Vor einigen Wochen führte ich eine Diskussion mit einem, sagen wir, Bekannten, zum Thema weiße Privilegien und Rassismus. Es war Alkohol im Spiel, der Typ – ein weißer, erfolgreicher Medienmacher – wurde laut. Eine seiner Aussagen ist mir besonders im Kopf geblieben, weil sie etwas in mir getroffen hat. Sinngemäß schrie er so etwas wie: "Was bildest DU dir ein, über Rassismus zu sprechen? Du bist doch selber weiß und hast selbst keine Ahnung, wie das ist."

An einer Stelle hatte er Recht: Als weiße Person werde ich nie wissen, wie sich Rassismus anfühlt. Ich werde niemals an der Clubtür scheitern, weil ich "südländisch" aussehe. Meine Bewerbungen auf schöne Wohnungen in meinem Traumkiez werden nie im Papierkorb landen, weil mein Name irgendwie "fremd" klingt. Wenn ich einen Job nicht bekomme, wird "Bitte keine Araber*innen!" mit Sicherheit nicht der Grund für die Absage sein. Und sollte ich einmal Mutter eines weißen Kindes werden, brauche ich nicht auch noch im Kreißsaal zu fürchten, dass den Ärzt*innen meine Aufenthaltsgenehmigung wichtiger ist als meine Gesundheit.

Ich bin nicht von Rassismus betroffen, ich bin privilegiert. Aber darf ich mich deshalb nicht zum Thema Rassismus positionieren? Im Gegenteil: Ich muss. Wir alle müssen. Denn wieso sollte die Bekämpfung von Rassismus ausgerechnet den Menschen aufgelastet werden, die tagtäglich davon betroffen sind?

Influencer*innen sprechen lieber über Taschen als über Rassismus

Rassifizierte Menschen haben nicht nur nach einer grausamen Tat wie in Hanau, die sie und ihre Familien ganz persönlich trifft, eigentlich Besseres zu tun, als auch noch vehemente und kostenlose Aufklärungsarbeit zu leisten. Und doch sind es auch diesmal wieder BIPoC, die unermüdlich die Solidarität der weißen Mehrheitsgesellschaft einfordern müssen: So zum Beispiel die Journalistin Helen Fares, die auf Instagram eindringlich versucht, weiße Influencer*innen wie Caro Daur davon zu überzeugen, dass es gerade Wichtigeres gibt als Videos von Luxustaschen und Catwalks. Oder die Moderatorin Wana Limar, die einflussreiche Medienschaffende in ihrem Umfeld für ihre Ignoranz im Fall Hanau und ihr fehlendes Bewusstsein für rassistische Privilegien in die Verantwortung nimmt.

Als die Autorin und Antirassismus-Aktivistin Tupoka Ogette per Instagram-Story gezielt ihre nicht-weißen Follower*innen fragt, was sie sich in diesen Zeiten wünschen, ist die Antwort simpel: Dass weiße Menschen sich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen und sich endlich an der Seite von Betroffenen dagegen positionieren. Warum aber scheint das uns Weißen so schwer zu fallen?

Das Rezept gegen unsere Angst ist so einfach

Lassen wir jetzt mal die vermutlich verlorenen Seelen außen vor, die offen und bewusst rassistisch sind, und konzentrieren uns auf die stille Mehrheit. Dann lautet die Antwort vielleicht: Angst. Die Angst, über Dinge zu sprechen, mit denen man "sich nicht so auskennt". Angst, seine Meinung zu äußern und etwas Falsches zu sagen.

Ja, diese Angst ist verständlich. Denn Rassismus ist ein komplexes Thema, über das wir in der Schule kaum bis gar nichts gelernt haben. Und man kann auch viel falsch machen – beispielsweise, indem man rassistische Wörter wie "Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit" reproduziert oder BIPoC im eigenen Umfeld als "Erklärbär*innen" ausnutzt.

Doch stellen wir die Frage mal anders: Wollen wir als Weiße unsere persönliche Unsicherheit wirklich vorschieben und mit Blick auf die fatalen Entwicklungen der vergangenen Wochen, Monate und Jahre – NSU, Chemnitz, Lübcke, Halle, Hanau – einfach den Mund halten? Sind wir wirklich so bequem, dass wir eher rassistische Strukturen und all ihre Konsequenzen akzeptieren, als ab und zu ein für uns erstmal unangenehmes Gespräch zu führen? Denken wir nur an uns oder auch an unsere nicht-weißen Freund*innen, Kolleg*innen und Mitmenschen?

Und all das, obwohl das Rezept gegen unsere Angst so einfach sein kann: Auseinandersetzung mit Rassismus.

Wir müssen uns solidarisieren – gerade wenn es unbequem wird

Gerade weil wir in jeglicher Hinsicht von rassistischen Strukturen profitieren, haben wir die Pflicht, diese – uns direkt nach der Geburt in die Wiege gelegten – Ressourcen zu nutzen. Um uns mit Betroffenen zu solidarisieren und an ihrer Seite gegen rassistische Strukturen zu kämpfen. Nicht nur bei der Mahnwache, sondern jeden Tag. Auch dann, wenn es unbequem wird.

Und jetzt kommt's: Als weiße Deutsche haben wir es besonders leicht, in die Rassismuskritik einzusteigen. Denn viele, oft selbst rassifizierte Autor*innen, erklären uns in wertvollen Büchern das Thema. Als Beispiele: Tupoka Ogette mit ihrem Klassiker Exit Racism, Alice Hasters mit ihrem neuerschienenen Buch Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten oder Noah Sow mit ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiß.

Anstatt euch die nächste Netflix-Serie reinzuziehen, lest doch mal eines dieser Bücher. Folgt den Autor*innen auf Social Media. Hört ihnen zu, wenn sie von rassistischer Diskriminierung sprechen. Glaubt ihnen, was sie sagen. Und springt über eure Schatten. Werdet unbequem. Positioniert euch. Tragt die Stimmen von Betroffenen dorthin, wo sie noch keinen Platz haben. Egal, ob das auf offener Straße, mit Freund*innen und Familie, bei der Arbeit oder auf Instagram ist. Unser Schweigen trägt zu einem Klima bei, das in seiner Zuspitzung migrantisch markierte Menschen tötet. Uns muss endlich in aller Deutlichkeit klar werden: Ihre Angst wiegt millionenmal schwerer als unsere.