Südostasien dürfte in diesen Tagen sehr sehr deutsch sein. Thailand, so steht es in Reisemagazinen und Facebook-Gruppen, ist das coolste Ziel des Jahres. Thailand ist auch bestimmt total schön. Muss ich mich jetzt also schlecht fühlen, wenn ich gern fünf Tage Strand und All-Inclusive-Bettenburg hätte – gern auf Mallorca oder den Kanaren?

Irgendwie hat sich ein fahles Gefühl eingeschlichen. Meine Urlaubsplanung für den Rest des Jahres steht, ich finde sie gut. Südostasien ist nicht dabei, aber irgendwas mit Strand und Bettenburg kommt vielleicht im Herbst noch dazu. Ich finde meine Pläne super. Aber ist es cool genug, am Pool zu liegen und Margaritas mit dem Strohhalm zu schlürfen, statt in Chiang Mai im Silent Yoga Retreat meine Seele zu detoxen?

Eine enge Freundin fliegt im Sommer nach Thailand ("Ich komme am Flughafen an und dann schaue ich, wohin es mich zieht"); eine andere trampt gerade durch Mittelamerika, ihr letzter Instagram-Post stammte aus Panama.

Andere fahren mit einem Jeep durch Neuseeland ("Unter vier Wochen lohnt sich das doch überhaupt nicht"), mit Bussen durch Indonesien ("Ich lag vier Tage mit Durchfall und Fieber flach, aber das muss man mal gemacht haben") oder mit dem Auto die US-Westküste runter ("Man braucht nicht viel Geld – da lernt man Surfergirls und arbeitslose Schauspieler kennen, bei denen kann man dann pennen"). Und der Jakobsweg ist unfassbar uncool, wenn man auch Trekking in Bhutan machen kann ("Ich wusste gar nicht, wie schwierig das mit dem Visum ist").

Ich plane mit Spreadsheet und Links zu besonderen Tageszielen, Hotels buche ich vorher. Immer. Einen Reiseführer habe ich nicht, ich habe zwei oder drei Reiseführer und ein Geschichtsbuch. In meinem Wohnzimmer gilt das Reiseführer-Haufenprinzip. Und ich lese auch den Wikipedia-Eintrag der Region. Darf man das, wenn man sich frei fühlen will? Und darf man Thailand in diesem Jahr eigentlich auslassen?

Diese Fragen sind doch total bescheuert.

Diese Fragen stellen sich trotzdem, weil derzeit alle von Thailand reden und ich nicht mitreden kann. Ein ähnliches Phänomen gibt es ja auch mit den Sehenswürdigkeiten. In Mexiko habe ich mir viele Tage lang Ruinen angeschaut, nicht aber die von Teotihuacán. Natürlich sind das jetzt die Ruinen, nach denen mich jetzt jeder fragt. Dass ich Hunderte von Kilometern zurückgelegt habe und diverse Maya-Stätten gesehen habe, ist egal. Diese eine habe ich ja verpasst. Wende ich dann zaghaft ein, dass ja Palenque auch ziemlich beeindruckend war – "Hab ich noch nie von gehört", ist die Antwort. "Aber Teotihuacán..!"

Reisen ist etwas Individuelles. Es kann uns bilden, uns erwachsen machen, uns entspannen oder herausfordern. Wichtig ist doch: Wir nehmen uns von unserer Reise, was wir wollen. Zumindest sollte es so sein. Stattdessen hat sich ein unangenehmer Imperativ eingeschlichen: the place to be, der Ort, an dem wir jetzt sein müssen. Zehn Dinge, die du in Bangkok gemacht haben musst; zwölf Anzeichen, dass du in ein Silent Yoga Retreat fahren musst.

Und ich dachte, ich muss erstmal gar nix.

Reisen war noch nie so leicht wie heute. Aber standen vergangene Generationen eigentlich auch so unter Druck? Wir können die ganze Welt sehen und es wird auch von uns erwartet. Sonst haben wir etwas verpasst und etwas zu verpassen ist so ziemlich das Schlimmste, das meiner Generation freier junger Menschen passieren kann. Wir sind so frei, wir wissen gar nicht mehr, wo Norden und Süden ist. Aber in Südostasien, da finden wir uns selbst und wehe, wenn nicht.

Das stresst mich irgendwie. Ich denke, ich brauche Urlaub. Auf meinem Balkon.