Die Orte sind beschaulich. Gerade einmal 2.900 Menschen leben im thüringischen Themar, etwa 2.300 im ostsächsischen Ostritz. Aber für ein paar Tage im Jahr werden die Städtchen von Hunderten bis Tausenden Menschen besucht: wenn dort die größten Neonazi-Konzerte Deutschlands stattfinden — Rock gegen Überfremdung, Tag der nationalen Bewegung oder Schild und Schwert.

Das Bundesinnenministerium listet, auf mehrere Anfragen der Linken zu Musikveranstaltungen der extremen Rechten hin, für das Jahr 2018 auf:

  • Insgesamt 272 Musikveranstaltungen bundesweit (Vergleich 2017: 296)
  • davon 64 Konzerte und 92 Liederabende
  • und 116 sonstige Veranstaltungen mit Musik.

Der Verfassungsschutz gibt nicht zu allen dieser Veranstaltungen Auskunft, weil es sich dabei zum Beispiel um vertrauliche Informationen von V-Personen handelt. Von den offengelegten Events fanden die meisten in Thüringen (33) und Sachsen (30) statt.

Manche schätzen diese Zahlen höher ein: Die sächsische Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz aus Grimma, die regelmäßig zum Thema Anfragen an die sächsische Landesregierung stellt, spricht von 49 Konzerten, Live-Auftritten bei Kundgebungen und Liederabenden der rechtsextremen Szene in Sachsen 2018. Auch der Erfurter Verein MOBIT geht von weitaus mehr Rechtsrockveranstaltungen in Thüringen aus: 71 sind in der jährlichen Statistik der mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus für 2018 aufgeführt.

Nicht immer sind die Veranstaltungen so offensichtlich wie in Themar und Ostritz: Oft finden sie in abgelegenen Gasthäusern oder Vereinsheimen unter vermeintlich harmlos klingenden Namen wie Liederabend statt. Die Lieder, die dort gespielt werden, sind aber alles andere als harmlos.

Bands mit Verbindungen zum NSU

Eine der Kultbands der Rechtsrockszene ist die sogenannte Lunikoff Verschwörung, die auch am kommenden Wochenende in Ostritz zum wiederholten Mal spielen wird. Sänger dieser Band ist Michael Regener, früherer Frontmann von Landser. Landser ist die erste Rechtsrockband, die unter anderem wegen ihrer volksverhetzenden Inhalte 2005 in Deutschland als kriminelle Vereinigung eingestuft und verboten wurde.

Eine weitere Band ist SKD. Die Abkürzung steht für das SS Sonderkommando Dirlewanger, das – sofern diese Abstufung überhaupt möglich ist – als besonders grausam unter den Nationalsozialist*innen galt. In dem Song Solidarität IV brüllt die Band: "Freiheit für Wolle!" So lautet der Spitzname des Neonazis Ralf Wohlleben, einer der fünf Verurteilten im NSU-Prozess. Die CD, auf der sich der Song von SKD befindet, war ein Soli-Album für Wohlleben – um Geld für seine Prozesskosten zu sammeln.

Die These von Rechtsrock als Einstiegsdroge

Wofür sich Rechtsrock neben Solidarisierungskampagnen vor allem eignet, hielt einer der Pioniere dieses Musikstils schon vor Jahrzehnten fest: "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näherzubringen. Besser, als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden." Ein Zitat des Briten Ian Stuart Donaldsen, verstorbener Sänger der Band Screwdriver und Gründer des internationalen Neonazi-Netzwerks Blood and Honour.

Der Sozialpädagoge und Rechtsrockexperte Jan Raabe sieht Rechtsrock als Teil einer rechtsextremen Jugendkultur, in der sich zum Beispiel auch Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt politisierten. Mit Musik lasse sich ein Gefühl von Gemeinschaft und Wir-Identität schaffen, mit Konzerten ein Gefühl der Stärke erzeugen und dieses nach außen demonstrieren. Hier treffen sich alte und zukünftige Kamerad*innen.

Nicht zuletzt wegen der Verflechtungen von Rechtsrock mit dem Terror des NSU hält wiederum der Mainzer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs die verbreitete These von rechtsextremer Musik als Einstiegsdroge in die Szene für verharmlosend. Statt eines Einstiegseffekts sieht Hindrichs eher eine Affirmation: Ein Rechtsrocksong wirke demnach nur dann radikalisierend auf eine Person, wenn ohnehin schon eine bestimmte Affinität für extrem rechte Einstellungen vorliege. In dem kürzlich erschienen Buch Rechtsrock schreibt Hindrichs dazu: "Nazis machen Rechtsrock, weil sie Nazis sind." Nicht, weil sie durch Musik dazu gemacht werden.

Warum finden die Veranstaltungen vor allem in Sachsen und Thüringen statt?

Viele der Rechtsrockkonzerte finden dort statt, wo die Veranstalter*innen ausgewiesene Netzwerke und günstige Strukturen vorfinden. Bundesweit können Rechtsextreme mehr als 140 Immobilien nutzen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei hervor. Die meisten davon liegen in Sachsen (22), Bayern (21) und Thüringen (16). Rechtsextreme verfügen hier über eine eigene Infrastruktur, vom Gelände bis hin zum Unternehmen, das die Dixie-Toiletten bereitstellt. Die Vize-Parteivorsitzende der Linken Martina Renner schätzt, dass die Gesamtzahl der Szeneobjekte in Deutschland sogar noch höher, bei weit über 200, liegt. In der Auflistung der Bundesregierung fehlen beispielsweise Objekte der Anastasia-Bewegung und des Vereins Ein Prozent.

In Themar und Ostritz spielen diese Standortfaktoren eine wichtige Rolle. Im Gasthaus Goldener Löwe im kleinen Ort Kloster Veßra, nur wenige Kilometer von Themar entfernt, veranstaltet Betreiber und Neonazi Tommy Frenck Liederabende und Kameradschaftstreffen und betreibt von dort seinen rechten Onlineshop. Frenck war früher in der NPD, sitzt heute für das neonazistische Bündnis Zukunft Hildburgshausen im Kreistag. Die 5.000 Quadratmeter große Freifläche zwischen Themar und Kloster Veßra, auf der die Rechtsrockkonzerte stattfinden, mietet Frenck von einem Bürgermeister aus einem Nachbarort, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Die nächste Auflage ist für Mitte Juli geplant.

In Ostritz ist der Veranstalter des Rechtsrockfestivals der NPD-Bundesvize Thorsten Heise. 1999 zog er nach Fretterode in Thüringen und gründete den WB-Versand, über den CDs rechtsextremer Bands vertrieben werden. In Ostritz hat er mit Hans-Peter Fischer jemanden gefunden, der kein Problem damit hat, seinen Gasthof Neißeblick an die NPD und andere Rechtsextreme zu vermieten. Ob dort dann Musik von Bands gespielt werde, deren Songs auf dem Index stehen, sei nicht sein Problem, sagte Fischer im Interview mit der Sächsischen Zeitung.

Bei den Konzerten wird den Rechtsextremen aber nicht nur Musik, sondern auch exklusiver Merchandise, Tattoo-Conventions, politische Redebeiträge und Kampfsportevents geboten. Die Szene hat sich professionalisiert. Wie viel bei diesen Veranstaltungen eingenommen wird, ist kaum bekannt. Beobachter*innen schätzen bei größeren Konzerten Summen von mehreren zehntausend Euro. Sicher ist wiederum, dass das Geld in der Szene bleibt und damit eine wichtige Finanzquelle ist. Die Frage, die deshalb immer wieder gestellt wird: Handelt es sich bei diesen Konzerten trotz des Kommerz noch um eine politische Versammlung?

Ein Konzert, bei dem Eintritt genommen wird, kann nicht das Privileg der Demonstration in Anspruch nehmen.
Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen

Warum ist es so schwer, Rechtsrockkonzerte zu verbieten?

Denn als solche werden die Rechtsrockkonzerte von ihren Veranstalter*innen angemeldet. Damit genießen sie besonderen Schutz durch das Versammlungsrecht nach Artikel 8 Grundgesetz. Im Falle des Schild und Schwert-Festivals in Ostritz wurde diese Regelung ad absurdum geführt, meint Rechtsrockexperte Thorsten Hindrichs. Dort hatte man den Bereich des Geländes, auf dem Konzerte stattfanden, als politische Versammlung angemeldet. Die restlichen Bereiche nicht – was das Einhalten und Kontrollieren von Auflagen wie dem Alkoholverbot nahezu unmöglich machte.

Natürlich seien die Texte der Rechtsrocksongs auch eine Art politische Meinungsäußerung, so Hindrichs. Dennoch hält er es für sinnvoll, diese Events abseits der Lieder juristisch zu bewerten.

Das sieht auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) so und will dafür, wenn nötig, sogar vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. "Ein Konzert, bei dem Eintritt genommen wird, kann nicht das Privileg der Demonstration in Anspruch nehmen. Hier braucht es eine Grundsatzentscheidung", sagte Ramelow bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung mit der sächsischen Staatsregierung diese Woche.

Die Innenminister von Sachsen und Thüringen wollen im Kampf gegen Rechtsrockkonzerte enger zusammenarbeiten. Auflagen bei Brandschutz und Hygiene oder das Wegerecht sollen strenger angewandt werden. Immer wieder wurden Polizei und Behörden dafür kritisiert, ihre rechtliche Handhabe nicht voll auszuschöpfen.

In der Vergangenheit hat das in Einzelfällen schon funktioniert. In dem Dorf Mattstedt in Thüringen konnte im August 2018 ein Rechtsrockkonzert verhindert werden, weil nicht alle Eigentümer des Geländes ihre Erlaubnis für die Nutzung gaben. Ähnlich klappte es wenige Monate später im thüringischen Magdala. Der einzige Zugang zum Veranstaltungsgelände führte über ein kommunales Grundstück. Die Kommune untersagte die Nutzung des Weges. Die rechtsextremen Veranstalter zogen daraufhin auf den Marktplatz der Stadt Apolda um – deutlich kleiner als geplant, was für viel Unmut unter den rechtsextremen Besucher*innen sorgte.