, wir hatten nur eine Handvoll Fälle. Die Dunkelziffer ist also vermutlich dementsprechend hoch.

Es sollte jemand Externes in Firmen kommen und ganz generell zu psychischen Erkrankungen schulen, vor allem die Führungskräfte. Wir hatten damals Fortbildungen zu allen möglichen Themen, aber psychische Erkrankungen, hieß es dann immer, seien Privatsache. Damit müsse jede*r selbst klarkommen. Aber die Vorurteile gibt es auch im beruflichen Umfeld, Menschen werden dementsprechend behandelt.

Der Umgang miteinander sollte so normal werden wie etwa bei einem Beinbruch. Da fragt man ja auch ohne Scheu: 'Wie geht es deinem Bein?'

Mir selbst gegenüber haben Kolleg*innen sich nicht abfällig geäußert, aber ich habe es bei anderen mitbekommen, die bei uns Depressionen hatten. Dann hieß es: "Jetzt stellt der sich wieder an und macht einen auf Psyche" – während ich direkt daneben stand. Das ist menschenunwürdig, ich wünsche mir mehr Sensibilisierung. Und statt übereinander zu reden, kann man auch miteinander reden und den*die Kolleg*in direkt ansprechen. Man kann ja auch sagen: "Mir fehlen gerade irgendwie die Worte, ich hatte bisher noch keine Berührung dazu. Darf ich dich mal was fragen? Wenn es dir zu nah geht, sag mir das einfach, dann ist das auch okay." Der Umgang miteinander sollte so normal werden wie etwa bei einem Beinbruch, da fragt man ja auch ohne Scheu: "Wie geht es deinem Bein?" Eine Gleichheit zwischen psychischen und physischen Sachen, das wäre schön.

Was auch gut wäre: Wenn Vorgesetzte auf spezielle Bedürfnisse besser eingehen, oder sich die zumindest anhören. Bei meinem früheren Chef war immer klar: Wenn dir etwas nicht passt, dann musst du halt gehen. Ich hatte damals zum Beispiel angefragt, ob ich ein Einzelbüro haben könnte. Ich teilte mir meins mit einer Kollegin, die hatte autistische Züge und sehnte sich auch sehr nach Ruhe. Unser Chef hielt das für Quatsch. Wir haben uns dann untereinander abgestimmt, dass zum Beispiel immer nur eine telefoniert. Das hat nur deshalb funktioniert, weil wir beide die gleichen Bedürfnisse hatten.

Michaela hatte ein Burn-out:

Mein Einstieg in die Erkrankung war das, was man klassischerweise ein Burn-out nennt. Ich war einige Zeit lang in einer massiven Überlastungssituation und hatte einen Zusammenbruch in Etappen. Meinen persönlichen Nullpunkt hatte ich als Leiterin einer Einrichtung für schwer mehrfachbehinderte Erwachsene. Bei einem Krisenauftrag bin ich zusammengeklappt. Nach zwei oder drei Wochen bin ich wiedergekommen, da war allen klar, ich war "überarbeitet". Ich habe dann gesagt, dass ich die leitende Position nicht weiter übernehmen kann. Es gab aber keine Alternative, weder für meine Nachfolge noch für mich, und dann musste ich eben weitermachen, mit völlig entgrenzten Arbeitszeiten und anderen Belastungsfaktoren. Danach kam der finale Zusammenbruch.

Ich war drei Monate lang krankgeschrieben und habe aus der Krankschreibung heraus gekündigt. Ich wusste, ich kann so nicht weitermachen. Damals habe ich das gar nicht so sehr als Erfahrung mit der psychischen Erkrankung gesehen, weil die Überlastung so objektiv und massiv war. In all den Jahren im sozialen Bereich habe ich viele umkippen sehen. Ich war nicht die Erste, ich war nicht die Letzte. In dem Bereich herrschen Arbeitsbedingungen, die nicht gesund sind. Für viele ist es unheimlich schwer, das mit Herzblut zu machen, ohne auf Dauer Schaden zu nehmen. Das muss sich ändern.

In all den Jahren im sozialen Bereich habe ich viele umkippen sehen. Ich war nicht die Erste, ich war nicht die Letzte.

Ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um wieder zu mir zu kommen und mich beruflich neu zu orientieren. Ich habe einen Teilzeitjob im Bildungsbereich angenommen, hatte aber mit wiederkehrenden Depressionen zu tun und war immer wieder krankgeschrieben. Am Arbeitsplatz war es nach längerer Abwesenheit ein offenes Geheimnis, dass ich eine psychische Erkrankung habe. Unter Kolleg*innen haben wir lange nicht wirklich drüber gesprochen, das war für mich auch nie nötig. Mein Team hat akzeptiert, dass ich das Thema nicht explizit anspreche.

Bei meinem Vorgesetzten war das anders, ich wollte irgendwann keinen Hehl mehr aus der Sache machen. Das ist sehr offen angenommen worden. Ich hatte das Gefühl, ich bin immer noch die Michaela, die gute Arbeit macht, die als Kollegin und Mitarbeiterin geschätzt wird. Ich hatte nicht das Gefühl, dass man mir nichts mehr zutraut. Die Grenzen, die ich steckte, wurden trotzdem respektiert. Dieses Aufrechterhalten einer gewissen Normalität habe ich als sehr hilfreich empfunden. Das sind ja so Ängste, die viele haben, und die leider oft berechtigt sind. Deswegen würde ich auch niemals sagen: "Macht das so, alle finden das großartig." Aber es ist schön, sagen zu können, dass es bei mir so war.

Es braucht eine Unternehmenskultur, in der man Menschen sieht, keine Maschinen. Wir werden krank und haben Krisen.

Heute geht es mir wieder gut. Wenn mich jemand fragt, was ich mir generell am Arbeitsplatz wünsche, sind das eigentlich ganz normale Aspekte einer guten Mitarbeiter*innenführung. Die schaffen die Basis für das Lösen schwierige Situationen – egal, welcher Art, da ist die psychische Erkrankung ja nur ein Beispiel. Es braucht eine Unternehmenskultur, in der man Menschen sieht, keine Maschinen. Klar, wir haben am Arbeitsplatz alle eine Funktion, eine Rolle, sind aber trotzdem ganzheitliche Menschen: Wir werden krank, haben Krisen und keine lineare Leistungskurve. Oft denkt man, wenn man alle gleich behandelt, ist das gerecht. Aber nicht jeder braucht zu jedem Zeitpunkt das Gleiche. Die Unterteilung in "krank" und "gesund" ist an sich schon schwierig, denn was ist das schon? Workaholics sind nicht gesund. Leute, die chronisch Rückenschmerzen haben, sind nicht gesund. Es gibt so vieles, was nicht gesund ist.

Sabine* hat eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung:

Wenn man sich als psychisch krank outet, wird man infrage gestellt und nicht mehr ernst genommen. Selbst von Leuten, die es gut mit dir meinen. Das ist meine Erfahrung. Allerdings hatte ich das nicht erwartet. Ich bin sehr kompetent und nicht hilflos. Das wurde mir mit dem Outing plötzlich abgesprochen. Ich habe eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und eine sekundäre strukturelle Dissoziation. Das bedeutet: Ich fühle mich uneinheitlich, innerlich zersplittert. Ich fühle und wirke manchmal sehr unterschiedlich. In der Regel sortiere ich mich innerlich und kontrolliere, was ich nach außen zeigen kann. Die Angst vor Ablehnung ist sehr groß. Ich vergleiche das immer mit einem Haus: Du hast ein Haus, zu jedem Zimmer kannst du die Tür öffnen und weißt, wie es innen aussieht. In meinem Haus gibt es Türen, die sind zu. Und es gibt Zimmer, die ich nicht kenne.

Normalerweise bin ich sehr souverän und kenne die meisten Räume meines Hauses. Aber wenn ich getriggert werde, gibt es manchmal nur noch einen Raum. Wenn es mir sehr schlecht geht, ist der Raum schwarz, ohne Tür, ohne Boden, ohne Fenster, nackte Angst. Dieser Zustand ist erst mal ohne Wahl. Eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung hat viele Komponenten. Eine davon bedeutet, dass du existenzielle Angst vor anderen Menschen und nahen Beziehungen hast. Gleichzeitig wünschst du dir nichts mehr als Nähe und Geborgenheit. Eine Gemeinschaft, die sich wie eine Familie anfühlt, ein Gefühl der Zugehörigkeit, welches du nie hattest.

Es hilft mir sehr, wenn jemand Fragen stellt: 'Was hättest du in der Situation gebraucht? Was hätte dir geholfen?'

Am Ende habe ich am Arbeitsplatz Wünsche, die alle fühlenden Menschen haben – ich bin bloß stärker davon abhängig: Verständnis, Vertrauen, Wertschätzung, Zugewandtheit, Freundlichkeit. Es hilft mir sehr, wenn jemand Fragen stellt: "Was hättest du in der Situation gebraucht? Was hilft dir, wie kann ich dir helfen?" Vielen, gerade Vorgesetzten, ist nicht wirklich bewusst, was mir der Arbeitsalltag abverlangt. Bei meiner Erkrankung gibt es eine weitere Ebene. Sie ist körperlich und drückt sich durch permanentes Stressempfinden und eine Überwachheit in Anwesenheit anderer Menschen aus, insbesondere Arbeitskolleg*innen, Bekannten, Menschen, die mich demütigen könnten. Das gilt auch in nicht überschaubaren oder nicht kontrollierbaren Räumen. Es bedeutet eine permanente Wachsamkeit in Anwesenheit anderer Menschen. Der Körper kann nicht abschalten.

Vielleicht hilft es, sich die Situation eines*r Rollstuhlfahrer*in vorzustellen. Niemand würde sagen: "Sieh zu, wie du die Treppen hochkommst, du hattest jetzt lange genug Hilfe." Bei mir ist das so. Fast jede Bitte um Unterstützung oder Verständnis wird gewertet. Du verlangst zu viel, du bist zu anstrengend. In der Übersetzung für mich: Du bist verkehrt und du bist schuld. Und in der Regel fällt die Stigmatisierung nicht auf. Fast jede*r erwartet von mir die ihm*ihr bekannte Normalität und setzt das als Maßstab für akzeptable Verhaltensweisen oder Wahrnehmungen.

Mir wurde lange unterstellt, "Vorteile erschleichen zu wollen", ich wäre zu fordernd und solle mich nicht so anstellen. Dabei wünsche ich mir nur Unterstützung und Gleichstellung. Gleichstellung in dem Sinne, dass Nachteile, die gesunde Menschen nicht haben, ausgeglichen werden. Von Menschen ohne Beeinträchtigung wird das aber oft nicht verstanden. Das ist ein Problem. Ich habe zu spüren bekommen, dass Kolleg*innen und Vorgesetzte damit überfordert sind. Sie wollen sich nicht mit psychischen Erkrankungen oder generell mit Konflikten oder Bedürftigkeit auseinandersetzen. Das wird als Zumutung empfunden. Sie gehen einem Gespräch dann aus dem Weg. Grenzüberschreitungen durch Vorgesetzte werden – so meine Erfahrung – oft gedeckt, der*die Betroffene ist dann einfach "zu empfindlich".

Ich brauche Vorgesetzte, die mich ernst nehmen, die offen sind. Die nachfragen, anstatt zu werten.

Das muss man wissen, wenn man sich outet. Ich hatte das nicht so erwartet. Die größte Last des Umgangs damit bleibt bei dem*der Betroffenen, das ist vielen Vorgesetzten nicht klar. Ein gesunder Mensch, der auf Missstände oder Grenzüberschreitungen hinweist, hat bessere Chancen, ernst genommen und gehört zu werden. Die Konsequenz aus diesen Erfahrungen ist für mich: Ich arbeite an mir, baue Kompetenzen auf, um mit diesen Schwierigkeiten umzugehen. Ich habe die Ressourcen dafür. Mittlerweile will ich nicht mehr, dass das jemand von mir weiß, insbesondere Arbeitgeber*innen oder Kolleg*innen.

Ich habe mit meiner Erkrankung eine attestierte Schwerbehinderung und wurde deshalb am Arbeitsplatz vom Integrationsfachdienst unterstützt. Das Unternehmen hat damit eigentlich eine besondere Fürsorgepflicht. In meinem Fall wurden die Aussagen im Attest zunächst nicht akzeptiert und hinterfragt. Ich habe erlebt, dass sich die Chefin aus ihrer Fürsorgepflicht herausgeredet hat, mit Verweis auf ihre Fürsorgepflicht für alle. Ich hätte Vorgesetzte gebraucht, die mich ernst nehmen, die offen sind und nachfragen, anstatt zu werten. Vorgesetzte, die die eigenen Grenzen kennen und die Grenzen anderer respektieren. Die Fehler auch bei sich selbst sehen können. Die eine Lösung auf Augenhöhe und in Kooperation erarbeiten oder auch mit externer Hilfe wie dem Integrationsfachdienst.

Die externe Hilfe hatte eine Haken: Ich war ab sofort die Kranke.

Die externe Hilfe des Integrationsfachdienstes war für mich in der sehr hilflosen und ohnmächtigen Zeit wichtig. Sie hat zunächst geholfen, die Überforderung der Vorgesetzten zu reduzieren, zu neutralisieren und zu versachlichen. Sie war der einzige Weg, dass überhaupt eine*r meiner Vorgesetzten zugehört hat und die Bereitschaft zeigte, mir zu helfen. Das Ganze hatte trotzdem einen Haken: Ich war ab sofort die Kranke. Ich war nicht mehr die Kompetente, mir wurde weniger zugetraut. Das war für mich ein Albtraum. Das nimmt mir alles, was mir Wert gibt, wofür ich in meinem Leben gekämpft habe.

In akuten Phasen der absoluten Not und Hilflosigkeit wünsche ich mir Folgendes von Arbeitgeber*innen: Ich wünsche mir, dass Menschen in Führungspositionen aktiv Schulungen zu psychischen Erkrankungen besuchen, um überhaupt eine Krisensituation verstehen zu können. Der Integrationsfachdienst sollte nicht nur eine abstrakte Größe und die Schwellen möglichst niedrig sein. Das würde auch für Arbeitgeber*innen Sinn ergeben: 50 Prozent der Arbeitsausfälle sind durch psychische Probleme bedingt, selbst körperliche Erkrankungen sind oft darauf zurückzuführen.

Es wäre für alle ein Gewinn. Sie könnten etwas über sich und über die Grundbedürfnisse aller Menschen lernen. Letztlich geht es um Menschlichkeit, Wertschätzung, Würde, Verständnis, Offenheit, Zugewandtheit, Akzeptanz. Mit diesem Umgang gäbe es meine Erkrankung, die eine Folge menschlicher Grausamkeit ist, gar nicht.

* Namen von der Redaktion geändert